Vernissage-Ansprache anlässlich der Ausstellung von Berndt Höppner in der Galerie im Rössli in Balsthal
- 9. Juni 2024
Annelise Zwez
Seien sie alle herzlich gegrüsst
Berndt Höppner hat der Ausstellung, in die ich sie hier und heute einführen darf, einen wunderschönen Titel gegeben: «kreuz und quer und irgendwie hin zu serendipity». Ich schaue in die Runde und spüre wie viele sich jetzt gerade fragen: Was genau ist schon wieder «serendipity»? Weil es mitsamt dem kreuz und quer und irgendwie so programmatisch ist für das bis in die späten 1960er-Jahre zurückreichende Schaffen von Berndt Höppner, will ich es ihnen anhand von Informationen, die ich in Wikipedia gefunden habe, erläutern:
«Serendipity bezeichnet, so steht da, eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist.» Und genau das macht Berndt Höppner. Er findet etwas, sei es in einem Buch, das ihn an etwas aus seinem Leben erinnert, sei es ein Objekt, angeschwemmt am Strand von Genua, wo Berndt und seine Frau Chris seit 1985 immer wieder weilen, sei es – wo auch immer. Er betrachtet es, schmunzelt vielleicht, setzt es dann um in eine Zeichnung, kombiniert es – die «33 Pezzi» auf der 3 Meter langen Zeichnung in Raum 3 zeigen es sehr schön – er kombiniert es mit einer, manchmal auch zwei «Störebenen» (das ist ein Zitat!), Störebenen, die das Eindeutige sogleich in etwas assoziativ Zweideutiges oder gar Vieldeutiges umwandeln. Berndt Höppner fordert uns heraus genau hinzuschauen, denn es braucht eine Weile bis man die Mehrfach-Ebenen erkennt und auch dann scheitert man noch, wenn man sie in Worte fassen will. Vermutlich müsste man sich literarisch annähern und nicht analytisch. Bild: Ausschnitt 33 Pezzi.
«Serendipity» stammt ursprünglich aus einem Märchen eines persischen Dichters aus dem 13. Jahrhundert. Darin machen drei Prinzen auf einer Wanderschaft viele unerwartete Entdeckungen, die sie lustvoll zu Erzählungen verbinden. Auch das macht Berndt Höppner genau so.
Wenn wir nun nicht in einem grösseren Werk kombinierte oder in einzelnen Arbeiten auf verschiedensten Träger-Materialien gezeichnete Pezzi (Stücke) betrachten, sondern die neueren, grossformatigen, auf weiches Pappelholz gezeichneten Arbeiten wie das «Lustgebüsch», das auf dem Flyer zur Ausstellung abgebildet ist, oder die von kräuselnden Wellen «meergerundeten Selbstlinge», so sind die «Fundstücke» hier kleine bildhafte Ereignisse – ein Astloch zum Beispiel – oder winzig kleine Krümel oder – nicht unbedeutend (!) – ein Musikstück, das anklingt und dann zeichnerisch weiter klingt.
Serendipity hat noch eine Dimension mehr. Es wird in unserem Sprach-Kosmos insbesondere seit dem 19. Jh. auch mit einem «glücklichen Zufall» in Verbindung gebracht. Das geht zurück auf zwei Kernsätze, die man dem französischen Naturwissenschafter Louis Pasteur in den Mund legt: «Der Zufall», so soll er gesagt haben, begünstigt den vorbereiteten Geist» und dann: «Wer darauf vorbereitet ist, sieht das Glück eher». Auch das ist ausgesprochen relevant für das Schaffen von Berndt Höppner. Denn der Zu-Fall (mit Bindestrich!), der ja immer eine Erkenntnis bringt, spielt nur dann, wenn sich etwas Neues – etwas Gefundenes – mit etwas verbindet, das in unserem Gedächtnisspeicher bereits vorhanden ist. Und nun stellen sie sich einmal vor, was da bei einem Künstler, der seit dem 1968er-Aufbruch künstlerisch unterwegs ist, was sich da alles angesammelt hat, vieles weit abgetaucht ins Unbewusste, aber nichtsdestotrotz immer noch vorhanden.
Nehmen wir – auf einer ganz einfach fassbaren Ebene – ein Beispiel ins Visier. Anfangs der 1970er-Jahre weilt Berndt Höppner in Afrika, u.a. im damaligen Rhodesien. Das ist kurz bevor er nach einem kürzeren Aufenthalt in Köln, in Zürich ansässig wird, als Künstler und ab 1980 auch als Dozent an der ZHdK (die Zürcher Hochschule der Künste). Viel, viel später – inzwischen mit seiner Familie im Raum Biel wohnhaft – entdeckt er durch einen «glücklichen Zufall» in einem Antiquariat ein völker-kundliches Buch mit Schwarz-Weiss-Abbildungen zu Leben und Landschaft in verschiedenen Ländern Afrikas. Sofort kommt ein ganzes Bündel an Erinnerungen in ihm hoch. Weil er, so der Künstler, damals gerade in einer Linolschnittphase gewesen sei, habe er die Buchseiten einzeln herausgelöst und als Träger für eine Serie von Linolschnitten verwendet.
