Käthi Wenger (1922 – 2017)  realisierte die Textilskulpturen für Elsi Giauque  – 2006 erschien im Bieler Tagblatt folgender Text:

Ich fand eigentlich immer alles schön

Elsi Giauques Werk ist in Textilkreisen international bekannt. Dass es nur entstehen konnte, weil sie eine kongeniale Weberin an ihrer Seite hatte, wissen nicht alle. Jetzt wird Käthi Wenger (84) in Ligerz geehrt.

Annelise Zwez

Es war 1946. Die Interlaknerin Käthi Wenger hatte eben ihre Ausbildung an der Textilfachklasse der Kunstgewerbeschule Zürich abgeschlossen. Da kam eine Anfrage ihrer ehemaligen Lehrerin, der auf der Festi ob Ligerz wohnhaften Elsi Giauque. Sie habe einen grossen Auftrag für Dekorationsstoffe von der Schuhfabrik Bally und brauche eine Weberin, ob Käthi Wenger kommen wolle. Keine Frage, sie wollte. Der Auftrag platzte zwar in letzter Minute, aber da war sie schon auf der Festi und Elsi Giauque betraute sie mit anderen Webarbeiten; feinen, subtilen für Vorhang-, Decken- und Kleiderstoffen, aber auch so „verrückten“ wie einem Wandteppich aus Maiskolben oder einem transparenten Luftobjekt aus Leinenfäden und Holzkeilen. Die eine Seite markierte die angewandte Auftragsarbeit Elsi Giauques, die anderen den Beginn ihres freischöpferischen textilen Werkes, das ab den 1960er-Jahren in bedeutenden Ausstellungen gezeigt wird.

Die Festi mit dem wunderschönen Ausblick auf die Petersinsel, wo Elsi Giauque seit 1923/24 lebte (bis 1943 mit Fernand Giauque und Tochter Pia), war anfänglich noch nicht ausgebaut. „Im Winter war es im Atelier schon eisig kalt; wir trugen ‚Holzböden’ und feuerten den kleinen Ofen ein“, erzählt Käthi Wenger. Da Elsi Giauque ein bis drei Tage in Zürich unterrichtete, war Käthi Wenger bald einmal nicht nur Weberin im Atelier, sondern auch stellvertretende „Gutsverwalterin“. „Was wäre die Festi ohne das Schnattern der Enten gewesen“, erinnert sie sich. Allein sei sie indes selten gewesen, Elsi Giauque habe ein Faible dafür gehabt, Kulturschaffende in Notlage bis sich aufzunehmen und dann habe ihr auch noch ein „Mädchen vom Berg“ bei den Arbeiten geholfen.

Der berühmteste Festi-Mitbewohner war zweifellos Friedrich Dürrenmatt, der von 1950-1952 mit seiner Familie da lebte. Dürrenmatt und seine Frau Lotti seien ihr „gute und geistreiche Hausgenossen“ gewesen, sagt Käthi Wenger. Abends hätten sie sich zuweilen alle, samt Haus- und Kindermädchen, im Garten getroffen und zur Entlastung vom Tag gemeinsam „Elfer Raus“ gespielt.

Gemeinsame Sprache

Zusammenarbeit ist eine fragile Balance. Wie muss man sich jene von Wenger und Giauque vorstellen? Frau Giauque – die beiden waren nie per Du – sei immer vom Material ausgegangen, sagt Wenger, das Material habe sie inspiriert und dann habe sie notiert, ausprobiert und gesagt, so in etwa stelle sie sich die Arbeit vor. Im Laufe langer Jahre entstand dabei ganz offensichtlich ein gemeinsames Denken, Sehen und Verstehen. Wie Pia Andry-Giauque festhält, war ihrer Mutter stets bewusst, dass ihr Werk eine Zusammenarbeit war und Käthi Wengers Verweilen – längst als Teil der Familie – ein Glücksfall für sie. Doch der Glücksfall, so kommt man nach Gesprächen mit Käthi Wenger auf der Festi zum Schluss, war beidseits.

