Die „Freunde des Neuen Museums Biel“ laden zweimal jährlich einen Bieler oder eine Bielerin ein, aus dem Nähkästchen ihrer Erinnerungen zu erzählen. Am 21. Oktober 2020 war Annelise Zwez an der Reihe. Hier, was sie mündlich vortrug.
Sehr verehrte Anwesende!
Ich verdanke meine Existenz Alt Stadtpräsident Guido Müller! Sie staunen? – Sicher. Als Müller 1935 hörte, dass die amerikanische Autofirma General Motors einen Standort für eine Produktionsstätte in der Schweiz sucht und hiefür gleichsam eine Ausschreibung in Genf veranstaltet, reiste er hin und bot an, in Biel binnen eines Jahres eine Halle zu bauen und sie GM zur Verfügung zu stellen.
Aus heutiger Sicht tönt das fast wie die News aus Ländern mit hohen Corona-Infizierten-Zahl, dass sie binnen 14 Tagen ein neues Spital für Coronavirus-Patienten bauen würden!!
Doch gesagt, getan und GM kam nach Biel – eine Erfolgsgeschichte. Doch GM brauchte nun auch Personal!
Meine Mutter – sie hiess damals noch Marie-Louise Irlet und war 24 Jahre alt – hatte eben ihre Stelle bei einem Arzt in Bern gekündigt, weil sie lohnmässig derart ausgenützt wurde, dass sie die Reissleine gezogen hatte. Und so bewarb sie sich bei GM um die Stelle der Privatsekretärin des Direktors – Sidney Allanson (später mein Götti) – dies in Opposition zu ihrer Familie in Twann, die Biel, einer weit verbreiteten Meinung von damals folgend, für einen „Sündenpfuhl“ hielt. Sie tat es trotzdem und erhielt die Stelle. Ihr erstes Büro befand sich noch im obersten Stock des Hotels Elite – dem temporären Sitz von GM bevor die Firma an die Salzhausstrasse umziehen konnte. Bild: v.l.n.r. Marie-Louise Irlet, Sydney Allanson, Mlle Schori.
Mein Vater – Georges Zwez (28 Jahre alt) – kehrte just zu dieser Zeit aus Honduras – wo sein Vater lebte – zurück nach Europa und nachdem nachgewiesen werden konnte, dass er 1907 als Schweizer Bürger in Bern zur Welt kam, konnte er hier Wohnsitz nehmen. Durch Vermittlung eines Onkels, der beim EDA arbeitete, erhielt er – perfekt englisch und französisch und bereits leidlich deutsch sprechend – eine Stelle bei GM.
So kommt es, dass auf einer der berühmten Fotos vom Stapellauf des ersten GM-Autos in Biel 1937 sowohl meine Mutter wie mein Vater zu sehen sind! Die Fortsetzung kann man sich denken. 1940 wurde geheiratet, doch oh Schreck, der zweite Weltkrieg! GM konnte keine Auto-Bestandteile mehr importieren und musste ihre Tätigkeit fast auf Null zurückfahren. Mein Vater verlor seine Stelle – meine Mutter hatte (der damaligen Gesellschaftsordnung folgend bereits vorher aufgehört berufstätig zu sein).
Der Not gehorchend zog die Familie nach Chur und nach dem Krieg später nach Schaffhausen. Da sie mit dem „deutsch“ klingenden Namen Zwez lange keine Bleibe in Schaffhausen fanden, kam meine Mutter für längere Zeit ins Seeland zurück und ich wurde im „Vogelsang“ geboren, wuchs dann aber in Schaffhausen auf.
Die GM blieb in unserer Familie immer ein wichtiger Wert und Ort guter Freundschaften und selbstverständlich fuhr die Familie stets ein GM-Auto. Bild: Ausflug mit unserem ersten Vauxhall, ca. 1952.
Dann spielte Biel lange, lange Jahre keine bedeutende Rolle in meinem Leben; der Fokus in der Region war eindeutig das seit 1804 in der Familie befindliche Fraubrunnenhaus in Twann, wo ich heute lebe.
Erst in den 1970er-Jahren, als die Schweizerischen Plastikausstellungen für eine junge Kunstkritikerin ein absolutes „Must“ waren, kam ich zurück. Die gängig als „Bieler Plastikausstellungen“ bekannten Events hatten Pioniercharakter, da sie als erste in der Schweiz zahlreiche Arbeiten „in situ“ (das heisst ortsbezogen) zeigten – also nicht einfach Skulpturen, die man vom auf die grüne Wiese dislozierte.
Für Biel prägend wurden natürlich vor allem die wenigen Arbeiten, die schliesslich da blieben. Der Berliner Künstler Christian Jankowski hat sie 2014 mit einem Turn-Programm im Vorfeld der der Performance gewidmeten Plastikausstellung in Erinnerung gerufen. Und ich habe mir mit meinen zwei Enkelinnen und einer Freundin von Ihnen unter Anleitung ihrer Mutter (respektive meiner Tochter) einen Spass daraus gemacht, das Programm mit ihnen durchzuturnen (sie sind alle aktive Kunstturnerinnen im Aargau). So zum Beispiel die Jura-Silhouette von Ueli Berger, die seit 1980 auf dem Vorplatz des Französischen Gymnasiums in Biel platziert ist. Oder die «Bleistifte» von Jürg Altherr. Und natürlich „vertschaupet“ von Schang Hutter Ich würde behaupten, dass dies eine der bekanntesten Skulpturen im öffentlichen Raum in der Schweiz ist – seit 40 Jahren ist sie da, und niemand in Biel – ob nun kunstaffin oder nicht – gäbe sie her. Phänomenal ja auch wie Thomas Hirschhorn sie 2019 in die Walser-Skulptur integriert hat – sowohl rein physisch wie auch im übertragenen Sinn – Walser als „Vertschaupeter“. Dass Hutter – inzwischen 85jährig und im Rollstuhl – an der Preview im Juni 2019 teilnehmen konnte, hat mich gerührt. Nur die beiden „Tags“ ärgern mich schon seit langem – warum ergreift niemand die Initiative, sie zu entfernen.
