Ansprache anlässlich der Vernissage der Ausstellung von Daniela de Maddalena: „An die Wand und um die Welt“ – die Wandbilder zum Rebjahr und die Performances der Reisen mit „Nine Dragon Heads“ sowie Objekte.
- Oktober 2022 Engelhaus Twann
Heute ist ein besonderer Tag. Insbesondere für die Künstlerin Daniela de Maddalena und mich, die wir beide während vollen 5 Jahren gemeinsam am Projekt „Das Weinjahr in vier Wandbildern im Dorfkern von Twann“ gearbeitet haben und das heute zum Abschluss kommt. Besonders aber auch für alle, die eine Wegstrecke Teil des RedWy-Teams waren und das Unternehmen mit Rat und vor allem auch Tat mit vorangetrieben haben. Konkret: Roman Mürset, Gerhard Engel, Regina Hadorn und Ruedi Wild. Dem letztgenannten gebührt an dieser Stelle ein Sonderdank für seinen Einsatz für diese Ausstellung!
Besonders ist der heutige Abend aber vor allem für die Gemeinde Twann-Tüscherz, denn sie spielte von Anfang an die Hauptrolle in diesem Bilder-Stück. Ihr wollten wir – so das Kern-Profil des RedWy-Teams – Lebendigkeit vermitteln, dem schmucken Winzerdorf ein Upgrade seiner Attraktivität geben. Damit sich der Charakter des Dorfes als ein in der Vergangenheit wie in der Gegenwart dem Rebbau verpflichtetes Dorf zeigt – in vier Wandbildern an vier Fassaden vom Schlössli am Eingang des Dorfes (siehe Bild) bis zum Aebischerhaus nahe der Kirche.
Um die als Must zu einer Ansprache gehörenden Danksagungen nicht geballt an den Schluss zu stellen, sei hier expressis verbis den vier Liegenschaftseigentümern gedankt, die dem RedWy-Team ihre Fassaden zur Verfügung gestellt haben, will heissen Stephan Ruff, Theo Tschanz, Roman Mürset und Werner K. Engel.
Im Original kann man die Bilder nur bei einem Gang durchs Dorf finden und betrachten. Hier aber erzählen sie anhand ausgewählter Fotos von ihrer Geschichte, wie sie entstanden sind, wie viele Schritte es brauchte bis aus den Fotografien im Rebberg die für eine künstlerische Umsetzung geeigneten Kompositionen gefunden waren.
Ich mache hier eine Klammer: Wer denkt, die Wandbilder seien simpel und einfach auf eine Haus-Fassade übertragene fotografische Illustrationen, der hat damit nur einen Aspekt erkannt, nämlich die Erzählung. Eine solche war von Anfang an gewollt, sollten die Bilder doch das Rebjahr vom Schneiden im Winter zu den Laubarbeiten im Sommer, zum Läset im Herbst und zu den Arbeiten im Keller aufzeigen, aber das ist – wie gesagt – nur ein Aspekt. Es sollten zugleich gute Bilder im Sinne der Tradition der Malerei sein, Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund in Einklang bringen, die für die Malerei so wichtigen Diagonalen berücksichtigen, mit dem Licht, mit den Farben spielen, Lebendigkeit evozieren, uns ins Bild hineinziehen, um das erzählte Geschehen mitzuerleben. Sprich: Aus der Fotografie musste zwingend eine künstlerische Dimension entwachsen. Und hiezu war der erste Schritt die Wahl der Fotografie – Daniela de Maddalena war es stets ein Anliegen, dass die Basis die analoge, das heisst die dem realen Abbild verpflichtete Fotografie blieb und möglichst wenig am Computer verändert wurde. Ganz konnte sie dieses Credo nicht durchziehen, aber weitgehend – die Winzerin, die den Wein im Keller prüft, stand beim Fotoshooting tatsächlich genau da und die beiden jungen Winzer auf den Leitern trugen tatsächlich Zwillingsjacken in rot-schwarzem Karo-Muster….
Kommen wir zurück zu den Schritten auf dem Weg zum Bild:
Ein Abenteuer war zuweilen schon das Markieren der exakten Grösse auf der Fassade zuhanden des Baugesuches – denken Sie zum Beispiel an Bild II mit den Laubarbeiten in luftiger Höhe über dem Rösselet-Brunnen; da musste eine Hebebühne organisiert werden, damit Roman Mürset und Theo Tschanz mit Meterstab und Wasserwage und Klebestreifen – solchen die auf einer Fassade auch tatsächlich kleben! – die Grösse, die Winkel, die Waagrechten und Senkrechten festlegen konnten.
