Vernissagerede für Frank Studer anlässlich seiner Ausstellung mit Fotografien aus fünf Jahrzehnten im Müllerhaus in Lenzburg
- November 2015
Annelise Zwez
Sehr geehrte Damen und Herren
Lieber Frank
62 Fotografien aus fünf Jahrzehnten – konkret von 1962/63 bis 2014 – hat Frank Studer in der Ausstellung, die ich hier und heute eröffnen darf, zu einer Art Lebensbogen gefügt. Eigentlich müsste man die Zeitspanne, um « Lebensbogen und Fotografie » wirklich zu fassen, noch weiter öffnen. Denn im Gespräch dieser Woche am Haselweg erzählte Frank Studer lachend, dass er kaum über den Labortisch habe sehen können, als er seinem Vater die ersten Fotos entwickeln half. Das muss schätzungsweise Ende der 1940er-Jahre gewesen sein.
Frank Studer wurde dann aber nicht Fotograf wie sein Vater in wichtigen Teil-Kapiteln seines Lebens, sondern Feinmechaniker und dann Maschinenbau-Konstrukteur und schliesslich, aufgrund seiner Erfahrung, Industrieberater in verschiedensten Branchen. Die Fotografie war aber, mit Ausnahme einiger Jahre mit grosser hauptberuflicher Belastung, nichtsdestotrotz der rote Faden, der die Stationen, die Interessen, das Persönliche, das Leidenschaftliche in seinem Leben bündelte; mit höchster fachlicher Präzision, wie sich das für einen Konstrukteur, dessen Maschinen millimetergenau funktioneren sollen, geziemt. Möglich gewesen wäre auch ein Kontrapunkt, der Unschärfe, Unerlaubtes, Zufälliges zu fassen gesucht hätte, doch das war es nicht, was Frank Studer faszinierte. Er wollte der Magier der Perfektion sein.
Eine Ansprache mit biographischen Informationen zu beginnen, ist eher unüblich – etwa so wie wenn man einen Zeitungsartikel damit beginnt: „Der Künstler wurde am 25. August 1942 in Genf geboren, durchlief aber sämtliche Schulen im Raum Zürich….“ – das hat mir Heiner Halder schon anfangs der 1970er-Jahre aus meinen ersten Texten für die Lenzburger Seite des Aargauer Tagblatts herausgestrichen – aber hier hat es einen bestimmten Grund. Wir alle – oder fast alle – machen Fotografien, wenn nicht mit einer Digital-Kamera, so doch ziemlich sicher mit unserem Mobiltelefon. Wir sind mit rasantem Tempo ins Zeitalter des Bildes vorgestossen. Weil Bilder schneller als Worte eine ganze Geschichte erzählen und zwar unabhängig von der Muttersprache des Bild-Adressaten. Ob dieser nigerianisch, ägyptisch, türkisch oder schweizerdeutsch spricht, dass Bild kann er oder sie lesen. Oder zumindest meinen wir das, im Detail müsste man das differenzieren, aber darum geht es hier nicht.
Hier geht es vielmehr um die Frage, was muss Fotografie auszeichnen, um heute noch Gegenstand einer Ausstellung, somit von etwas Besonderem, von etwas zu sein, das sich von der unermesslichen digitalen Bilder-Flut unterscheidet. In der bildenden Kunst gibt es längst eine Tendenz – eine unter vielen notabene – , die sich aus dem Bild zurückzieht, nurmehr die Leere, die Reduktion oder, wohl am häufigsten, das Wort sucht, um nicht auch noch Bilder zu produzieren.
Diese und ähnliche Fragestellungen werden sich in Zukunft noch viel stärker akzentuieren als hier, wo wir es, wie die Biographie erzählt, mit Fotos ab den 1960er-Jahren zu tun haben. Da sie aber 2015 gezeigt werden, sind sie néanmoins vom eben Angesprochenen betroffen. Umsomehr als Frank Studer bisher nur vereinzelt mit Einzelausstellungen seines fotografischen Schaffens an die Öffentlichkeit getreten ist. Die Frage nach einer Legitimation, in einem anspruchsvollen Sinn, ist somit gegeben. Aber genauso klar und einfach zu beantworten: Mit zwei Buchstaben, ja.