Eine andere Initiative wurde ergriffen – habe ich ergriffen, wenn auch nicht als Erste. Sie sind sicherlich mit mir einverstanden, dass „Balance“ von Jürg Altherr – landläufig „Bleistifte“ genannt – ein Wahrzeichen von Biel sind. Die raumgreifende Skulptur heisst übrigens „Equi_Libre“, weil sie beweglich ist – man kann mit durchschnittlicher Kraft an den beiden Stahlseilen ziehen und stossen und die beiden Stifte beginnen zu wippen, um sich anschliessend wieder in ihr vorgegebenes Gleichgewicht zurück zu balancieren. Item: Als in der Kunstkommission der Stadt, der ich von 1997 bis 2004 angehöre, wieder einmal die beschämende Geschichte, die mit diesem Kunstwerk verbunden ist, aufs Tapet gelangt, sage ich: Jetzt müssen wir, es gibt keinen Weg daran vorbei. Was ist gemeint: Die Tatsache, dass „Equi_Libre“ noch immer dem Künstler gehört und nicht der Stadt Biel. Der 2018 verstorbene Künstler hatte sie 1979/80 mit einem Darlehen eines Zürcher Architekten in Höhe von 80’000 Franken realisiert und seither Jahr für Jahr die Haftpflichtversicherung für das Werk bezahlt. Aber weil er nicht wusste, was damit machen, blieb sie einfach stehen und nur in seinem Hinterkopf war ständig das schlechte Gewissen, dass er das Darlehen nicht zurückbezahlt hatte. Die Stadt Biel schmücke sich mit „fremden Federn“ schrieb ich im Bieler Tagblatt.
Ich mache da eine Klammer: Ich machte damals vieles in Personalunion; d.h. was ich in den Kommissionen, deren Mitglied ich war – wir kommen noch darauf – als Erste hörte und erfuhr, münzte ich sogleich in einen Text fürs BT um, sofern es nicht um Interna ging. Ich war der Meinung, dass dies dem BT nützt. Als dann Catherine Duttweiler Chefredaktorin beim BT wurde, verbot sie mir dies subito und ich musste 2004 vom einen Tag auf den andern aus allen Kommissionen zurücktreten. Das traf mich enorm, weil dieses in der Mitte des Geschehens sein quasi mein Leben war und ich meiner Ansicht nach authentischer berichtete als später, wo ich die Dinge nur noch vom hören sagen kannte. Klammer geschlossen.
Zurück zu „Equi_Libre“. Die Kommission war mit mir einer Meinung und verwies auf frühere Vorstösse in dieselbe Richtung, die jedoch alle im Sand verliefen. Sie versprachen mir aber, mich in einer erneuten Aktion tatkräftig zu unterstützen.
Dass diese indes so schwierig umzusetzen sein würde, ahnte ich (noch) nicht. Kaum jemand wollte helfen, eine alte Schuld abzutragen. Wie oft damals hat insbesondere Marc Gassmann vom BT geholfen und in der Kommission hatten wir eh beschlossen, über mehrere Jahre einen Teil unseres damaligen Budgets von 100’000 Franken dafür aufzuwenden. Wir gingen alle erdenklichen Sponsoren an und ich war oft am Rand meiner Kräfte. Und dann kam noch Jürg Altherr selbst dazu, der uns voller Dankbarkeit ein Multiple herstellte, damit wir es verkaufen könnten (das dann aber auch niemand wollte) und so schlussendlich Kosten erzeugte statt Geld zu bringen. Zu guter aller Letzt war dann die Summe von 100’000 Franken doch beisammen und in einer kleinen Feier am See wurden die „Bleistifte“ offiziell Besitz der Kunstsammlung der Stadt Biel. Kleine Klammer: Wie mir Hannah Külling (die Betreuerin der städtischen Sammlung) schreibt, weiss man bei der Stadt, dass sie dringend einer Reinigung bedarf und hat auch schon Schritte in diese Richtung gemacht, aber Geduld ist die Devise.
Und wenn wir schon am Strandboden sind. Da gibt es noch eine andere längst vergessene, köstliche Geschichte, die am Rande ebenfalls auf die von Maurice Ziegler und Alain Tschumi kuratierte Plastikausstellung von 1980 zurückgeht. Da haben nämlich die beiden Aargauer Künstler Max Matter und Ernst Häusermann 1000 Einfränkler einem ganz bestimmten Koordinatennetz folgend in die Wiese des Strandbodens vergraben, ohne Bewilligung der künstlerischen Leiter der Plastikausstellung notabene. Subversiv wie sich die Kunst um 1980 gab, war das Ziel der Aktion, dass die BesucherInnen der Ausstellung die Einfranken-Stücke suchen und mit nach Hause nehmen sollten. Anteilnahme der besonderen Art. Als die Bieler Stadtgärtnerei davon Wind bekam, stoppten sie den zweiten Teil der Aktion, mit der Folge, dass die 1000 Einfränkler noch heute im Strandboden versteckt sind.
Da ich lange im Aargau lebte und die beiden Künstler gut kenne, kommt es, dass Max Matter mir dies en passant einmal erzählt. Und selbstverständlich habe ich subito eine Geschichte fürs BT daraus gemacht. Man findet sie unter den Namen der Künstler auf meiner Website.
Klammer: Im Frühling dieses Jahres als ich diese Zeilen geschrieben habe, traf ich den inzwischen 80jährigen Max Matter an einer Veranstaltung in Aarau an und erzählte ihm, ich hätte heute schon seinen Namen geschrieben…worauf er meinte: Er wisse immer noch, wo, auf welchen Linien die seien und er hätte eigentlich unglaublich Lust, die doch noch auszugraben….. wer weiss!
Wenn wir schon bei der Kunstsammlung der Stadt Biel sind. Auch da gibt es etwas Besonderes zu erzählen. Es war wohl 1998 oder 1999 als ich mit der Kunstkommission einen ausführlichen Rundgang in der damals noch von Francis Siegfried betreuten Kunstsammlung im Battenberg machte. Neben den Regalen stand eine längliche, grosse Holzkiste. Auf meine Frage, was denn da drin sei, sagte Siegfried: Ach da ist die Abakanowicz drin. Was? Mir blieb der Mund offen. Die berühmte polnische Textilkünstlerin? – Ja, die! Wie kommt denn Biel zu so etwas Kostbarem und verstaut es einfach so in einer Holzkiste? – Ach das ist lange her! – Ich ging der Sache nach. Tatsächlich: Die Stadt Biel kaufte 1971 einen der markanten, grossen, schwarzen Abakan, um ihn im neu erbauten Kongresshaus aufzuhängen. Die in Warschau lebende Künstlerin hatte seit 1962 ein enges Verhältnis zum Ehepaar Pauli in Lausanne, welches damals die Textil-Biennale betreute. Trotz Eisernem Vorhang gelang es immer wieder, sie in die Schweiz zu holen. So war es möglich für Biel, ein wichtiges Werk zu kaufen. Aber das Kongresshaus eignete sich überhaupt nicht für ein so grosses, heikles Kunstwerk. Sämtlichen Veranstaltern in der Halle war es im Weg. Und so landete der Abakan im Depot. Und blieb da. Ich beschloss für mich: Wenn der Altherr erledigt ist, knüpfe ich mir den Abakan vor. Als erstes verlangte ich, dass das Werk auf Ungeziefer hin untersucht werde. Glücklicherweise war der Befund negativ.
