Was ich während der Ausstellung von Oskar Binz(1895-1957) im Rebbaumuseum im Hof in Ligerz im Sommer 2020 alles gelernt habe.

Annelise Zwez (mit Ergänzungen von Heidi Lüdi)

  1. November 2020

 

Jeder Kurator, jede Kuratorin einer Ausstellung sagt: Den Katalogtext sollte man am Ende einer Ausstellung schreiben und nicht vor der Vernissage!

Das gilt auch für Annelise Zwez und Heidi Lüdi, welche die Retrospektive Oskar Binz im Rebbaumuseum in Ligerz initiiert, vorbereitet und kuratiert haben.

Was mich anbetrifft, so sind es vor allem die Künstler, die mich auf Dinge aufmerksam machten, die ich als Kunstkritikerin nicht beachtet habe.

Es begann schon an der Vernissage: Da sagt Ulrich Studer zu den hoch oben im Giebel hängenden «nächtlichen» «Möven im Sturm» von1954, das sei kein reines Aquarell, wie wir summarisch behaupteten. Denn die Farbe Weiss gebe es nicht im Aquarell. Richtig, da war doch auch in meinem Wasserfarbenkasten stets ein kleine Tube sog. Deck-Weiss. Weiss, so der Künstler, entstehe im Aquarell dadurch, dass man das helle Trägerpapier sichtbar lasse. Das schien ihm hier nicht der Fall zu sein, dem ich beipflichtete, gesehen auf die Distanz vom Anbausaal zum Giebel. Mittlerweile bin ich nicht mehr so sicher; es braucht ein exaktes Überprüfen nach dem Herunterholen, der – im Nachhinein betrachtet – vielleicht etwas gar weit weg hängenden zwei dunklen Bildern aus den 1950ern. Es war seinerzeit mein Wunsch, sie da oben hinzuhängen, um sie abzugrenzen, um ihren Symbolcharakter als Mahnmale der Vergänglichkeit, des Todes zu betonen. Aber sie fanden so zu wenig Beachtung, merkte ich bei Rundgängen mit Besuchenden.

Ebenfalls von Ulrich Studer kommt bereits an der Eröffnung die Präzisierung, was das betont gelb-braune Aquarell von 1927 anbetrifft, nämlich dass es sich um die La Tène Bucht am Neuenburgersee handle mit Blick auf das sog. Burgunderloch und nicht eine Bielersee-Darstellung. Was ich dem profunden Kenner der La Tène Bucht glaubte. Heute krebse ich da aber wieder zurück und behaupte, dass es sich beim Standort doch um die zwischen Lüscherz und Vinelz liegende Pfahlbaustation handelt, wo es gemäss Theophil Ischer, einst ein Delta mit Pfahlbauten gab, das heute weggespült ist. Schaut man sich auf «Google Earth» den Standort an, so ergibt sich genau der Blick auf den Jolimont und die Jurakette wie er im Bild  mit einer v-förmigen Einkerbung im Nordwesten erscheint. Jetzt frägt sich nur noch, wann und unter welchen Bedingungen da die Sonne genau in der Mitte des «Trichters» steht.

Beeindruckt haben mich die Kommentare eines heute im Oberaargau wohnhaften Aargauer/Basler Künstlers mit Namen Hans Rudolf Fitze. Er selbst mache neben der Ölmalerei auch Aquarell-Experimente, aber die Aquarelle von Oskar Binz, die seien – insbesondere in den «Miniaturen» der 1920er-Jahre, nicht «gemalt», sondern «gesetzt», so fein wie jeder Pinselstrich hier Bedeutung habe. Es gibt später grössere Aquarelle, die durchaus «gemalt» sind, aber das Setzen (das Tupfen) bleibt immer präsent, z.B. um das Rascheln im Blätterwald gleichsam malerisch «hörbar» zu machen. Mit Pointilismus hat das freilich nichts zu tun, denn die «Tupfen» haben immer einen naturalistischen Hintergrund, sind Blätter, Gräser, feine Bewegungen des Wassers oder funkelndes Mondlicht auf der Oberfläche des Sees.

Ganz besonders gilt diese Gleichzeitigkeit von Malerei und faszinierender Verfeinerung, die jedes Bild «lebendig» macht, für das grossformatige Aquarell, das Oskar Binz in einem Brief an Pöik-Freund Meier als «Bei der grossen Linde auf der Insel» situiert und auch die Arbeitszeit definiert: Sommer u. Herbst 1933 (Foto: Ausschnitt). Und den Preis: 2’500 Franken. Meier hat im Laufe langer Freundschaftsjahre immer wieder Werke von Binz gekauft, daher wohl der «Wink mit dem Zaunpfahl». Die 2’500 Franken sind ein guter Preis für 1933 – ganz im Gegensatz zu den sehr bescheidenen Preisansätzen in seinen jährlichen Ausstellungen in der Ilge und anderswo.