Man kann sie als Bild-Kommentare aus dem genannten Serendipity-Gedächtnis-speicher bezeichnen. Wer nun aber plötzlich an all die postkolonialistischen Kunst-Kommentare junger Kunstschaffender – erwähnt sei die eben eröffnete Ausstellung von Dunja Herzog im Kunstmuseum Solothurn – wer daran denkt, liegt zumindest teilweise falsch. Berndt Höppner ist – wie alle wichtigen Kunstschaffenden – ein kritischer Geist, arbeitet aber viel subversiver, persönlicher, lustvoller als direkt politisch. Die 13 Drucke von 1997 mit dem als Zitat aus dem Buch heraus genommenen, geheimnisvollen Titel «Ine toro vu biri» (zu deutsch: «Ich habe davon geträumt») fanden alle in kleine Rahmen, aber nie an die Öffentlichkeit. Und so ist denn die wie Buchseiten aufgereihte Präsentation im Gewölbe-Raum eine Première.
Das Buch, der Text, die Buchstaben, die Schrift sind auch in anderen Arbeiten direkt oder indirekt von Bedeutung.
Etwas anderes: In einem Gespräch im Hinblick auf einen Zeitungstext sagte mir Berndt Höppner einmal sinngemäss, er bedauere das Publikum, denn wenn wir, die Ausstellungsbesuchenden, dazu kommen, dann sei die Kunst schon weg. Denn sie finde im Moment des Entstehens statt, wenn alles im Fluss sei, wenn die «Erzählung» (in Anführungszeichen), wenn die Erzählung von einem Ding zum andern hüpfe, die Assoziationen tanzten und er sich nahe an «Serendipity» fühle, dem Glück. Agnes Martin, die berühmte amerikanische Künstlerin der Minimal Art, die fast nur waagrechte Streifen malte, sagte einmal, sie male nur, um zu diesem Glücksgefühl zu gelangen.
Für Berndt Höppner ist diese Aussage nicht einfach lockeres Geplänkel. In der Zeit als er intensiv mit Objekten und realen Fundgegenständen arbeitete wie wir einige im Schaufenster respektive im Gewölbe-Raum sehen, nahm er eine Einladung von Dolores Denaro – damals Direktorin des Centre Pasquart in Biel – zum Anlass, mit seinem ganzen Atelier in die Salle Poma einzuziehen und während der ganzen Ausstellungsdauer daselbst eine sich täglich verändernde Komposition zu schaffen. Am Schluss löste er sie wieder auf. So wie ein Konzert eben irgendwann zu Ende geht.
Ich bin überzeugt, dass viele Kunstschaffende, die heute hier sind – darunter auch ehemals bei Bernd Höppner in Zürich Studierende – seinem Votum insgeheim beipflichten.
Ohne dies in Frage zu stellen, erlaube ich mir aber anderer Meinung zu sein. Und ich denke, ich habe dabei die Musiker und Musikerinnen an meiner Seite. Sie haben Notenblätter vor sich und interpretieren die Kompositionen indem sie in die Welt der Klänge eindringen, sie zum hüpfen und tanzen bringen, hinauf und hinunter, laut und leise, schnell oder langsam. Und genau das kann ich auch, wenn ich Kunst betrachte und dann halt nicht den Serendipity-Speicher von Berndt Höppner oder anderen Kunstschaffenden spielen lasse, sondern meinen eigenen, im Austausch mit dem was ich vom Künstler und seiner Biographie und seiner Denkweise her weiss.
Interessant und gerade in Bezug auf die neueren Arbeiten keineswegs überraschend ist, dass Berndt Höppner selbst einen musikalischen Hintergrund hat. Mit 9 Jahren – damals mit seinen Eltern und seinen Geschwistern im Schwarzwald lebend – habe er, so erzählte er mir beim Mittagessen im Hotel Balsthal letzten Sonntag, damit begonnen Geige zu spielen. Bis in die Zeit der Grafik-Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Basel in den frühen 1960er-Jahren und einige Zeit danach sei insbesondere die Kammermusik, das Spiel im musikalischen Dialog mit anderen, sehr wichtig gewesen. Auch heute sei die Musik – die klassische, aber auch viele andere musikalische Ausdrucksformen – immer noch sehr wichtig für ihn, wenn auch nur noch passiv und nicht während der künstlerischen Arbeit, nicht am Zeichentisch. da sei er sich selbst Instrument.
Auch wenn ich die Kunst von Berndt Höppner nicht linear als Musik bezeichnen möchte, so gibt mir dies doch einen wichtigen Ansatz, um selbst mit seinen «Notenblättern» zu spielen. Werk Nr 3 hier im Raum, das mit einem Augenzwinkern Schubert zitierend «Idee:unvollendet» heisst, gibt ganz besonders Anlass dazu, sind hier Klangbewegungen markierende Notenlinien und sogar eine Art Vibraphon-Schlägel unmittelbar zu erkennen.
Nun ist es an ihnen, ihre eigenen Lieder zu singen. Ich danke fürs Zuhören.