Die Wiedererweckung des Abakan kam dann aber erst 2002 ins Rollen. Doch Dolores Denaro – inzwischen als Direktorin des Pasquart von Amtes wegen auch Mitglied der Kunstkommission – zog von Anfang an mit mir am selben Strick. Der Abakan soll in einer Art Einzelausstellung (im wahrsten Sinne des Wortes) in der Salle Poma des zur Jahrtausendwende eröffneten Centre Pasquart aufgehängt werden. Und damit die Sache Substanz hatte, beschlossen wir nach Warschau zu reisen. was tatsächlich gelang. Magdalena Abakanowicz empfing uns in ihrer Wohnung respektive Atelier; eine ziemlich strenge und resolute Dame! Aber wir waren ergriffen von der unmittelbaren Begegnung.
2004 hängt der Abakan dann wie geplant in der Salle Poma. Die Ansprache, die ich damals hielt, ist auf der Website. Aufschlussreicher und ernüchternder ist aber die Tatsache, dass zur angekündigten Führung mit meiner Wenigkeit….. niemand kam. Rund 10 Jahre später erinnerte ich mich daran, als ich in der Ausstellung von Barbara Probst an einer Führung mit Felicity Lunn teilnehmen wollte…. und die einzige war. Wir hatten dann zusammen mit einigen Pasquart-Mitarbeiterinnen ein gutes Privatgespräch….! Was des einen Interesse, ist nicht immer das Interesse aller! – Beim Abakan kann ich noch anfügen, dass das Werk im Sommer 2021 in der Tate Gallery in London gezeigt werden soll. Biel gibt sich international!
Stichwort Centre Pasquart. Eben feiert das Kunsthaus ja sein 20-Jahr-Jubiläum in der heutigen Form. Blenden wir aber etwas zurück, denn eigentlich feiert das Pasquart sein 30-Jahr-Jubiläum.
Ich bin überzeugt, das Centre Pasquart gäbe es nicht ohne die beiden Andreas, welche die Idee eines Bieler Kunsthauses seit den 1980er-Jahren Rückschlägen zum Trotz mit unglaublichem Engagement vorantrieben. Die beiden Andreas? – Der eine Andreas Schärer – seit 1979 Kulturbeauftragter der Stadt; er ist dann später, viel später, an Aids gestorben, der andere Andreas Meier, der 1987 seinen Job als Direktionsassistent von Hans Christoph von Tavel am Kunstmuseum Bern aufgab und Projektleiter Pasquart wurde.
Ich hatte das Glück, mich zu zweien Malen intensiv mit Andreas Meier auszutauschen, zum einen als er 2000 die Auszeichnung für kulturelle Verdienste der Stadt Biel erhielt – ich war damals Präsidentin der Kulturpreiskommission und hielt darum die Laudatio, zum andern als ich für das Jubiläumsbuch „10 Jahre Pasquart“ den Text zur Geschichte der Stiftung Sammlung Pasquart schrieb. Hiefür musste ich allerdings bereits nach Castiel ins Bündnerland reisen, wo Meier seit vielen Jahren mehrheitlich wohnt.
Ich erzähle hier nur ein paar wenige Anekdoten. So hatte sich Andreas Meier schon 1987 die Erlaubnis der Stadt erwirkt, im sogenannten „Alten Spital“ – dem heutigen Altbau des Pasquart – temporäre Ausstellungen zu veranstalten. Es gelang ihm z.B. eine Ausstellung mit Arbeiten von Léo-Paul Robert und Albert Anker zu realisieren, aber vor lauter Angst um die Sicherheit der Werke in den zwei ausgedienten Schulzimmern, hat er, wie er mir gestand, während der ganzen Dauer der Ausstellung in den Räumen geschlafen! Mut, Engagement und immer auch ein bisschen Angst vor dem eigenen Mut! Wunderbar.
Und dann die Geschichte von 1992, also bereits 2 Jahre nach der Gründung des ersten Pasquart! Da beschliesst doch der Gemeinderat der Stadt Biel unter Federführung von Hans Stöckli: Kein Geld mehr fürs Pasquart. Eine Killer-Aktion. Doch Andreas Meier macht fast die gesamte Schweiz zur Mitstreiterin. Wen immer er kannte, schrieb er an und bat um einen kurzen Unterstützungsbrief. Auch ich gehörte bereits zu den Adressatinnen und selbstverständlich schrieb ich fast noch am selben Tag ein feuriges Feedback. Ich vermute, dass dieser Brief der Anfang meines expliziten, über die Kunstkritik hinaus gehenden Engagements für Biel war.
Gleichzeitig trat – selbstverständlich – ist man geneigt zu sagen, Hans Dahler – damals noch Rektor des Deutschen Gymnasiums in Biel, aber auch Präsident der Sammlung Pasquart (noch nicht der Stiftung Sammlung Pasquart – das ist namensmässig alles ein bisschen kompliziert) – auf den Plan. Hans Dahler rief ohne Zögern ins Stadtpräsidium an und sagte: Hans, jetzt müssen wir zusammen eins trinken. Und dabei – ich höre seine engagierte Stimme fast – überzeugt er Hans Stöckli, dass sein Entscheid, das Pasquart zu versenken, total falsch sei. Und tatsächlich krebst dieser daraufhin zurück. Sturm im Wasserglas.
Viel später – bei der Vorbereitung der Laudatio von 2000 – sagt Andi Meier einen Satz, den ich noch heute immer wieder zitiere: Man solle nie vergessen, dass das Kunsthaus Pasquart ein Museum der Nationalliga B sei. Damit war nicht Kritik am eigenen Haus gemeint, sondern einfach die realistische Situation und die Aufgabe sich der Region zu widmen.
