Newsletter VI für Website azw (Juni/Juli 2024)

Die Fülle der Ausstellungen, die ich gesehen und über die ich nachgedacht habe, drängt nach einem Newsletter: VI 2024. Was will ich kommentieren?

Giacomo Santiago Rogado in Thun, Dunja Herzog, Marie Verlardi und die Tröndles in Solothurn? Vereinzelte Ausstellungen am Zurich Art Weekend, die Swiss Art Awards? Jim Shaw in Biel/Bienne, Kiki Kogelnik im Kunsthaus Zürich, die Venus von Muri?

Swiss Art Awards

Da ich mich detailliert mit den Swiss Art Awards befasst habe, sind sie gesetzt.

Bereits zum zweiten Mal habe ich den Eindruck, die Eidgenössische Kunstkomission (Vorsitz: Raffael Dörig) habe mit den Auszeichnungen einen Kontrapunkt zur gleichzeitig stattfindenden Kunstmesse setzen wollen, konkret: Positionen herausheben, die für Galerien uninteressan, weil sie nicht vermarktbar sind ; Positionen, die sich noch sehr stark  in einem experimentellen Zustand befinden. Die Reihe der Fotos, die ich hier integriere, sollen es illustrieren. Das spricht nicht explizit gegen die Preise für (zum Beispiel) Akosua Viktoria Adu-Sanyah (*1990 Bonn/Zürich – experimentelle Fotografie) oder Lou Masduraud (*1990 Montpellier/Genf) – Installation mit Kupfer und Wasser, und andere mehr. Aber es verzerrt die Schweizerische Kunstszene.

Anders ist es, betrachtet man die 55 (!) Nominierten, von denen seit der Neuaufteilung der Gelder für das BAK und die Pro Helvetia  nurmehr wenige Preise vergeben werden können (heuer deren 9).  Unter den Nominierten  findet man auch traditionellere Medien wie Malerei (z.B. Dimitra Charamandas, Rita Siegfried), Objekte/Skulpturen (z.B. Yves Scherer), Installationen mit ästhetischen Valeurs (z.B. Valentina Pini), auf Performance ausgerichtete (Marc Norbert Hörler), installative Videos  (z.B. Rhona Mühlebach). Hier ergibt sich summa summarum ein interessanter Spiegel, der, seit die Finalist*innen für ihren Auftritt eine Entschädigung erhalten, auch finanziell stimmt.

Unbedingt erwähnt werden muss die diesjährige Szenographie der Ausstellung, für die das im Vorjahr ausgezeichnete Architektenbüro «detrituts» (Lausanne) mit dem Projekt «Gum Gum» zeichnet. Kern sind Doppelwände, die sich öffnen lassen, um in dahinterliegende temporäre Hotelzimmer für Finalist*innen zu gelangen. Das ist originell. Weniger hingegen die geradezu gefängnisartig-starren Gänge mit den Zugängen zu den einzelnen Kojen, ganz abgesehen, dass sich die dem BAK gehörenden Stellwände in einem deutlich renovationsbedürftigen Zustand befinden. Immerhin gab es ein Art Lounge für die Präsentation der Meret Oppenheim-Preise und ein freundliches Café.

 

 

 

Kiki Kogelnik

Differenziert nachgedacht habe ich auch über die von Catherine Hug kuratierte Ausstellung der österreichischen Pop-Art Künstlerin Kiki Kogelnik (1935 – 1997) im Kunsthaus Zürich. Trotz meiner Affinität zu Werken von Frauen dieser Generation  muss ich gestehen, dass ich das heute einer in NY domizilierten Stiftung gehörende Werk bisher nicht gekannt habe.

