Vernissagerede Ausstellung Rudolf Schindler Engel Haus Twann

  1. 11. November bis 2. Dezember 2018

Annelise Zwez

 

Sehr geehrte Damen und Herren

 

Es ist für die Kunstgeschichte ein wichtiges und berührendes Moment, dass sich nach dem Tod eines Kunstschaffenden neue, unabhängige Blicke auf das Werk öffnen. Die kürzlich erschienene Biographie zu Maria Lassnig – einer Zeitgenossin von Rudolf Schindler – ist ein Beispiel dafür, im Kleinen aber auch unsere Ausstellung hier.

Rudolf Schindler wurde 1914 in Biel-Madretsch geboren, im Jahr als der erste Weltkrieg ausbrach. Die 10er, 20er, 30er-Jahre waren geprägt von Krieg, Aufbruch und Weltwirtschaftskrise. Rudolf Schindler strebte den Aufbruch an, wusste als KV-Lehrling aber wohl noch nicht so genau, was das hiess. Ein gestalterischer Wille manifestierte sich jedoch früh. Er besuchte Kurse an der Kunstgewerbeschule in Biel, arbeitete als Schaufenster-Dekorateur, kaufte 1940 eine Landparzelle in der „Champagne“ in Ligerz respektive Schernelz. Mit seinen Händen und minimalsten finanziellen Mitteln baute er im Sommer an seinem Haus (wörtlich und symbolisch!) Im Winter besucht er die „Allgemeine Gewerbeschule“ in Basel – so hiess die heutige Hochschule für Gestaltung und Kunst damals. Auch Meret Oppenheim besuchte sie seinerzeit, allerdings zwei/drei Jahre vor Rudolf Schindler. Als er da war, tobte bereits der Krieg. In Basel war Deutschland besonders nahe, was sich im Sinne einer äussert wachen Aufmerksamkeit auch auf das Klima, das Denken an der Schule übertrug und sich in Schindlers Schaffen ein Leben lang spiegelt.

Stilistisch ist der Künstler in den 1940er-Jahren noch einer traditionell-figürlichen Darstellungsweise verpflichtet. Die „arlequins“-Radierung im Korridor gibt eine Ahnung davon.

Das Ende des Krieges löst eine Art Friedens-Euphorie aus. Auch Rudolf Schindler engagiert sich, lernt dabei Toni Brechbühl kennen, mit dem er persönlich und auf der Ebene von Galerist und Künstler ein Leben lang verbunden bleibt. Toni Brechbühl ist auch der Gründer des Künstler Archivs Grenchen, wo sich heute ein Teil des Nachlasses befindet und wiederum ein Teil davon aktuell in unserer Ausstellung.

Rudolf Schindler versteht sich nie einseitig als Bild-Schaffender. Er ist ab 1943 ebenso Zeichenlehrer und betreut die Städtische Galerie in der Neumarkt-Post (heute die Stadtbibliothek). Da nimmt auch das Kapitel „Ferdinand Hodler“ – über das in den letzten Jahren viel publiziert wurde – seinen Anfang. Doch das ist hier nicht Thema.

Fakt ist aber, dass das bild-künstlerische Werk in der Vielfalt von Schindlers Tätigkeiten – 1956 wird er Dozent an der Kunstgewerbeschule Biel, später und bis 1979 deren Vorsteher – zu einer Art Privat-Universum wird. Das ist in Bezug auf den Bekanntheitsgrad von Rudolf Schindler als Schweizer Künstler bedauerlich, aber für das Werk selbst ist es vermutlich ein Gewinn, an dem wir nun im Blick zurück auf das Gesamte teilhaben können. Wie viele Werke jedes Jahr entstanden, kann uns gleichgültig sein. Wichtig ist der Bogen, die Kontinuität, die von den 1940er-Jahren bis ins 21. Jahrhundert reicht.

Die Friedens-Euphorie dauerte nur kurz. Hier wie in Deutschland wird sie mit zunehmender Informationsdichte in den 1950er-Jahren von der Auseinander-setzung mit den Gräueltaten des Krieges abgelöst. Das Querformat „Kleine Begegnung II“ (die Nummer 1 auf der Liste) markiert den Wandel: Drei Katzen mit „Sperberaugen“ gehen vorsichtig von rechts nach links. Sie wollen vom schwarzen Kater, der von links nach rechts geht, nicht bemerkt werden. Es ist viel Unausgesprochenes in diesem Bild enthalten; wir spüren es mehr als dass wir es formulieren können. Nicht zuletzt durch die Beschäftigung mit archaischen Skulpturen – aus Afrika zum Beispiel – findet Rudolf Schindler in der Folge zu einer alles Anekdotische bei Seite schiebenen Zeichenhaftigkeit, die durch ihre Reduzierung gleichzeitig eine Verdichtung bewirkt.