Was ich indes nie wirklich herausgefunden habe, ist, wieso Andreas Meier so kurz nach der Eröffnung des Hauses zurücktrat. War er ganz einfach erschöpft – er hatte damals nach einem Sturz den Arm in der Schlinge – oder hatte er von aussen nicht einsehbare Ängste, war ihm ganz einfach klar, dass mit dem unzureichenden finanziellen Fundament des Hauses nicht einmal ein Nationalliga B-Haus zu betreiben war und darum einen Schuldenberg auftürmen würde? Ich weiss es nicht. Andreas Meier ist auch heute noch mit kunsthistorischen Projekten beschäftigt und man trifft ihn neuerdings auch dann und wann wieder in Biel an – aber wer im „allwissenden“ Internet nach ihm sucht, findet nur wenig und nicht eine einzige Fotografie! Mmh!
Zurück zum regionalen Auftrag des Pasquart. Wie haben ihn die beiden Nachfolgerinnen von Meier erfüllt? Zuerst ganz kurz und nachdrücklich: Beide Direktorinnen haben hervorragende Ausstellungen im Haus realisiert.
Dolores Denaro wie Felicity Lunn haben sich an die formulierte Auflage, jedes Jahr eine Ausstellung mit einem Künstler/einer Künstlerin aus der Region zu verwirklichen, gehalten. Dolores Denaro indes – ich erlaube mir hier, das zu sagen – mit mehr Engagement. Sie hat wunderbare Ausstellungen mit hiesigen Künstlern und Künstlerinnen gemacht. Wenn ich an den bereits geschriebenen Satz zu Andreas Meier denke – Angst vor dem eigenen Mut – so gilt das noch viel mehr für Dolores Denaro. Sie galt als „over protective“ – was in ihrem Umfeld oft nicht gut ankam – aber gleichwohl hat sie es zugelassen, dass susanne muller aus Prêles die Salle Poma bis an die Grenze der Belastbarkeit mit Sand füllte, um ihr ganz spezielles „Beach Volley Ball“ zu realisieren. Eine Plexiglaskugel mit einer Videokamera im Innern lag auf dem grossen Sandfeld und die Besuchenden waren eingeladen mit ihr zu spielen. Der Clou: Was die Kamera dabei erlebte wurde 1:1 in einen benachbarten Raum übertragen, dort in Form eines Videos sichtbar. Also nicht eine Überwachungskamera, welche die Ball-SpielerInnen zeigte, sondern das, was die Kamera sah! – ich finde das heute noch ein grossartige Arbeit.
Oder dann die Ausstellung von Ruedy Schwyn – wo Dolores Denaro richtigerweise die Direktive herausgab, sie möchte Installationen von Ruedy Schwyn zeigen, nicht Bilder, denn da sei der Künstler besonders stark.
Ich erinnere mich vor allem an das grosse Himalaya-Panorama, das er mit Rasierklingen realisierte und damit eine Vielzahl von Fragen aufwarf, umso mehr als er im angrenzenden Raum, medizinische Ersatzteile zeigte und so hier wie dort auf Eingriffe des Menschen hinwies.
Oder dann die Ausstellung von Ise Schwartz, die 1989 mit dem ersten Atelier-Robert-Stipendium von Bonn nach Biel übersiedelte und da blieb. Diese Ausstellung wurde von Dolores Denaro initiiert, aber von Caroline Nicod betreut, da die Direktorin bereits krank geschrieben war. Die Ausstellung war ein wunderbares Potpourri des reichen malerischen Oeuvres von Ise Schwartz – sowohl ihre freien auf der Überlagerung von Mustern aufbauenden wie ihre geschichtlich-politischen Arbeiten zeigte.
Ich habe in meinem Fundus noch eine weitere Aufnahme von Ise Schwartz gefunden, die mich an dieser Stelle zu einem Abstecher animiert: Ise Schwartz zusammen mit der Galeristin Silvia Steiner, welche die Künstlerin vertrat. Silvia Steiner hat 1967 eine der allerersten, auf zeitgenössische Kunst spezialisierten Schweizer Privatgalerien gegründet. Und sehr schnell wurde die Parterre-Wohnung der Seevorstadt 57 zu einem Hotspot der Kunst in Biel, wobei Silvia Steiner eine Galeristin war, nicht eine Off Space-Kuratorin! Sie stellte aus, was sich verkaufen lässt. Eine Ausstellung sollte immer eine Win-Win-Angelegenheit sein. Persönlich erinnere ich mich an eine Situation während meiner Zeit in der Kunstkommission. Da stellte der Zürcher Künstler mit Bieler Hintergrund, Jürg Moser, aus, u.a. eine Reihe ganz auf den Kontrast von schwarzen und weissen Formen ausgerichteter Zeichnungen. Diese gehörten in die Sammlung der Stadt Biel, befand sie, und meldete sich mit Nachdruck für die Sitzung der Kommission an, um ihr die Reihe zu zeigen, wenn die Kommission denn schon keine Zeit habe, bei ihr vorbei zu kommen.
Die Kommission nahm das natürlich mit gemischten Gefühlen auf, logisch, da wollte sie jemand unter Druck setzen. Aber so läuft das Kunst-Verkaufs-Geschäft! Darum: Chapeau für diese Hartnäckigkeit, die ja immer den Künstlern galt. Und die Kommission hat dann tatsächlich auch einige Zeichnungen gekauft. Man kann das nachschlagen in der online zugänglichen Sammlung der Stadt.
Noch ein Abstecher: Während meiner Kunstkommissionszeit hat Pierre Eduard Hefti damit begonnen, die Kunstsammlung zu digitalisieren und in ein Online-Programm zu stellen. Biel war eine der ersten Städte, die ihre Sammlung öffentlich machte – nicht zuletzt, um für das Depot ein Fenster zu öffnen, denn ausleihen war stets und bis heute – wie bereits bei Abakanowicz erwähnt – ein Credo der Bieler Kunstpolitik. Aber statt den enormen und weit über die Arbeitszeit hinaus gehenden Einsatz von Pierre Eduard zu loben, bekam er einen Rüffel von Seiten der Stadt, er solle sich seinen Kernaufgaben widmen. Das machte uns wütend, aber alles was wir machen konnten, war Pierre Eduard den Rücken zu stärken.