Herausgefunden wo sich Binz in den 1930ern ein so grosses Papier hätte besorgen können, hat leider bisher niemand.

H.R. Fitze hält fest, dass das Bild liegend habe gemalt werden müssen, da es sonst Spuren von Farbe hätte, die nach unten geflossen ist. Da dies kaum vorstellbar ist in Bezug auf die Grösse von 150×230 cm, gilt wohl der Einwand von Daniela de Maddalena (Künstlerin Biel), dass Binz die Fluidität der Farbe sehr wohl habe so dosieren können, sodass nirgendwo nach unten fliessende Farbe zu entdecken ist. Was einmal mehr die Meisterschaft Binz in Bezug auf seine Technik bestätigt. Die Transparenz, die «Immaterialität» des Aquarells war ihm wichtig, sie war aber auch immer deutlich Malmittel, das Anwendungs-Eigenschaften erfüllen musste. Bernadette Walter fügt hinzu, dass der Übergang von Aquarell zu Gouache oft ein schwer abzugrenzender sei.

Unbeantwortet ist die Frage, ob es diese von Binz genannte «Linde» immer noch gibt!?

Lieblingsbild des Publikums war ganz eindeutig das stehende respektive «umgefallene» Berner Münster, das Oskar Binz 1957, nur wenig Monate, vielleicht nur Wochen (?) vor seinem Tod, malte, wohl nach einer irgendwo publizierten Abbildung. Laien wie der Kunst Nahestehende waren allesamt verblüfft und schmunzelten.  Das Vorlesen des auf die Rückseite geschriebenen Gedichtes war  bei jeder Führung Pflicht.

Dass er selbst nach Bern gereist wäre und das Münster von einem passenden Standort aus skizziert hätte, ist nicht anzunehmen. Denn mit Ausnahme einer kleinen Aare-Landschaft von 1927, einiger Torbogen in La Neuveville und ein paar wenigen, während Ferien im Tessin oder in den Bergen (Schnee/Matterhorn) entstandener Aquarelle, ist die Gegend des Bielersees von Biel bis Erlach inklusive Achere (Tüscherz) Rebberg und Petersinsel absolut dominant.

Es gab Besuchende, die das als Enge sahen (z.B. Benedikt Loderer). Das ist richtig und falsch zugleich. Es macht Binz zum Regional-Maler, richtig. Aber gleichzeitig gab und gibt es in der Kunst immer wieder Kunstschaffende, die ein Leben lang «dasselbe» machten und doch nie dasselbe. Man denke an Niele Toroni, der stets Abdrucke mit seinen Pinsel Nr. 60 machte und doch immer neue Situationen schuf. Oder an die Date Painting von On Kawara. Oder die endlose Zeit-Raster-Sinfonie von Hanne Darboven.  Auch bei Binz ist dieses Verharren eine Art Konzept: Zum Beispiel um von immer und immer wieder neuen, ev. nur winzig anderen Standorten aus die «göttliche Ordnung» von Wasser, Erde, Feuer (Licht), Luft darzustellen. Untermauert wird das in den Landschaften durch das weitgehende Ausblenden des täglichen Wetters. Maja Dahler machte mich darauf aufmerksam, dass das Wasser des Sees fast immer still oder fast still sei, eine Fläche, die darauf wartet, dass sich das Ufer, das Schilf, die Insel, die Bäume darin spiegeln, um von der Einheit der Elemente zu «erzählen».

Jürg Rufener, ein Cousin, ein Wanderer par excellence, meinte, er glaube Binz diese Spiegelungen nicht – Spiegelungen gebe es zweifellos, aber so oft und überall wie bei Binz einfach nicht. Die habe er bewusst hinzugefügt, um seine persönliche Sicht (Vision) einzubringen. Seit er das sagte, schaue ich immer wieder auf den See und habe noch kein schlüssiges Gegenargument gefunden.

Umsomehr als es unterstützt wird vom Faktum, dass Binz kein Pleinair-Maler war. Unterwegs skizzierte, notierte er, prägte sich die Farben, die Schattierungen, die Wolken, die Spiegelungen (?) ein und abstrahierte dies alles zuhause zum Bild. Einerseits sehr exakt, andererseits eben auch frei, zum Beispiel durch das Weglassen jeglicher zivilisatorischer Elemente (die Zugslinie Neuenburg Biel zum Beispiel ist nirgendwo zu sehen!).

