Neben meiner Tätigkeit im Bereich der zeitgenössischen Kunst, widme ich mich  – aufgrund der familiengeschichtlichen Dokumente im Fraubrunnenhaus in Twann – auch immer wieder historischen Themen. In diesen Kontext ist der folgende Beitrag zu setzen. Der genannte Sigmund Conrad Irlet ist mein Ur-,Ur-,Ur-Grossvater!

Sigmund Conrad Irlet (1757 – 1934) Twann      Auszüge aus seinem Tagebuch von 1787

Vortrag im Rahmen der Barocktage in Solothurn 14. August 2025

Annelise Zwez

Conrad Sigmund Irlet wurde 1757 als ältester Sohn des Rebschaffners Abraham Irlet und seiner Frau Anna Barbara Vogel im sog. «Buchsee»-Haus in Twann geboren.  (BILD) Das Haus ist direkt mit der Kirche verbunden, da es früher das Pfarrhaus war. Zu Zeiten der Irlets ist es das Herbsthaus der Landvogtei Münchenbuchsee, die aus einstigem Besitz des Klosters Münchenbuchsee Reben am See besitzt. 1835 wird das Haus abgerissen, um dem Strassenbau durch Twann Platz zu machen.

Um zu verstehen, was es mit seinem handgeschriebenen Tagebuch auf sich hat, muss man sich zuerst der gesellschaftlichen Parameter, des Bildungsstandes der Zeit in einem Winzerdorf wie Twann am Bielersee bewusst werden. Twann ist weder Bern noch Paris!

Dass er das Tagebuch von 1787 zwei Jahre vor der französischen Revolution und 11 Jahre vor dem Einmarsch Napoleons in die Schweiz schreibt, kann er nicht wissen.

Er weiss auch nichts von den «Leiden des jungen Werther» von Johann Wolfgang von Goethe, die 1775 – vielleicht erstmals – persönliche Befindlichkeit ins Zentrum eines deutschsprachigen Buches stellen.

Und doch sind Spuren davon in Irlets Aufzeichnungen enthalten. So ist  zum Beispiel die Zeit um 1787 so etwas wie ein konjunktureller Höhepunkt in der Geschichte der «Ancienne République de Bern», was sich im Leben der Landvögte – Irlets Vorgesetzten – spiegelt. Vertreter der Berner Aristokratie waren in stattlicher Zahl im Dienst des französischen Königs und kamen als reiche Leute aus der Metropole Frankreichs zurück und verhalfen der Wirtschaft und der Kultur zu einem zuvor nie erreichten Aufschwung, was sich auch im finanziellen Spielraum der Landvögte spiegelte. Zumindest bis sich dann Napoleon an der Bernischen Staatskasse gütlich tat… und nicht nur die alte Gesellschaftsordnung, sondern auch die monetären Grundlagen Berns in den Abgrund stürzte. Noch ist es nicht so weit.

Für die Zeit von Sigmund Conrad Irlet ist festzustellen, dass das Amt eines Rebschaffners kein 12-Stunden-Job während 7 Tagen die Woche war. Für den Landvogt von «Buchsee» war wichtig, den vereinbarten Wein geliefert, eine korrekte Jahresrechnung zu erhalten und im Weinmonat standesgemäss beherbergt zu werden. Dafür wurde er nicht fürstlich, aber ordentlich entlöhnt, Geld war vorhanden. Da blieb ihm also ziemlich viel Zeit für andere Tätigkeiten, z.B. um zu fischen, zu jagen, Handel zu betreiben oder für eine Kur im Worbenbad oder… für die Musik, die er über alles liebte. Dies nicht zuletzt weil für so banale Dinge wie Wäsche waschen, kochen etc. die Mutter zuständig war. Der Vater war 1785 gestorben, er ist somit seit dann Rebschaffner und somit in gehobener Stellung.

Ganz wichtig zu vergegenwärtigen ist auch, dass es 1787 noch keine Allgemeine Schulpflicht gibt. Diese kommt offiziell erst 1848. D.h. man lernte in der Schule in Twann zwar lesen und schreiben und rechnen. Aber nur auf Basisstufe. Das heisst, ein Tagebuch schreiben, war eine Herausforderung in weitgehend unbekanntem Terrain.

Auch wenn wir im Alltag Schweizerdeutsch sprechen, so ist uns durch ständiges Lesen hier und dort die hochdeutsche Sprache selbstverständlich und wir wissen mehr oder weniger um die Grammatik, die Satzstellung, kennen die Schriftbilder der Worte. Conrad Sigmund hingegen musste sich ständig überlegen, wie er ein berndeutsches Wort, das er vom Hören her kannte, in eine mögliche schriftliche Form bringen konnte. Dass ihm das nicht immer gelang, liegt auf der Hand. Dass er auch manchmal Flüchtigkeitsfehler machte, falsche Buchstaben verwendete ebenso. Dennoch ist es ein grosser Gewinn, dass er es als einer der wenigen seines Gesellschaftsstandes versuchte (und dies durch glückliche Umstände bis heute einsehbar ist). Und dann noch eine wie mich da ist, die sich die Mühe nimmt, die Alte Deutsche Schrift à la façon de Sigmund Conrad Irlet zu entziffern obendrein. So einfach ist das nämlich nicht! (Bild)