Zurück zu Silvia Steiner, ich muss da noch einen Wermutstropfen anfügen. Ich habe ihr einmal vorgeworfen – ja vorgeworfen – sie zeige zu wenig Künstlerinnen. Damit bin ich gar nicht gut angekommen bei ihr, denn sie war der Ansicht, es habe nie Frauen gegeben, die sie hätte ausstellen wollen. Wie der Fall Ise Schwartz zeigt, änderte sich das später teilweise und die allerletzte Ausstellung war diesbezüglich das Tüpfelchen auf dem I. Schwer von ihrer Krankheit gezeichnet, muss sie eine Ausstellung verschieben und zeigt stattdessen Werke von Barbara Ellmerer, die damals unglaublich saftig-farbige Bilder malte – Fiktionen von Blumen voller Lebenskraft. Ich stand in der Galerie – Silvia konnte schon selbst nicht mehr anwesend sein – ich glaube, es war Ingrid Wyss, die sie vertrat. Und ich heulte. Weil ich die Symbolkraft spürte, ahnte dass es die letzte sein würde und dass diese Bilder das waren, was uns Silvia Steiner mitgeben wollte.
Zurück zu den zwei Epochen Pasquart.
Dolores Denaro erfüllte den Regio-Auftrag nicht nur mit Ausstellung von Künstlern, die in der Region tätig sind, sondern auch mit Ausstellungen, die auf ein breites Publikum ausgerichtet waren, indem sie nicht innerkünstlerische Themen aufgriffen – wie etwa später die Ausstellung „The artists artist“ unter Felicity Lunn – sondern Themen, die gesamtgesellschatlich im Fokus standen wie etwa „Helden heute“ oder „Aurum“ oder „Genipulation“. Es waren klar internationale Ausstellungen, aber immer mit Schweizer Künstlerinnen und Künstlern durchsetzt und – wenn vom Thema her möglich auch mit Künstlern aus der Region, wie zum Beispiel die goldenen Räder von René Zäch oder „Amae“ von Mireille Lehmann in „Genipulation“ – ein Video, das Ultraschallbilder von weiblichen Brüsten einem sanften Meer von Wellen gleich über drei gleichzeitige Monitore flimmern liess und so quasi zum Innersten des Menschen führten. Es ist übrigens, aus heutiger Sicht, zum Teil erstaunlich wie viele Koriphäen Denaro damals nach Biel zu holen vermochte.
Die Kunstkritik warf ihr damals vor, die Themen seien zu wenig wissenschaftlich untermauert, seien zu populär quasi, doch wenn ich denke, welche Besucherströme – auch aus Biel und der Region – die Ausstellungen anzogen damals und wie bescheiden besucht die Räume in den letzten Jahren oft waren und sind, so seufze ich einfach ein wenig ohne weiteren Kommentar.
Als Dolores Denaro Ende 2011 nach einer hinter den Kulissen leider von vielen Unstimmigkeiten geprägten Zeit zurücktrat, malte Heinz Peter Kohler dieses Porträt für sie. Das gibt mir Anlass für einen weiteren Schwenker: Heinz Peter Kohler ist eine unverwechselbare Künstlerfigur in Biel – bis zurück in die 1950er-Jahre (er hat Jahrgang 1935) als er für seine frühen, noch vom Geist der Tunis-Reise des berühmten Trios Klee, Macke, Moillet geprägten Aquarelle so ca. sämtliche Stipendien erhielt, die es damals zu gewinnen gab. In meiner Bieler Zeit war der Umgang mit ihm bereits relativ schwierig, nicht weil seine Kunst schlechter geworden wäre, sondern weil eine latente Bitterkeit ihn zuweilen fordernd, schroff, anklagend erscheinen liess, was zum einen oder anderen Eclat führte. Aber man musste lernen, dass es immer zwei Seiten gibt. So war er der erste, der im Stadtrat ein Kunsthaus für Biel forderte und dann gibt es da auch die berühmte Geschichte, dass er während der Bauzeit des Pasquart einmal mit einem Plastiksack auf der Baustelle erschien und ihn dem Bieler Architekten Stephan de Montmollin, der den Bau leitete, überreichte. Darin war…ein Goldbarren. Ihr könnt das sicherlich gebrauchen, meinte Kohler lakonisch.
Auch das Porträt hier erzählt nicht vom Zusammenstoss mit der Direktorin, sondern von ihrer Gesamtleistung während 10 Jahren am Pasquart. Das ist typisch für ihn. 1999 erhielt er den Bieler Kulturpreis für sein Gesamtwerk. Ich war damals Präsidentin der Kommission – ich erinnere mich gut an die heftigen Diskussionen im Vorfeld des Entscheides, aber er musste zwingend im 20. Jahrhundert erfolgen, denn dieses hat er als Bieler Künstler, als Teil der Schweizer Kunstgeschichte mitgeprägt. Die Ausstellung zum 80sten Geburtstag machte dann nicht das Pasquart, sondern das Neue Museum Biel.
Das gibt mir Anlass noch einen Schwenker einzubauen. Über das Museum Neuhaus wusste ich lange nicht sehr viel, mit Ausnahme der Abteilung Robert, aber auch diese wusste sich nicht so recht ins Rampenlicht zu stellen. Aber in den letzten Jahren hat sich das nun Neues Museum Biel genannte NMB mehr und mehr zum Kunsthaus der Region gemausert – nicht auf zeitgenössischer Ebene, aber mit einem auf das gesamte 20. Jahrhundert schauenden Fokus. Das hat nicht zuletzt mit der aktuellen Direktorin, Bernadette Walter zu tun, die eigentlich Kunsthistorikerin ist und – wie ich schon mehrfach erlebte – eine sehr gutes Auge für Bildverläufe hat – also was hänge ich neben was, damit eine Atmosphäre, ein Fluss entsteht. Die Ausstellung von Heinz Peter Kohler war hierbei nur ein Beispiel.