Doch damit entlasse ich Sie noch nicht auf den Rundgang, denn nun gilt es zu beanworten, warum:
Da gibt es verschiedene mögliche Ansätze: Der erste, einfachste ist jener der lokalen Verwurzelung. Frank Studer kam durch sein Engagement im Lenzburger Kulturleben – insbesondere seine Tätigkeit als Mitglied respektive Präsident der Kulturkommission – mit vielen Kunstschaffenden, Musikern und Musikerinnen sowie der Literatur Nahestehenden in Kontakt und hat in dieses nicht zuletzt sein eigenes Kulturschaffen – seine Leidenschaft für die Fotografie – eingebracht. Man denke zum Beispiel an die langen Jahre, in welchen er die „Musikalischen Begegnungen“ dokumentiert und jeweils in den Centrums-Geschäften ausgestellt hat. <img class="wp-image-4959 size-medium alignleft" src="https://annelisezwez.ch/wp-content/uploads/Studer-Cosimo-Gritsch-2004-392×400.jpg" alt="Studer Cosimo Gritsch 2004" width="392" height="400" srcset="https://annelisezwez.ch/wp-content/uploads/Studer-Cosimo-Gritsch-2004-392×400.jpg 392w, http://annelisezwez more info here.ch/wp-content/uploads/Studer-Cosimo-Gritsch-2004-1005×1024.jpg 1005w“ sizes=“(max-width: 392px) 100vw, 392px“ />Aber auch die für diese Ausstellung hier ausgewählten Porträts von Elisabeth Staffelbach und Elisabeth Mey-Seiler über Matthias Dieterle und Mark Wetter bis Cosimo Gritsch und Valerie Balmer erzählen von diesem lokalen Engagement.
Die Fotos selbst führen zum nächsten Ansatz: Jenem des schwierig zu definierenden Begriffs der Qualität. Qualität hat viele Gesichter. Hier setzt sie sich zusammen aus Frank Studers stupender Fähigkeit ein Bild, ein Motiv – entweder blitzschnell oder in einem längerdauernden Prozess – als dreidimensionale Komposition zu sehen, als solche zu konstruieren; von der realen Räumlichkeit über die Körperhaltung und die Blickrichtung der Menschen bis zu den Gegebenheiten des Lichtes. Das drückt indirekt aus, dass es zwischen dem hauptberuflichen und dem freizeitberuflichen Denken Studers keinen grundlegenden Unterschied gibt. Das Bild muss „funktionieren“.
Dazu gehört für ihn zunächst einmal ein hervorragendes technisches Equipment. Die Basis dazu legte sein Vater als er dem Sohn 1962 bei dessen Abreise zu einem Sprach-Aufenthalt in Bornemouth seine Leika-Kamera in die Tasche steckte und ihn damit animierte, sich nun selbständig um Fotografie zu bemühen. Was dieser auch tat und zielstrebig zu erkunden begann, was diese für die damalige Zeit erstaunlich kleine Leika denn nun alles möglich macht. Es ist eine Aufnahme im Raum „Mensch & Arbeit“ von 1963, die davon (und von vielem mehr) Zeugnis ablegt. Ebenfalls in diesen frühen Kontext gehört die Fotografie einer Schafherde von 1972, aufgenommen während einer Reise nach Rumänien und hier im Themenraum „Landschaft“ ausgestellt. Von hier hätte der Weg theoretisch in die Richtung der von Robert Frank initiierten Reportage-Fotografie führen können.
Das ist dann aber nicht sein Weg. Frank Studer hat keine explizite Ausbildung als Fotograf – war ja auch überflüssig angesichts der väterlichen „Impfungen“ – und so sucht er die für ihn gültige Position selbst. Dabei ist sein Fokus nun ganz klar die klassische Fotografie – nicht etwa die in dieser Zeit erstmals aufkommende, experimentelle Kunst mit den Mitteln der Fotografie. Eine sehr schöne Aufnahme von 1983 mit dem Titel „Warten auf den Lokalzug“ – wir ahnen, dass sie in Lenzburg aufgenommen wurde – zeigt dies eindrücklich und nimmt in dem dazugestellten Bildnis – ich sage sehr bewusst „Bildnis“ – seiner Tochter Simone bereits Bezug zu den späteren Porträts.
In der Folge mischen sich die beiden Ausrichtungen, enthalten sowohl Momente des Erzählens wie eine starke Ausrichtung auf die Bildkomposition und hier wie dort auf die Lichtverhältnisse als zentralen „Motor“ zur Strukturierung des Bildes. Die Konzeption ist dabei auf das alle Momente der inneren Vorstellung bündelnde Einzel-Bild ausgerichtet. Es muss „alles“ drin sein und wenn es gelingt, dann…. ja dann kommt das Moment, warum die Künstler Kunst machen, warum die Fotografen fotografieren, warum die Schreibenden schreiben – das, was Agnes Martin einmal zusammenfasste als sie sagte. Ich tue das alles nur für den kurzen Moment des Glücks. Das ist so relativ wie alles in unserem Leben, aber individuell und persönlich sicher richtig.