Beginnen will ich allerdings mit einem interessanten (auch amüsanten) Intermezzo, das man mit «Sam Francis und die Frauen» überschreiben kann. Francis wohnte ab 1955 zeitweilig in Bern, wo er eine Liaison mit der Berner Künstlerin Lilly Keller (1929-2018) einging, was in ihrem Schaffen nachhaltige Spuren hinterliess. Francis heiratete dann aber nicht sie, sondern die Japanerin Teruko Yokoi (1924-2020), die er in NY kennen gelernt hatte und mit welcher er ab 1960 in Paris (und Bern) lebte. Die Ehe hielt nicht, vermutlich weil Francis gleichzeitig auch eine Liaison mit Kiki Kogelnik hatte, welcher er ab 1961 sein Atelier in NY überliess. Yokoi nahm nach einer zeitweiligen Rückkehr nach Japan definitiv in Bern Wohnsitz, wurde zur Berner Künstlerin, während Kogelnik nach der Episode Francis in NY blieb und eine Pionierin der Pop Art wurde. Man kann den Kopf schütteln, Fakt ist nichtsdestotrotz, dass Francis das Schaffen und/oder die Biographie der drei Frauen massgeblich und keineswegs negativ beeinflusste.

Kogelniks Bilder der ersten Phase in NY sind vom Umfeld des abstrakten Expressionismus der Zeit geprägt. Dann aber kommt sie in Kontakt mit den Pionieren der aufkommenden Pop Art (z.B. Roy Lichtenstein, Tom Wesselman, Claes Oldenburg) und richtet ihr Schaffen darauf aus. Körperlichkeit steht von Anfang an im Zentrum, in den Marylin-Bildern noch stark abstrahiert oder in Objekt-Skulpturen gespiegelt, später betont figürlich. Früh interessiert sie sich für Roboter und auch die Raumfahrt – zeichnerisch und plastisch umgesetzt in figürlichen *Erzählungen». Der Feminismus bleibt ihr nicht verborgen – gipfelt in den Performances und Installationen mit den sog. «Hangings» aus Vinyl – zeigt sich auch im Bild «The painter», das ihr erarbeitetes Selbstbewusstsein als Künstlerin spiegelt. Der Feminismus wird aber inhaltlich nicht zum persönlichen Anliegen der Künstlerin.

Gerade bei einer Retrospektive, die auch eine Wiederentdeckung ist, stellt sich die Frage, warum gerade jetzt. Wie Catherine Hug schreibt  dazu in einem der hilfreichen Kurz-Saaltexten sinngemäss, dass sie die frechen, posenhaften Darstellungen der  70er-Jahr-Figuren, die subversiv an Modemagazinen und der aufkommenden Punk-Szene Mass nehmen, als Vorläufer der Art und Weise wie sich junge Frauen auf Social Media präsentieren, sehe und somit hochaktuell seien. Daher kommt auch der  Titel der Ausstellung «Now is the time», der auch Titel eines Werkes von 1972 ist.

In der Folge weitet Kogelnik ihre Ausdrucksweise inhaltlich und materiell (Keramik!), wobei eine kritische Sicht auf die Welt immer deutlicher wird. Für mich sehr schön dargestellt im Bild «Misthaufen» von 1984. Es mag sein, dass ihre Wut auf die Welt auch durchaus autobiographische Hintergründe hat, denn das bewundernswerte Selbstbewusstsein, das ihre Werke ausstrahlen, bedeutete nicht, dass sie eine vom Kunstmarkt verwöhnte Künstlerin war, als Frau in den 60er/70er/80er-Jahren. Ein Brief von 1970 in einer Vitrine macht das eindrücklich klar.

Ihr Spätwerk mündet in eine sich mit dem Tod beschäftigende letzte Phase, denn 1992 wurde bei ihr eine Krebskrankheit diagnostiziert und 1997 stirbt die Künstlerin im Alter von 62 Jahren.

Venus von Muri

Als drittes Kapitel drängt sich mir die «Venus von Muri» auf, auch im Vergleich mit dem «eiligen Geist» im Kloster Schönthal. Beide Ausstellungen behandeln ein ortsspezifisches Thema, beide stehen im Dialog mit einem Kloster. Damit hören die Gemeinsamkeiten  eigentlich auf, doch ist da auch beidseits der ausgesprochene Wunsch,  mit dem Ausstellungsprojekt einen Dialog mit den vor Ort lebenden Menschen herzustellen. Das entspricht dem museologischen Trend, die Türen zu öffnen, die Kunst in den Dienst einer kreativen Auffächerung zu stellen und breite Kreise einzubeziehen. Das ist grundsätzlich positiv zu sehen.