Und auch die Archäologie am Haus erscheint verjüngt – Ludivine Marquis und ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter Jonas Kissling – nehmen ganz unerwartete Themen auf wie kürzlich die Ausstellung „Ich Mann. Du Frau“, welche fragte, ob die Rollenzuschreibungen, zum Beispiel bezogen auf die Steinzeit, eigentlich nicht einfach eine von uns konstruierte Konvention sei. Oder als sie die fiktive Kultur des Berner Künstlers Ueli Siegenthaler zeigten – eine matriarchale Kultur einer erfundenen Insel in der Ägäis namens „Habaluke“ . Ich war damals direkt involviert, indem Siegenthalers fiktiver Habaluke-Forscher mit Namen Affolter theoretisch mit meinem Grossvater Carl Irlet – Gründer des Pfahlbaumuseums in Twann – hätte in Kontakt stehen können. Also schrieb Ueli Siegenthaler alias Affolter diesem Irlet einen Brief unter Archäologen. Weil aber mein Grossvater 1953 gestorben ist, musste ich an seiner statt antworten. Das war gar nicht so einfach, denn zuerst musste ich mich ja in die Geisteshaltung von Pfr. Dr. h.c. Carl Irlet vertiefen….Es war aber spannend! Und wie die das im ehemaligen Museum Schwab präsentierten, obendrein. Denn über den Hör-Stationen war eine „Cloud“ zu sehen, in welcher die Briefe von Affolter und Irlet (je drei an der Zahl) herumwirbelten.
So viel zum aktuellen Innovationsgeist im NMB.
Und damit zurück zum Pasquart. Als Nachfolgerin von Dolores Denaro wurde die ursprünglich aus England stammende, seit langem in der Schweiz lebende Kunsthistorikerin Felicity Lunn gewählt . Obwohl sie seit 2012 zahlreiche Ateliers besucht hat und an vielen Vernissagen in der Stadt mit dabei ist, so richtig eine Bielerin wurde sie bisher nicht. Und auch die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen nicht. So kommt es, dass sie künstlerisch betrachtet ein hervorragendes, weitgehend internationales Profil für das Haus erarbeitete, auf nationaler Ebene viel Lob dafür bekommt – was sich zum Beispiel im Medienecho zeigt – aber die Stadt, die Region entfremdete sich. Ich erinnere mich an sehr viele, ausserordentliche Ausstellungen – aber ich bin ja natürlich nicht der richtige Massstab und immer wieder machen mich Vernissagen traurig, indem ich die Bieler Kunstszene vermisse. Von Solidarität mit ihrem Kunsthaus keine Spur. Ausser bei den halt seltenen Ausstellungen mit regionalem Bezug, wie zum Beispiel der grossartigen Ausstellung von Andrea Heller (sie lebt mit ihrer Familie in Leubringen) im Sommer 2019. Und auch bei den – ebenfalls seltenen Überblicksausstellungen von Schweizer Künstlern resp. Künstlerinnen wie zum Beispiel Klodin Erb, 2017, deren märchenhaftes Karussell in der Salle Poma sicherlich ein Highlight war.
Die Bieler Kunstszene ist seit langem eine ausgesprochen lebendige. Das zeigte sich zum ersten Mal so richtig, als sich die Künstler der Region – die männliche Form ist korrekt! – einmal mehr darüber ärgerte, dass für die kantonale Künstlergesellschaft, die heutige „Visarte“, Bern „bei Zollikofen aufhört“ (Rolf Greder) und so wurde – bis heute national ein Phänomen – ganz einfach eine zweite, eine Bieler Sektion gegründet. Und diese ist bis heute einer aktivsten, lebendigsten Sektionen in der ganzen Schweiz, wobei anzumerken ist, dass die Visarte national eher „schläft“. In Biel organisiert sie zum Beispiel seit nunmehr 18 Jahren (!) den sogenannten Joli mois de mai in der Alten Krone und in der Voirie in der Altstadt, wo während eines ganzen Monats jeweils von Mittwoch bis Sonntag jeden Abend Vernissage ist. D.h. die Ausstellungen dauern gerade mal einen Abend, danach sind sie gleich wieder abzuräumen, um am andern Tag den nächsten Platz zu machen. Und diese melden sich jeweils im November in Scharen dafür an. Die erste Ausgabe fand im Jahr 2002 unter der Ägide von Hannah Külling (Bild) statt, die damals Sekretärin der Visarte war. Schon viel, viel früher hatte sie mit dem sogenannten „Wohnzimmer“ den ersten Off-Space gegründet – etwas, was damals noch lange nicht so Mode war wie heute. Lange Jahre war Hannah Külling sowohl als Künstlerin wie auch als Kultur-Initiantin eine wichtige Figur für Biel, was sich daran zeigt, dass sie 2002 den Kulturpreis der Stadt Biel erhielt. Aus persönlichen Gründen hat sie sich dann später leider – ausgesprochen leider – weitgehend zurückgezogen. Man muss schon Insiderin sein, um sie noch da und dort wahrzunehmen.
Der Jolimai – wie man ihn längst nennt – ist aber geblieben und der Zeichner und Grafiker Robert Schüll wurde gleichsam zum Monsieur Jolimai. Entsprechend gross war die Anteilnahme an seinem Tod vor gut 2 Jahren.
Es gab immer wieder Highlights an diesen Jolimai-Abenden. Aber man konnte auch Pech haben und höchstens achselzuckend wieder von dannen gehen. Hier eine kleine Bilder-Schau.
V.l.n.r. azw in einer Installation von Franziska Beck & Co in der Voirie. „Avalanche“ von Margraitner, Lenz, Rickli (Voirie) Housi Koch schiesst die Zeit tot (Pavel Schmidt, Krone). Lambert, Monsignore Dies (Voirie).
Aber, und jetzt kommt das Aber. Das Ziel des Jolimai, die Bieler Kunstschaffenden miteinander zu vernetzen, dafür zu sorgen, dass die einen die anderen kennen, dieses Ziel wurde erreicht. Und darauf ist man sogar in Zürich geradezu neidisch. Aber ich habe in meinen Texten auch immer wieder kritisch angemerkt, dass die Bieler sich um den eigenen Bauchnabel drehten, Biel mit dem Rest der Welt verwechselten. Denn so lebendig die Szene ist, so selten sind die Künstlerinnen und Künstler, die überregional, ja gar international Beachtung erfahren.