Und dann das Gerüst! – Es braucht einiges bis Daniela de Maddalena sich sitzend oder stehend oder kletternd auf einem Gerüst sicher fühlt! Darum hier entre parenthèse ein ganz besonderer Dank an Fredi Hirt, an die GLB Lyss, an Matthias Stalder für ihr Sponsoring und das Eingehen auf die Sicherheitswünsche der Künstlerin.
Und schliesslich – als Wichtigstes – die Malerei, das Wählen, das Mischen der Keimfarben. Und dann: Wo beginnen, wo die wichtigsten Farben von Anfang an setzen – sie bestimmen die künftigen Referenzierungen! – wie das Blau des Himmels und das Grau des Felsens in Bild I ins Gleichgewicht bringen, wie verhindern, dass das grüne Laubbild nicht eine grüne „Sauce“ wird, sondern ein lebendiges, vielfältiges Grün-Spiel. Wie mit dem Läset-Bild das Tun im Vordergrund und die Weite der Bielersee-Landschaft in eine nicht nur kompositorische, sondern auch malerische Balance bringen usw.
Es gäbe mehr zu sagen. ABER: Ich will dem zweiten Teil der Ausstellung, der mir und der Künstlerin wichtig ist, gleich viel Raum in dieser Einführung geben.
In der Kulturinsel sehen wir auf einem grossen Monitor – Dank an Thomas Batschelet, der ihn uns freundlicherweise zur Verfügung stellt – mehrere Videos in einem Loop. Sie zeigen Daniela de Maddalena nicht als Malerin, sondern als Performerin und – mit einer Ausnahme – auch nicht hier in der Gegend, sondern in der Mongolei, in einer Jurte im Norden Chinas oder (dies in der Küche) in einem ausgedienten Bahnhof in Istanbul.
Die gemeinsamen Nenner sind – äusserlich – dass sie alle im Rahmen von Ausstellungen, Aktionen, Präsentationen der Künstlergruppe „Nine Dragon Heads“ stattfanden und – künstlerisch – dass sie eine Interaktion zwischen der Künstlerin und Menschen vor Ort oder ev. auch einer speziellen Situation vor Ort zum Inhalt haben.
Lassen sie mich zuerst erzählen was die „Nine Dragon Heads“ denn eigentlich sind und wie es kommt, dass Daniela de Maddalena (und eine Weile auch ich selbst) mit der Gruppe unterwegs waren respektive die ganze Crew nach Biel einluden und hier 2011 ein sogenanntes „Symposium“ abhielten. Da ist zunächst der „Guru“ (was nicht religiös zu verstehen ist), der Koreaner Park Byoung-Uk, der ursprünglich zeitgenössische Künstler*innen aus aller Welt nach Korea holen wollte, um einen neuen, umweltbewussten Geist in die koreanische Kunstszene zu bringen. Dann folgte das Domino-Prinzip. Zu den ersten aus der Schweiz gehörte die in Prêles wohnhafte susanne muller; sie lud einiges später Daniela de Maddalena und dann auch mich ein. Ich vergesse nie, wie es hiess: Wir treffen uns – fast wie einst Schweik nach dem Krieg – am 18. September 2012 um 19 Uhr in einem bestimmten Restaurant in Istanbul. Und dann kamen sie: Aus den USA, der Türkei, Korea, Neuseeland, England, Frankreich, Südafrika, Österreich… Und auf einmal war das beeindruckende Erlebnis des Globalen ein kleines Rund an einem gemeinsamen Tisch. Das ist der Geist der „Nine Dragon Heads“.
Es folgen dann keine Ferien-Gruppen-Reisen – oder nur sehr bedingt – sondern Expeditionen mit dem wachen Geist, wie ihn nur Kunstschaffende ständig begleitet. Unvergesslich bleibt mir eine Szene entlang einer semi-wüstenartigen Autostrasse in China, wo unser Tross Halt machte, weil ein Auto fehlte. Am Strassenrand lag eine Reihe von umfangreichen Beton-Röhren. Es ging keine zwei Minuten bis die ersten auf allen Vieren in die Röhre vordrangen und das Echo verschiedener Töne auszuloten begannen und schon bald von verschiedenen Punkten aus zu kommunizieren anfingen und ein «Konzert» entstand, gar nicht so unähnlich der aktuellen Sound-Installation im Centre Pasquart in Biel.