Frank Studer war – wie viele Fotografen seiner Generation – eine vehementer Verfechter der analogen und überdies der Schwarz/Weiss-Fotografie. Das hängt sehr stark mit der Bedeutung zusammen, die er der Fotografie als technischem Medium beimass, habe er sie mit der Kleinbild- oder der Grossbild-Kamera (auch das ein Thema für sich) aufgenommen. Nur mit der präzisen Nuancierung sämtlicher Töne (man beachte den musikalischen Begriff) nur mit allen Weiss-, Grau- und Schwarztönen liess sich in seinen Augen das herauszukristallisieren, was für ihn ein gutes Bild ausmacht: Das was ich eingangs als „Magie der Perfektion“ bezeichnete, die Komposition und Überhöhung durch die Lichtführung. Sie beinhaltet zum Beispiel Studers Liebe zum Nebel, wenn es sich um ein Landschaftsbild handelt.
Auch die digitale Fotografie war für ihn lange Zeit eher „Horror“ als Möglichkeit um damit zu arbeiten. Das grobe Korn, die Verpixelung – nein, wirklich nicht. Und vor allem auch die Methode der Multiplikation und Auswahl statt einer überlegten, bewussten Vorgehensweise – nein, wirklich nicht.
Wahrscheinlich müssen wir hier auch noch das nahtlose Eingebettet-Sein in die Doppelgeneration von Vater und Sohn, die gleichsam eine Einheit seit frühester Kindheit beinhaltet, mit dazu denken.
Von all dem Abschied zu nehmen, war für Frank Studer, wie er gerne erzählt, ein ganz schwieriger Prozess, der ihn in gewissem Sinn in eine Krise stürzte. Und es war erst 2011 – also noch gar nicht lange her – dass er über seinen eigenen Schatten sprang und die digitale respektive die Farb-Fotografie für sich persönlich als Ausdrucks-Weise annahm. Es sei mir am Rande erlaubt anzumerken, dass in der jungen Fotografie-Szene gewisse Leute zu dieser Zeit bereits zum Schwarz/Weiss als vergessener Möglichkeit zurückkehren. Bei Frank Studer fänden sie noch heute ein Labor dafür, denn dieses mochte er trotz allem nicht aufgeben. Auch wenn da nun der Computer König ist. Man weiss ja nie!
Mit einer gewissen Wehmut erzählt er: Von einer Schottland-Reise vor einigen Jahren sei er mit 22 Grossbild-Negativen zurückgekommen, kürzlich von New York mit 700 Aufnahmen….
Der Hintergrund für den schliesslich unausweichlichen Sprung bildete die qualitative Entwicklung der digitalen Fotografie, die heute – auf professioneller Ebene – Technik anbietet, die sich nicht mehr von der Qualität bester analoger Fotografie unterscheidet. Klar, dass für Frank Studer nur ein Wechsel auf diesem Niveau denkbar war. Denn für ihn ist, in Abwandlung von Herbert Mc Luhans Medientheorie, das Medium die Botschaft, das Medium gleichbedeutend mit der Qualität des Bildes – wichtiger als die Motive letztlich, die sich bei Frank Studer in einem unspektakulären Feld bewegen.
Ein wichtiges, letztes Moment, muss hier noch Erwähnung finden. Sie finden auf der Liste immer wieder die Bezeichnung „Analog-Aufnahme“ und dann „Digital Print“. Das will nicht zusammengehen und scheint auch dem zu widersprechen, was ich eben erzählte. Aber eben, „scheint“. Parallel zum technischen Update auf allen Ebenen kamen auch Scanner und Drucker auf den Markt, die es heute – nicht ohne Aufwand notabene – erlauben, analoge Aufnahmen so zu scannen und für einen Druck vorzubereiten, als wäre da gar keine technische Umwandlung darin versteckt. Für Frank Studer ist das eine Herausforderung, gleichsam ein Re-Printing seines gesamten fotografischen Schaffens, aber zugleich natürlich auch seines Lebens. Und das ist – da spricht nun eine derselben Generation – auf einer persönlichen Ebene ungemein spannend. Ich mache es mit meinen Texten, die ich in einem „never ending process“ auf meine Website hochlade, nicht anders (da gibt es übrigens auch sehr viele Lenzburgiana…)
Nun wünsche ich Ihnen einen interessanten Rundgang durch die Ausstellung – die Bilder erzählen nämlich noch viel mehr als ich es eben skizzierte. Zuweilen ist es fast wie ein Quiz, sich zu überlegen aus welcher Zeit eine Aufnahme stammt….
Ich danke fürs Zuhören.