Das ergibt in der Zusammenfassung einen Maler, den man noch stärker als «Interpreten» der Natur am Beispiel der Bielersee-Gegend bezeichnen muss als ich das bisher gemacht habe. Gleichwohl wäre der Begriff «erhaben» wie er im 19. Jh. verwendet wurde, fehl am Platz. Wie er auch in der ca. 1923-1933 kalligraphisch wunderbaren Schrift zur Perspektive, die (Halleluja!) während der Ausstellungsdauer in einem Exemplar wieder zum Vorschein kam, festhält, ist der «Naturalismus» die einzige Möglichkeit, um der Wirklichkeit Ausdruck zu geben. Von den Strömungen der Moderne in der Kunst hält er gar nichts! Er zeigt dies in seiner für ihn weltanschaulich prägenden Schrift exemplarisch auf.

In alledem versteckt sich nicht zuletzt eine künstlerische Haltung, die an der Basis in der dem Spiritismus zugewandten Klima der Zeit um 1900 (Weltausstellung Paris) entspricht wie wir sie in der Kunst in der Schweiz insbesondere von Ferdinand Hodler, aber auch seinem Malerkollegen Albert Trachsel her kennen, wie sie international aber natürlich auch für Kandinsky, Mondrian u.a.m. massgebend war und nicht zuletzt auch Rudolf Steiner – das heisst die Anthroposophie – miteinschliesst. Erwähnt sei auch Johannes Itten!

Oskar Binz’ Ausstrahlung war regional – aber sein Oeuvre widerspiegelt – zeitlich etwas verspätet – ein Klima, wie es die Kunst in der Schweiz und in Europa prägte.

Erlaubt sei hier ein Hinweis auf einen Vortrag von Andreas Meier von 2020, in dem er im Zusammenhang mit Karl Walser auf den Bieler Zeichenlehrer Jakob Häuselmann (1822-1891) aufmerksam macht, der eine Farbenlehre im Geist Goethes und Winckelmanns verfasste. Was vereinfacht so viel heisst wie Spiritualität und griechischen Klassizismus kombinierend. Diese Farbenlehre des Bieler Progymnasiums-Lehrers fand Eingang in den Bernischen Zeichenunterricht und prägte mehrere Generationen, von Karl Walser bis sicherlich auch immer noch Oskar Binz. Konkret kann man Oskar Binz’ stets betont exaktes Schaffen, seine klare Stellungnahme für den Naturalismus auf der einen Seite und seine reiche, differenzierte, über das Kolorit selbst hinaus Bedeutung annehmende Farbgebung auf der anderen Seite als Bezug zu Häuselmann interpretieren. Eine interessante These!

Der einstige Direktor des Centre Pasquart und grosse Kenner der Bielersee-Malerei hat sich die Ausstellung von Oskar Binz in Ligerz eingehend angesehen und in der Ausweitung auf das nun bekannte Gesamtwerk ab den 1910er-Jahren als wichtige Ergänzung in der Erforschung der Malerei am Bielersee gewertet.

Eigentlich war geplant, dass der «Spaziergang» im Rahmen der Bieler Tagung der Karl Walser Gesellschaft am 25. Oktober in die Ausstellung führt, doch hat die Corona-Pandemie dies letztendlich leider verunmöglicht (die Tagung wurde in letzter Minute abgesagt).

Was die beiden Kuratorinnen summarisch erkennen durften, ist, dass die Hängung der Ausstellung, das Bilden von thematischen Gruppen etc. auf sehr positives Echo stiess. Ebenso der «Kommentierte Rundgang zur Ausstellung», der auch Personen, die nicht an einer Führung teilnehmen konnten, vertiefte Informationen bot.

Auch meine Broschüre mit der künstlerischen Biographie des Künstlers  stiess auf viel Lob, wenn auch das Gesamtecho (vor allem aus der Ecke der Kunstgeschichte) und die Verkaufszahlen des Heftes bescheiden blieben. Wie ich/wir auch ganz allgemein zur Kenntnis nehmen mussten, dass das Echo und die Besucherzahlen zwar regional erfreulich waren, aber kaum über die Region hinaus gingen (eine mir wichtige Ausnahme: Der Besuch des Luzerner/Solothurner Künstlerpaares Marie-Theres Amici und Ruedi Blättler).