Eine von den wenigen ist die seit 30 Jahren in Biel lebende Luo Mingjun-Wagner, deren Bilder ihren Ursprung in China, aber auch in ihrem Leben im Westen haben. Lange Zeit war sie eine Fremde in Biel und entsprechend unsicher, malte „chinesisch“, um die eigenen Wurzeln nicht zu verlieren, bis dann die Zeit für sie arbeitete, sodass sie heute ebenso in der Schweiz wie in China ausstellt. Ich füge hier eine geradezu rührende Geschichte an. Während meiner Zeit in der Kunstkommission trat ein Mitglied französischer Sprache zurück. Also galt es einen neuen Vertreter der Romandie zu finden. Nicht einfach! Denn es ist ein Fakt, dass die Romands unter den Bieler Kunstschaffenden deutlich in Minderzahl sind. Während die Deutschschweizer den französischen Charme der Stadt Biel lieben, empfinden die Romands die deutsch-schweizerische Trockenheit nicht eben attraktiv! Item, bei unserer Suche schlug ich vor Mingjun, die ja mit einem Romand verheiratet war und französisch sprach, anzufragen. Was wir damit auslösten, ahnten wir nicht. Mingjun empfand die Anfrage als erste Anerkennung der fremden Heimat. Sie durfte sich nun als Schweizerin, als Romande fühlen. Wir staunten und freuten uns. Und dann gehört zu Mingjun natürlich auch die Geschichte, dass sie den späteren Direktor der Kunsthalle Bern, Bernhard Fibicher, heute Direktor des Kunstmuseums des Kantons Waadt in Lausanne, am Sandkasten-Rand in Biel kennenlernte, weil der junge Vater und die junge Mutter da gemeinsam ihre Kinder hüteten. Er stellte nie Werke von Mingjun aus – das wäre wohl des Filzes zu viel gewesen, aber durch ihn fand sie ihre wichtigste Galeristin, Gisèle Linder in Basel – halt auch eine Romande!
Dann gehört sicher auch René Zäch mit mehreren Museumsaustellungen – in Aarau, in Thun, in Solothurn – mit zum nationalen Kader. Und je länger je mehr auch Pat Noser, deren Guerilla Girl-Bilder in letzter Zeit gleichsam von Ort und Ort wanderten. Dies umsomehr als KuratorInnen bei dieser Gelegenheit, das markante, radikale, hervorragend gemalte Oeuvre der Künstlerin, die auch schon eine Einzelausstellung im Pasquart hatte, entdeckten.
Und last but not least M.S. Bastian und Isabelle, die zweifellos aktuell die populärsten Bieler Kunstschaffenden sind, wobei das ein zuweilen ambivalentes Lob ist. Bis in die 1980er-Jahre zurück kannte ich M.S. Bastian als Einzelkünstler, der als Maler und Objektkünstler früh auf sich aufmerksam machte und zur Clique gehörte, die damals an der Spitalstrasse das „Kunstmuseum Biel“ betrieben – auch so einer der frühen Off-Spaces in Biel. Mit Urs Dickerhof als „Vater“ hatten sie überdies Rückhalt. Ich kann mich erinnern, wie ich mit meinem bereits 2000 verstorbenen Lebenspartner damals sogar aus dem Aargau ins Kunstmuseum, das dann später „Kunstmausoleum“ hiess, anreiste. Comic war angesagt – aber in einer ganz eigenen künstlerischen Bildsprache, welche Bastian – seit mehr als 10 Jahren zusammen mit seiner Partnerin Isabelle Laubscher – konsequent vorantreibt, mal liebenswürdig, märchenhaft bis an die Grenze des „Erlaubten“ (Stichwort: Gurten-Bahn), mal aber auch mit ungeheurer Hartnäckigkeit an einem Opus von künstlerischer Tragweite arbeitend – wie etwa das 52 Meter lange Fries mit dem Titel „Bastokalypse“, das in mehreren Museen – ich erinnere mich an die Präsentation im Museum Tinguely in Basel – zu sehen war.
Zu erwähnen ist hier auch „HausamGern“, die wohl ungewöhnlichsten, in ihrem Kunstverständnis auch nicht einfach fassbaren Barbara Meyer Cesta und Rudolf Steiner. Sie verstehen sich als „Firma nach allen Regeln der Kunst“ – sie sind sowohl als Werke schaffende Künstler präsent, wie als Kunstvermittler, wie als Verleger, als Aktionskünstler – nichts, was sie nicht auslassen. Am bekanntesten ist wohl ihr work in progress „Selbstbildnis als Künstlerpaar“, das sie Jahr für Jahr in einem anderen Kontext zeigt. Bild: Künstlerpaar als „Haufen“ (Bronce), 2019. Ich freue mich heute schon auf die Ausstellung mit all diesen Arbeiten gemeinsam. Erstmals so richtig in Kontakt kamen wir 2000 als die „Firma“ HausamGern den Performance-Künstler San Keller damit beauftragten, binnen weniger Stunden am Ufer des Sees einen Pavillon für die Expo 2000 ( 2000!) zu erstellen, was dieser denn auch als Trash-Skulptur mit Materialien aus der Umgebung tat. Den intensivsten Kontakt hatten wir aber im Rahmen der Freilichtausstellung „Kunst im ruralen Raum“ in Rapperswil, als sie unter dem Titel „Fallada“ das Gerücht verbreiteten, sie würden ein Pferd aus einem Helikopter vom Himmel fallen lassen. Was natürlich nie geplant war, aber aufzeigte, wie man mit einem Gerücht Wirkung erzielen kann. Dass die Ironie bei gewissen „Rösselern“ nicht ankam, sie wüst unter Beschuss kamen, ist eine unglaubliche Geschichte und ich als künstlerische Leiterin der Ausstellung hatte die Geschichte zumindest medial „auszufressen“.
Wer sich mit HausamGern einlässt, weiss nie genau auf was er da eingeht! – Das ist ja auch bei der weissen Umzäunung bei der Coupole der Fall! Andererseits gibt es auch Köstliches, wie etwa die Installation im Kunstmuseum Olten, die einem das eigene Ich fünffach vorführte! Man soll nicht vergessen: Rudolf Steiner ist von Haus aus Fotograf!