Möglicherweise lässt sich das fassen über die Frage, was sie denn gemacht habe, wenn sie etwas nicht schön fand. Denn die Antwort lautet lapidar: „Ich fand eigentlich immer alles schön“. Zwar habe es Momente gegeben, sagt Wenger, da habe man etwas noch einmal überdenken müssen, aber Frau Giauque habe, auch wenn sie nicht selbst an der Arbeit gewesen sei, immer gesehen, ob es gut komme oder nicht. Dass sie aus der Sicht einer jüngeren Generation ein wichtiger Teil der Arbeiten von Elsi Giauque sei, vergleichbar mit der Zusammenarbeit von Sepp Imhof und Jean Tinguely, kann man der heute 84-jährigen Weberin nicht so leicht entlocken. Vielleicht ist ihre gefühlsmässige Präsenz im Werk im Wörtchen „Ich“ versteckt, das sie nutzt, wenn sie von der einen oder anderen Arbeit erzählt – sie hat ein stupendes Gedächtnis – und dann zum Beispiel sagt: „Ja, ja, davon habe ich dann noch eine zweite Version gemacht“. Viel öfter aber betont sie: „Die Meisterin war immer Frau Giauque“.

Ob sie nie Lust gehabt habe, eigene Werke zu schaffen? Es gebe, so Wenger, ein paar „Gespinste“ – so hätten sie die Vorhangstoffe in den 1950er-Jahren genannt – die habe sie auf Drängen von Frau Giauque für ein eidgenössisches Stipendium für angewandte Kunst eingegeben und dieses auch erhalten. Aber sonst? „Es wurde mir früh bewusst, dass ich die handwerklich Begabte bin und nicht die Kreative“, schätzt sich Wenger selbst ein, auch wenn ihr Umfeld nicht ganz mit ihr einig geht.

Jetzt sind die drei „Gespinste“ Teil der Ausstellung mit raumgreifenden Arbeiten von Elsi Giauque im Aarbergerhus in Ligerz (Vernissage: Morgen Mittwoch, 19 Uhr). Denn diese will auch eine „Hommage an Käthi Wenger“ sein und hervorheben, wie bedeutsam diese jahrzehntelange Zusammenarbeit war und dass sie weit übers „Weben“ hinausging.

Elsi Giauque starb 1989. Käthi Wenger betreute die „Grande Dame der Textilkunst“ bis zuletzt. Zusammen mit der Familie von Flurin und Pia Andry-Giauque, die seit 1956 zur „Belegschaft“ der Festi gehörten und 1965 den Ausbau realisierten. Käthi Wenger lebt noch heute auf der Festi, wo auch der Nachlass seinen Standort hat und sie ist immer wieder gesuchte Restauratorin wichtiger Arbeiten Giauques. In den letzten Wochen waren das zum Beispiel „Les cinq fantômes“, eine bedeutende Kunst am Bau-Arbeit, die seit 1980 ihren Standort im Regionalspital in Sion hat und jetzt in Ligerz gezeigt wird.

Info: Die Ausstellung „Raum Skulptur Transparenz“, „Hommage an Käthi Wenger“ und „Der Weg in die Gegenwart“ (Sarah Rohner) im Aarbergerus in Ligerz dauert bis 1. Okt. 2006.

 

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Elsi Giauque

Elsi Kleinpeter wurde 1900 im Zürcher Oberland geboren. 1918-1922 ist sie Schülerin von Sophie Täuber an der Textilklasse der Kunstgewerbeschule Zürich. 1924 zieht sie mit Fernand Giauque auf die Festi ob Ligerz. Realisierung mehrerer Marionetten-Theater-Produktionen. Es entstehen Teppiche, Tapisserien, Decken, Stoffe usw., darunter „Hommage an Paul Klee“ (1930). Ab 1943 Lehrerin an der Kunstgewerbeschule Zürich. Ab 1965 regelmässig an den internationalen Textilbiennalen in Lausanne vertreten. Gibt als erste Künstlerin dreidimensionale Werke ein und macht damit die Tapisserie zur Textilskulptur. 1971/77/79 Einzelausstellungen im Museum Bellerive in Zürich, im Kunstmuseum Solothurn, in Musée des arts décoratifs in Lausanne. 1987 Kunstpreis des Kantons Zürich.