Auch das Medienecho blieb sehr bescheiden. Tobias Graden, u.a. Kulturchef beim Bieler Tagblatt, schrieb gleich zu Beginn der Ausstellung eine tolle, mehrere Seiten umfassende Reportage, die nicht nur viel Publikum nach Ligerz lockte, sondern auch eine Vielzahl von bisher unbekannten Binz-Bildern auslöste. Ja sogar die seit Jahrzehnten als verschollen geltende plastische Mona Lisa, die Oskar Binz in seiner Biographie für das Schweizerische Künstlerlexikon erwähnte, kam bei einer Frau Sommer-Wüthrich (+80) in Biel wieder zum Vorschein!! Heidi Lüdi hat sie besucht. Sie hatte die Büste 1978 beim Tod ihrer Mutter geerbt. Diese wiederum hatte sie von Frau Binz-Bammert, Ehefrau von Bruno Binz, einem Bruder von Oskar Binz, die in Biel ein Corsage-Geschäft betrieb und bei welcher die Mutter dieser Frau Sommer arbeitete. Als sie ihr Geschäft aufgab, überliess sie die «Mona Lisa» ihrer Angestellten. Leider konnte sie sich ein Leben ohne die Mona Lisa in der Stube nicht vorstellen, sodass sie nie in der Ausstellung gezeigt werden konnte. Auch im Kontakt mit der Verwandtschaft von Oskar respektive vor allem Maria Binz-Bichsel kamen viele zusätzliche Bilder und Informationen und auch die erwähnte Schrift zur Perspektive zum Vorschein. Heidi Lüdi weiss hiezu mehr, ebenso zu den Umständen wie einige wenige Bilder von Oskar Binz als Geschenke Eingang in die Sammlung des Museums fanden.

Zu weiteren Transfers kam es nur in bescheidenem Mass. Zu erwähnen ist das Aquarell, das als Vorlage für die Einladungskarte genutzt wurde, das durch Ankauf Eingang fand in die bei Jani und Doris Binz-Gehring in Bolligen bei Bern vorhandene Sammlung an Werken von Oskar Binz.

Ferner eine grün betonte Bielersee-Landschaft von 1943, die ebenfalls den Besitzer wechselte. Überdies konnten zwei weitere, kleine, nicht in der Ausstellung gezeigte Arbeiten von Oskar Binz kverkauft werden. Generell fragten viele der aus der Umgebung stammenden Besucher nach, ob die Bilder käuflich erworben werden könnten oder ob es nicht wenigstens Postkarten der Bielersee-Aquarelle gebe.

 

Angemerkt sei auch, dass gegen Ende der Ausstellung die Originalskizze zur Offset-Lithographie, die auf das Winzerfest von 1935 aufmerksam machte und vermutlich 1939 als Werbeplakat für Walter Engel an der Landesausstellung in Zürich diente, bei einem Kunsthändler zum Vorschein kam. Da wurde sie von Hans-Jürg Aeschlimann (alt Bärenwirt/Twann) erworben. Die Skizze zeigt allerdings nur das zeichnerische Porträt von Dori Arni (Beyeler-Arni) ohne die Bielersee-Landschaft, in die sie in der Lithographie gestellt ist. Diese Skizze diente auch als Vorlage für eine Etikette.

 

 

Ein weiteres Mädchen in Sonntagstracht, Hedi Bärtschi-Vordemwald, konnte dank einer Besucherin nun auch identifiziert werden. Auch dieses Trachtenmädchen, hoch über Twann und dem Bielersee sitzend, wurde als Weinetikette gedruckt und in den 1930er Jahren verwendet.

 

 

Zu den rund 120 in der Ausstellung gezeigten Bildern kamen nun Meldungen von weiteren 80 Arbeiten von Oskar Binz hinzu! In der Regel sind es einzelne Bilder, verstreut und in Privatbesitz. Im Oktober meldete sich noch eine aus der Familie Bichsel stammende Dame aus Grossbritannien, die mehrere Binz-Bilder auf die Insel mitgenommen hatte. Es zeigte sich, dass in der Familie von Meieli Bichsel Binz, bei ihren Grossneffen und -nichten, noch etliche Bilder verblieben sind. Hier haben wir wohl zu wenig nach dem Verbleib der Erbschaft nachgefragt und insistiert.

 

 

Überraschungen bei den zusätzlich gefundenen Bildern gab es wenige, und doch: einige Stillleben und Intérieurs (oft betont in blau!) zeigen das Oeuvre von Binz nochmals von einer neuen Seite. bei den zusätzlich gefundenen Bildern gab es wenige, und doch: einige Stillleben und Intérieurs (oft betont in blau!) zeigen das Oeuvre von Binz nochmals von einer neuen Seite.

 

 

 

 

Und es gibt noch eine zweite Soldatenmarke aus der Hand von Oskar Binz auf der ein Soldat stehend mit Gewehr, Helm und Rucksack abgebildet ist. Er ist nur von hinten zu sehen und schaut – man ist fast versucht zu sagen «träumerisch» – auf den Bielersee und die von Binz so geliebte St. Petersinsel.