Willi Müller „Farbe suchen“ Einzelausstellung Galerie da Mihi – Kunstkeller Bern

  1. 12. Januar bis 17. Februar 2018

 

„Dinge“, „Quartier“, „Äpfel“, „Porträt“, „Hotel“ – das sind die zur Zeit aktivierten Themenfelder in der Malerei von Willi Müller. Einige bearbeitet er seit Jahrzehnten, andere vermehrt in letzter Zeit. Sie sind als Verortungen wichtig und zugleich unwichtig. Es geht nicht um Apfelsorten, nicht um Architektur, nicht um Ferien-Paläste und schon gar nicht um Celebrities. Und doch sind sie erkennbar, die gelb-grünen Früchte, die parkierten Autos, die Zimmer und die Betten, die Gesichter der Frauen, der Männer.

Es geht um Malerei – im Kleinen wie im Grossen, dem Kleinen im Grossen, dem Grossen im Kleinen. Es geht um Bilder, die aus Farben geformt sind, die von Dingen erzählen und da innehalten, wo sich Konstruktives und Expressives die Waage halten.

„Ich weiss noch nicht, ob das Bild bis zur Ausstellungseröffnung in Bern ‚zur Ruhe’ kommt“, sagt Willi Müller im Gespräch in seinem Atelier im alten Postgebäude von Jens. Er meint damit eines der sich in Arbeit befindlichen grossformatigen Werke der Reihe der „Kleinen Dinge“, in denen seit einiger Zeit auch Figuren auftreten. (Anmerkung nach dem 12. Januar: Ja, es wurde fertig. „Zur Ruhe“ kam es allerdings nicht. Seine Expressivität wird indes von der gelb-leuchtenden, zentralen Figur im Zaum gehalten.) Willi Müller arbeitet langsam. Wenn die Werke nichtsdestotrotz etwas Skizzenhaftes behalten, so ist das ein umgekehrter Prozess. „Ich muss roh werden“, sagt der Künstler. Das mag zunächst etwas kryptisch klingen, doch gemeint ist ein Zustand, der in einer Thematik verortet bleibt, diesen aber so weit aus seiner Verbindlichkeit heraus holt, dass er Ort und Zeit hinter sich lässt.

Ein Beispiel aus der Reihe der Quartiere:

Wir sehen ein Bild zwischen offener Landschaft im Hintergrund und einer umbauten Zone im Vordergrund. Verschiedene Gelb, Grün, Blau, Weiss, Altrosa, Braun und Schwarz umschreiben die vom Duktus eines mittleren Pinsel bestimmten Formen. Das Gelb leuchtet, Grün und Blau halten im Verbund mit Schwarz dagegen. Erkennbar ist eine Art Vorplatz mit einer freistehenden Tafel, auf deren (unsichtbaren) Vorderseite wohl Informationen stehen. Die Sonne dupliziert sie als schwarzen Schatten auf den Boden. Das Gestänge wirkt daselbst wie lange Füsse, die Tafel wird zur „Figur“ und sagt zugleich: „Ich bin keine Figur“. Je länger man weilt, desto mehr kleine Farbresten werden im Untergrund sichtbar. Das, was wir auf der Oberfläche sehen, ist nur ein Zustand. Weder die Farben (das Licht) noch ihre Formen sind in Stein gemeisselt.

Es sind die Rückseiten der kleinen, auf traditionelle Chassis montierten Leinwände, die ganz konkret davon erzählen, denn Willi Müller vermerkt hier die Jahrzahlen der Bild-Entstehung oder – eben – der Bild-Zustände. Und da kann es sein, dass wir neben 2010, 2012 auch 2015 notiert finden oder gar 2007/08, 11, 2015/17. Der Verweis „oben“ gilt längst nicht mehr, denn irgendwann einmal hat der Künstler das Bild gedreht. Wie es einst aussah, weiss er nicht mehr; vielleicht war das Frauen-Porträt von 2017 zehn Jahre zuvor mal ein „Quartier“, aber das hat für ihn keine Wichtigkeit.

Gültigkeit ist für Willi Müller ein Moment in der Zeit, ein Glücksmoment. Wird das Bild in einer Ausstellung verkauft, bleibt es respektive es wird in die Wahrnehmung seitens seiner Besitzer entlassen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass es eines Tages ein neues „Gesicht“ erhält. (Anmerkung: Im geräumigen Atelier des Künstlers befindet sich auch sein Bilderlager.)

„Meine Bilder sind keine Verführungen auf den ersten Blick“, sagt der Künstler, „aber ich glaube sie gewinnen mit der Zeit, die man ihnen widmet“. Dem kann man als Schreibende (und damit längere Zeit in den Bildern Verweilende) nur zustimmen und vielleicht bei sich selbst schmunzelnd denken: Willi Müller und plakatives Auftreten, das ginge sowieso nicht.