Alle hatten aber auch immer Visionen, Ideen, Projekte im virtuellen Rucksack, die sie an vorbestimmten Performance-Tagen umsetzten. Daniela de Maddalena wollte zum Beispiel – dem Reise-Gedanken der «Silk Road» von China bis Venedig entsprechend – wissen, was einem in den «Southern Mountains» nahe der Auguren-Stadt Urumqi lebenden Jurten-Bewohner ein «Swiss Army Knife» wert ist. Sie hatte dazu einige aus der Schweiz mitgebracht. Mit Händen und Füssen und rudimentärer Übersetzung verhandelten die beiden in der wunderschön farbig ausgekleideten Jurte über Wert und Gegenwert, kamen zuerst zu keinem Resultat und dann doch; einen Teppich ist ihm das Messer mit den vielen Klingen wert. Ein solcher Teppich ist etwas Kostbares. Die Künstlerin ging nicht nonchalant damit um, sondern nahm den Gegenwert dieses und anderer Tausch-Geschäfte mit nach Hause und jetzt ins Engelhaus.
Die Künstlerin hat zu jedem Video einen kurzen Text geschrieben, damit die Zusammenhänge für die Besuchenden der Ausstellung verständlich sind. So kann ich noch ein paar Worte zu den Kranichen sagen. Für die Nine Dragon Head-Koreareise von 2019 war vorgegeben, dass die Teilnehmenden etwas vorbereiten, das mit dem Standort der Ausstellung in der Nähe der Demarkationslinie zwischen Süd- und Nordkorea (2019 herrschte da gerade ein klein wenig Tauwetter) in Verbindung steht. Daniela de Maddalena – inzwischen mit vielen koreanischen Traditionen vertraut – wusste, dass den Koreanern – genau wie den Japanern – Wunsch-Rituale, Wunsch-Symbole emotional sehr wichtig sind. So auch das Falten von Kranichen, denn jeder 1000ste – so heisst es – gibt einen Wunsch frei. Was an einer Grenzlinie zwischen zwei unfreiwillig getrennten Volksgruppen zweifellos Sinn macht. So machte sich die Bieler Künstlerin an die Arbeit – nicht allein (man stelle sich vor 1000 Kraniche!) sondern zusammen mit befreundeten Bielerinnen und nahm die 1000 weissen Papiervögel mit nach Korea und stellte sie da in einer ihr zugeteilten Koje aus, einen neben dem anderen und alle – und da wird es dann schon fast sakral – vor einer grossen, hochformatigen, naturalistischen Zeichnung eines Kranich. Auch diesmal: Wegschmeissen kam nicht in Frage. Und so sind sie den heute alle da, der 1000ste frei im Raum hängend.
Ich könnte noch lange weiter erzählen. Doch ich will ihre Aufmerksamkeit nur noch einen Moment «strapazieren» – mit einer Überraschung. Gehen wir zurück zum Wandbildprojekt. Sie haben es vielleicht gelesen, beim letzten Wandbild gab es Differenzen zwischen dem RedWy-Team und der Baukommission der Gemeinde; unser Vorschlag von zwei Bildern auf einer Fassade, mit dem Ziel auch das Abfüllen des Weines in die Flaschen mit ins Rebjahr hineinzunehmen, wurde abgelehnt. Ok. Aber unser Problem war: Die Künstlerin hatte bereits viel dafür gearbeitet und ging nun ohne Honorar aus, obwohl dieses im Budget vorgesehen war. Mich machte das unglücklich, bis mir die zündende Idee kam. Ich erinnerte mich, dass es zu Wandbild II – jenes über dem Rösselet-Brunnen – ein grossformatiges, malerisches Gouache/Acryl-Bild auf Papier gab (rechts im Bild). Warum also nicht dieses rahmen lassen, der Künstlerin abkaufen und es der Gemeinde Twann-Tüscherz schenken, damit in ihrer Sammlung nicht einfach nur Dokumentations-Dossiers sind, sondern auch als pars pro toto ein physisches Zeichen in Form eines Bildes. Gedacht, dem Team vorgeschlagen und mit dem positiven Beschluss zu Nik Ziegelmüller nach Vinelz gefahren, um die Idee umzusetzen. Und jetzt ist es da – und ich darf es hier und heute und jetzt Gemeindepräsidentin Margrit Bohnenblust zuhanden der Kunstsammlung der Gemeinde Twann-Tüscherz schenken.
Darauf stossen wir nun an! – Das Buffet ist eröffnet – dem Engelhaus und dem Wein-Sponsor Stephan Ruff – sei Dank und die Lust auf Gespräche nach rechts und nach links hoffentlich reich.
Ich danke fürs Zuhören.