A propos Fotografie! Da gibt es natürlich seit 1997 auch noch die Fototage! Ich muss gestehen, dass sie für mich nie wirklich zentral waren. Sie sind vor allem in den Anfängen ein an sich bedauernswerter Beweis dafür, dass die bilingue Stadt Biel eben doch nicht so bilingue ist und von Seiten der Romands – sorry für den Vorwurf – auch wenig Anstrengung in Richtung Balance geleistet wurde. So richtig intensiv waren die Fototage für mich nur in der Zeit als sie von Barbara Zürcher (heute und seit langem schon Direktorin des Kunsthaus Uri in Altdort) geleitet wurden, da sie mir mit ihrem betont körperhaften, emotionalen Approach sehr nahe kam. Aber es ist wohl auch einfach so, dass mich die Reportage-Fotografie, die bis heute im Zentrum steht, nicht zentral interessiert und darum habe ich auch keine Geschichten dazu auf Lager. Es ist aber wichtig, sie hier zu erwähnen, denn sie sind ein wichtiger Teil von Biels Kultur und mit der aktiven Ausrichtung auf Workshops, auf Teilnahme, auf Austausch haben sie, soweit ich es einschätzen kann, ihr Profil gefunden.
Lassen sie mich zu guter Letzt nochmals auf die Bieler Plastikausstellungen zurückkommen. Die letzten fünf Ausgaben waren selten Lieblingsveranstaltungen der Bieler Bevölkerung, die sich – nicht zuletzt unter der Anführung eines gewissen Herrn Cortesi – lieber an die gloriosen früheren Zeiten erinnerte. Aber da bin ich anderer Meinung: Die Plastikausstellungen haben ihr Credo – nämlich immer Pionier-Ausstellungen zu sein – eingehalten. Die zeitgenössische Kunst hat sich sehr stark gewandelt in den letzten 20 Jahren. Gut, auch ich habe 2009 anlässlich von „Utopics“ unter Leitung von Simon Lamunière meinen LeserInnen im Bieler Tagblatt vorgeschlagen, sich doch an ein Tischchen an der Bahnhofstrasse zu setzen, ein Glas Wein zu bestellen und den Katalog zu lesen, das sei viel kommoder als die teilweise versteckten Kunstwerke zu suchen! Schliesslich war ja der Titel auch „Utopics“! Immerhin ein Werk mauserte sich doch zum Liebling: Der fiktive Garten von Steiner/Lenzlinger in einem Container auf dem Parkplatz vor dem Kongresshaus und auch der vorbeiradelnde Parzifal in Grün löste viel Gesten des Winkens aus.
Und ein Werk aus dieser Plastikausstellung ist bei den BielerInnen bis heute sehr beliebt: Die ins Nichts führende Treppe am Turm des Kongresshauses des international aktiven Schweizer Künstlerpaars Lang/Baumann. Die Stadt Biel hat das Werk angekauft und verstärken lassen, denn ursprünglich war es ja nur auf eine Lebensdauer von ein paar Monaten ausgerichtet.
Eigentlich war das ja auch bei Transfert 2000 so, dass vieles nicht als „Kunstwerk“ greifbar war. Die von Marc Olivier Wahler geleitete Ausstellung folgte dem Gedanken des „Einpflanzens“ – etwas temporär in den Alltag der Stadt einpflanzen, z.B. das Unfallauto von Gianni Motti auf dem Zentralplatz, das am 21. Juli von Unbekannten in Brand gesetzt wurde – was zum berühmten Wahlslogan des Autopartei-Kandidaten Jürg Scherrer für den Gemeinderat führte: Wenn sie mich wählen, wird so etwas nie wieder passieren! Der Witz der Sache war, dass es tatsächlich des Künstlers Auto war und er tatsächlich in Genf einen Unfall damit hatte und indem er das Auto zum Kunstwerk erklärte, seinen eigenen Schock verarbeitete. Wobei er immer ein Provokateur war – bis hinein in eine UNO-Sonderversammlung!
Ich habe damals zusammen mit Olivier Wahler die Ausstellungszeitung herausge-geben, was mich eng mit dem Kunsthistoriker, neuerdings Direktor des Musée d’art et d’histoire in Genf, in Verbindung brachte, ein gewinnbringende Zusammenarbeit!
Und nochmals ganz neu war 2014 die Ausrichtung der Plastikausstellung auf „Bewegung“ – den agierenden Körper als Skulptur. Es waren grossartige Performances, die da mitten in der Stadt geboten wurden! Ich habe das sehr genossen. Bild: Willi Dorner „Bodies in Urban Spaces“.
Die letzte Plastikausstellung ist uns noch in lebendigster Erinnerung. Bei mir hat sich Skepsis im Vorfeld letztlich in viel Respekt verwandelt. Mit welcher Intensität Thomas Hirschhorn die ganzen 104 Tage begleitete – grossartig. Und indem der Chef immer vor Ort war, ist auch niemand sonst ausgestiegen, es gab keine Lari Fari-Stimmung, das allermeiste klappte wunderbar. Ich erzähle ihnen hier nur meine eigene Geschichte mit der Walser-Skulptur. Da meldete sich ein gewisser Christian Tanner bei Thomas Hirschhorn und sagte, er möchte im Rahmen der Forums-Veranstaltungen ein Robert Walser gewidmetes Leporello des Bieler Malers Benz Salvisberg vorstellen. Und erhielt – Hirschhorn war da immer flexibel und freute sich über solche Beiträge – sogleich eine Zusage. Aber Christian Tanner (wohl zwischen 75 und 80) hatte sich etwas überschätzt. Jedenfalls hatte er eine schlaflose Nacht vor dem vereinbarten Sonntagsevent. Ich kenne Christian Tanner seit den 1980ern – er war lange Zeit Vermögensverwalter und interner Berater für die Kunst-Ankäufe der Bank Julius Bär in Zürich. Ich hatte ihm versprochen zu kommen. Und als ich dann kam, kommt er sogleich auf mich zu und sagt: Du musst mich retten, mir geht es ganz schlecht, ich kann nicht. Phuu!! Aber wir machten das natürlich – führten ganz einfach ein gemeinsames Gespräch vor Publikum über dieses Leporello und so fühlte er sich getragen und ich konnte vieles aus ihm herauslocken, was er sonst wohl nie formuliert hätte, konnte den Bielerinnen und Bielern auch sagen, dass das nicht ein unscheinbarer, kleiner Mann (ein Appenzeller halt) ist, sondern ein grosser Sammler von Schweizer Kunst. Schliesslich eine geglückte Sache! Jedenfalls war der Chef der Walser-Skulptur zufrieden mit uns!
So – nun aber definitiv genug – obwohl ich unendlich viel nicht gesagt habe!!!