In einem Bild verweilen heisst vertraut werden mit dem Erkennbaren, aber auch dem nicht näher Definierten, dem bezüglich abbildhafter Realität „Falschen“, den Abweichungen, den Verschiebungen. Willi Müller kann Stunden vor einem Bild in einem Museum verweilen. „Das ist wie lesen“, sagt er. Am liebsten sind ihm Bilder mit „Fehlern“ – der lange Oberarm im „Junge mit der roten Weste“ von Cézanne zum Beispiel. Gemeinsam lachen wir über unsere Erinnerung an das Porträt zweier Mädchen von Klodin Erb, die zusammen drei Beine haben. „Fehler“ mit Absicht einbauen liegt Willi Müller fern (sehr fern!), aber er kann im Malprozess aufkommende Veränderungen, die zum Beispiel ein abgestelltes Auto in einem „Quartier“ teilweise zum Verschwinden bringen, stehen und die Irritation zu-lassen (mit Freude sogar).

Die Bilder von Willi Müller sind freier komponiert als man denkt. Nicht nur wegen der

Bildschichten mit ihren Überlagerungen, sondern auch weil sie aufgrund rudimentärer Skizzen entstehen. Wie zu Zeiten als er wöchentlich mehrmals nach Zürich fuhr* zeichnet er mit Vorliebe im Zug in kleinste Büchlein. Dies gilt vor allem für die Porträts. Unbemerkt hält er in kürzester Zeit die charakteristischen Züge einer in der Nähe sitzenden Person fest. Später im Atelier blättert er in den Büchlein und wählt spontan eine Skizze. Weder die Farben noch irgendwelche Geschichten sind vorgegeben; nur die Haltung, die Kopfform und die Haare – vielleicht der Blick – sind Fixpunkte, alles andere entsteht im Dialog des Malers mit seinem teil-fiktiven Vis-à-Vis. „Es soll ein inneres Bild werden, aber nicht im Sinne eines klassischen Porträts, sondern einer mir zu diesem Zeitpunkt wichtigen Stimmung.“ Er sei ja auch ein literarischer Mensch, sagt Müller, und nennt da eine vielleicht überraschende Parallele zu Schriftstellern, die mit Worten „malen“. Als „Worte“ dienen ihm dabei insbesondere die Farben, die Farbklänge, Licht und Schatten.

Willi Müller malt primär mit Öl auf Leinwand – eine mittelgrosse Auswahl an Farbtuben seiner bevorzugten Hersteller liegt auf dem Ateliertisch, Resten gemischter Farben trocknen auf der Palette vor sich hin. Es sind die Farben, die wir von den Bildern her kennen. Es gibt auch Arbeiten auf Papier – die meisten während Ferien-Aufenthalten im Ausland entstanden, oft reduziert auf schwarz und weiss. Das Spontane, kaum Korrigierbare, das diese Arbeitsweise mit sich bringt, ist ihm eine gute Abwechslung – vielleicht sogar „Schule“ – aber so ganz entspricht sie ihm, der Tiefe sucht, der lieber so lange an einem Bild arbeitet bis es gleichsam ein Teil von ihm selbst wird, nicht.

Ob er denn mit dieser Haltung nicht endlos „veraltet“ sei, diskutieren wir. Zweifel sei etwas, das ihn selbstverständlich immer wieder überkomme, sagt der Künstler, aber dann spüre er, dass es immer noch spannend sei, das Vertraute, Alltägliche auf Verschiebungen hin zu testen und Bilder zu malen, die für ihn heute so gültig seien wie für andere gestern.

Dass er mit diesen „Verschiebungen“ einen Begriff aufgreift, den auch der Schriftsteller Klaus Merz für die Charakterisierung seiner Gedichte verwendet, kommt nicht von ungefähr. Die beiden kennen einander seit den 1980er-Jahren; Willi Müller, ist in Unterkulm aufgewachsen, Klaus Merz wohnt daselbst seit Jahrzehnten. Ob das relevant ist, ist schwer zu sagen, aber „wir bearbeiten in gewissem Sinn denselben Stoff“, sagt Müller, der um

die Nähe zu Merz sehr wohl weiss, sich bei aller Freundschaft aber nicht davon vereinnahmen lassen will.

Ähnlich wie Klaus Merz arbeitet Müller mit „kleinen Dingen“, die für die Diskussion um Globalisierung, Digitalisierung etc. scheinbar irrelevant sind. Aber das heisst – wie bei Merz – keineswegs Abschottung von der Gegenwart. Müller ist ein unermüdlicher Ausstellungsgänger und dies keineswegs nur in kunstgeschichtlichen Sammlungen, sondern ebenso im zeitgenössischen Umfeld. „Was mir Zürich – das Löwenbräu-Areal zum Beispiel – bietet, ist international und öffnet den Blick “. Wenn er nichtsdestotrotz in seinem eigenen Schaffen an der Tradition der Malerei im herkömmlichen Sinn festhält, so ist das nicht eine „Retro“-Haltung, sondern ein bewusstes Vorgehen im Sinne eines Glaubens an die Zeitlosigkeit gewisser Bilder, selbst in der Hektik und der Geschwindigkeit des Alltags im 21. Jahrhundert.

 

 

 

* Willi Müller war während nahezu 30 Jahren mit einem Teilpensum an einem Gymnasium in Zürich Lehrer für bildnerisches Gestalten. Seit 2016 ist er pensioniert.