Was hier wie dort dabei teilweise leidet, ist der künstlerische Anspruch, sind Kunstwerke von herausragender Qualität. Was Steiner/Lenzlingers Pilgerreise nach Schönthal anbetrifft, so habe ich davon auf Facebook berichtet. «Venus von Muri» nimmt Bezug auf die demnächst 1000jährige Geschichte des Klosters Muri, in welcher – wen wundert es – die Frauen praktisch fehlen. Daher die Idee von Peter Fischer (Leiter des Singisgen-Forums in den Klostergebäulichkeiten) und seiner Partnerin Brigitt Bürgi eine Ausstellung auszuschreiben, die nach der Geburt oder dem Verbleib oder dem heutigen Auftritt der Venus in diesen 1000 Jahren fragt. Das macht Sinn und zumindest bei einigen der rund 60 Werke hält man auch schon mal den Atem an. Beginnen wir gleich mit meinem Highlight. Sara Masüger (*1978) hat aus Acrystal zwei gegenläufige schlangenähnliche Kriechtiere geschaffen, die sich da, wo sie aufeinander treffen aufbäumen, sich anschauen (küssen?) und vielleicht zur Venus von Muri verschmelzen.

Gerne wäre ich einem Werk begegnet, das radikal mit der frauendiskriminierenden, patriarchalen Hierarchie der katholischen Kirche umgeht. Doch das liess die political correctness des Ortes offenbar nicht zu. Am ehesten kommt die Porträt-Serie von Kathrin Bänziger (*1950) meinem Wunsch entgegen (Bild). Sie hat, Ernst Blochs «Prinzip Hoffnung» folgend, die Konterfeis von sieben Murianer Würdenträger aus dem 19. Jh. in Frauenporträts umgewandelt. Im Äpte-Keller platziert kommt die Konfrontation gut zur Geltung.

Nicht zuletzt weil auf der Basis von Recherchen erarbeitet, hat mir auch «scriptum est» von Michaela Allemann (*1964) – ebenfalls im Äptekeller –  gut gefallen. Ihr Bücherturm verweist darauf, dass Muri im 11./12. Jh. ein Doppelkloster war und auch später stets mit dem verselbständigten Frauenkonvent von Hermetschwil verbunden war. Die Frauengeschichte von Hermetschwil wurde indes nie gewürdigt.  Der pinkfarbene Bücherturm vor goldenem Grund und verbunden weiss gespritzten, getrockneten Nigella Damascena («Die Venushaarige») holt dies nun nach indem Allemann auf die Buchrücken die Namen der Hermetschwiler Meisterinnen und Äbtissinnen  mit ihren Lebensdaten drucken liess.

Zu meinen Favorites gehören im Übrigen das Video von Victorine Müller, das die Künstlerin in noch «verpuppter» Form in einer Erdschicht zeigt, gleichsam auf die Geburt wartend; und auch die Geschichte der Hypatia von Alexandria, einer ägyptischen Mathematikerin und Philosophin, die im Mittelalter mutmasslich zur Hl. Katharina wurde und in Muri durch eine Glasmalerei präsent ist (Marlène Pichler * 1992).

Zahlreiche Künstlerinnen gingen darauf ein, dass in Muri das Herz der Kaiserin Zita begraben ist, so u.a. Klodin Erb und Irène Naef. Persönlich gefallen mir die eher rätselhaften, mystischen Arbeiten jedoch besser. Genannt sei  hiezu auch noch die kleine, silberne Dose von Sadhyo Niederberger, in deren Innerem eine Venusfigur versteckt ist. Es gäbe mehr zu erwähnen.

Für heute ist Schluss.