Es ist seine Antwort auf die allgemeine Erkenntnis der Zeit, dass die traditionell-gegenständliche Malerei nach dem Krieg nicht mehr möglich ist. Wie sollte man als Maler die Menschheit lobpreisen nach all dem, was geschehen war. Aber anders als viele Kollegen wechselt Schindler nicht zum „Informel“, zur ungegenständlichen Kunst wie sie in dieser Zeit im Fokus steht, sondern zur Reduktion.

Zum Beispiel in der Ölmalerei „Le progrès“ aus den 1950ern,

das zentral im Foyer hängt. Gedrechselt wirkende Köpfe auf minimalst angedeutenden Stelen-Körpern starren im Verbund nach oben. Ihr Blick ist zumindest skeptisch. Verena Wälti, die Lebensgefährtin Rudolf Schindlers, erinnert sich, dass der Künstler erzählte, dass die ersten Sputniks am Himmel Motivation für das Bild waren. Während andere in den Himmelskörpern Fortschritt erkannten, befiel ihn ein ungutes Gefühl. War nicht einst auch Ikarus zur Sonne aufgebrochen und abgestürzt, flogen nicht auch die Bomber durch die Luft? Es wundert nicht, dass gleichzeitig zahlreiche Zeichnungen und Radierungen mit dem Titel „Ikarus“ (Foto) entstanden.

 

Was die Bilder miteinander verbindet, ist, dass eine Gruppe von Menschen gemeinsam von unten nach oben schaut.

Mitte der 1970er-Jahre erfährt das Schaffen von Rudolf Schindler einen neuen Schub. Wenn man die beiden Holzschnitte anschaut, die auf dem Flyer zur Ausstellung abgebildet sind, oder entdeckt, dass auch das Hinterglasbild „Fallender Engel“ 1975 (Foto) entstand, ist man versucht von unerwarteter Heiterkeit zu sprechen. Schliesslich war ja erst gerade die Pop Art Welle durchgezogen.

Ein klein wenig mag das stimmen, aber wesentlicher ist, dass in den 1970ern auf breiter Ebene eine intensive Auseinander-setzung mit Spiritualität statt fand, dass die Gleichzeitigkeit von aussen und innen, von sichtbar und unsichtbar, von Licht und Schatten, von Diesseits und Jenseits ein wichtiges Thema in philosophischen Gesprächen war.

Ich denke nicht, dass sich Rudolf Schindler damals in solchen Zirkeln bewegte – wie ich zum Beispiel – aber es ist trotzdem auffallend, dass genau in dieser Zeit Blätter wie „Der Seher“ mit den drei Augen oder die Doppel-gesichter in den beiden Holzschnitten des Flyers entstanden, denn das Thema war ja auch in den afrikanischen Skulpturen, von denen es in seinem Atelier in Schernelz inzwischen viele gab.

Und das Thema kommt wieder in den 1990er-Jahren als er – nun schon gegen 80 Jahre alt ­– ein fulminantes Alterswerk schafft. Die Gleichzeitigkeit verschiedener Ebenen, davor und dahinter, im Licht und im Dunklen oder gleichsam ein Splitting mehrerer Identitäten in einer einzigen Gestalt sehen wir in den Arbeiten.

In der Interpretation von Schindlers Werk wurde spätestens seit der von Peter Killer kuratierten Ausstellung im Kunstmuseum Olten 1996 stets das Dunkle betont; Rudolf Schindler als männliche Kassandra. Das war und ist nicht falsch, aber es gab immer auch den melancholisch-poetischen Schindler (schauen sie sich den „homme à la lune“ an), es gab immer auch den heiteren, den sinnlichen Rudolf Schindler (schauen sie sich „saltimbanque“ an oder die „Huckepack“-Radierung).

Und dann die eigenartige Serie der „grenznah“ – Arbeiten, die mich an eine Art Marionetten-Theater erinnern – eine zentrale, zuweilen vogelartige Gestalt und an einer oder beiden Händen ein „Hampelmann“ respektive eine „Hampelfrau“. Wen meinte er mit der einen und der anderen Figur – er, der nun 91 Jahre alt war und die Bilder „grenznah“ nennt? Fühlt er sich letztlich als Hampelmann in der Hand der äusseren aber auch der inneren, emotionalen „Machtspiele“ in dieser Welt und der menschlichen Bedingtheit in ihr? – Vielleicht, aber gleichzeitig wirken die Bilder nicht eigentlich bitter – eher höre ich da ein feines Lachen über sich selbst.

Haben Sie Dank fürs Zuhören….