Dass er dabei von alltäglichen Verrichtungen, vom Austausch mit Münchenbuchsee oder von einem Unfall in der Stadt Bern berichtet, ist nicht ungewöhnlich, auch nicht dass er ein begeisterter Offizier war, der liebend gerne exercierte und stets dafür sorgte, dass sie zur Unterhaltung eine Musik bekamen. Ungewöhnlicher ist, dass er über sein Los, auch mit 30 Jahren immer noch nicht verheiratet zu sein, berichtet, dass er sich seiner eigenen Gefühle, seines Verhaltens in bestimmten Situationen bewusst zu werden versucht. Darüber sprach man doch (noch) nicht! Zu ihrer Beruhigung: Er fand dann doch noch eine Frau, heiratete 1795 die Schwester seiner Schwägerin….so konnte die Geschichte weitergehen…

Doch steigen wir einmal ein: (Bild)

Das Tagebuch beginnt «Hornung, dies 12» – und schon sind wir bei den ersten Fragezeichen. «Hornung» – welcher Monat ist das nun? – Wikipedia weiss es selbstverständlich: der Februar! Und der Kalenderrechner weiss, dass das ein Montag war. Ok. Offenbar eine gute Zeit um am Ausgang der Twannbachschlucht zu fischen. Uns interessiert weniger, dass er an diesem dies 12 total 25 Stuk gezogen, als vielmehr die folgende Notiz zu Chorichter Gabern (Namen sind schwierig zu lesen, weil es oft keine bekannte Referenz gibt, d.h. ich konnte sie nicht mit der Hälfte der Buchstaben erraten). Item, dieser Chorrichter setzt seine Hechtschnur am selben Ort wie Irlet, weil er diesen Plaz schon alzeit gehabt hätte. Und dann: gestert hatte Er ein Hecht an der Schnur, und da es heiligen Sontag wahr, konnte Er sich nicht enthalten, und ohngeachdet Er Chorrichter wahr, gieng Er der Hecht an der Schnur zu löhsen, ohne zu denken dass sie der Strasser vor etwelch Jahr, für 45 bz am Chorgericht, für das nemliche am gleichen ohrt gestraft haben und zweymal vor dem ChorGricht erscheinen Musste.

 

Und wieder gibt es Fragen. Was ist ein Chorrichter im 18. Jahrhundert; warum schreibt Irlet das so? KI weiss hiezu eine Antwort. Ein Chorrichter ist ein von der Kirchen-Obrigkeit eingesetzter Richter, der für die Einhaltung der Moral und des Kirchenrechts vor Ort zuständig ist. Somit verstösst dieser Chorrichter gegen die kirchlichen Vorschriften, für die er selbst verantwortlich ist. Diese gehen zu der Zeit offenbar so weit, dass man nicht einmal einen Hecht von der Angel lösen darf am Sonntag. Unbegreiflich. Heute würde das nicht befreien des Fisches gegen das Tierschutzgesetz verstossen und bestraft!

Bald darauf ist in Nidau ein Begräbnis angesetzt :

Hornung ds: 18. Ist Hl Meyer und etwelche Grichtsesser von hier und ich zu Fuss an das Leichenbegr..stund(?) von Hl. Landvogt von Büren auf Nydau gegangen, es war eine traurige Leiche, jedermann bedauerte, der verlust eines so würdigen Mannes

der leichnahm wurde in der Kirchen im Chor begraben, und dessen begleit bestund also zuerst und vor aus giengen die beamdeten in der ganzen Vogtei, so… farb trugen, nachdem die Leiche, welche 10 Rathsheren von Nydau trugen, beyde Söhne und der dochtermann volgten Ihnen nach, widrum die verwanten, die Herren Landvögte, Hl. Meyer venner, und burgermeister von Biel, und der Ganze Rath, widrum der ganze Rath zu Nydau, und die Bürger und guten Freunde, es wahren erstaunlich viele leute gegenwertig bloss der halbe Theil konnte sizen in der Kirchen

Frau Landvögti liess das Grab für 2 Personen machen, weil sie verlangte dass mann sie dahin begraben sollte, sie möge Sterben wo sie wolle.

Merz ds: 1. bin ich an den BielMarkt gegangen

n : M : bin ich und Hl. Chirurgus Lehnen auf Arberg gegangen, und alda übernachtet.

ds : 2. Ist Hl. Lehnen auf Frinisberg vor audienz gegangen und   —-

Ich bin auf Buchsee geritten mit einem Pfärt, ich traf Wohlg. Landvogt nicht bey Hause an, ich musste auf Bern, alwo ich Ihn angetroffen habe, ich verrichdete meine Cummihsionen, und bin 5 Uhr verreiset bis Arberg, alwo ich widrum Übernachdete   —  Ich hatte Starken luft und es Regnete alzeit bis auf Aarberg

Der Alltag des Rebschaffners.

den 3.’ Habe in der Landschreiberey zu Mittag gespiesen, und nach 3 Uhr bin ich verreiset nacher Hause.

ds : 9. Ist mein Schwager mit mir auf Latringen kommen unser aber in Augenschein zu nemmen, und abzumessen, die Latriger wollen uns mehr Bodenzins aufladen als wir schuldig sind, aber wir glauben nichtsnichts (?) mehr zu bezahlen als vorher

ich denke, das kommt uns einigermassen bekannt vor, dass der Steuervogt mehr will, als man der Meinung ist, bezahlen zu müssen – da hat sich nichts geändert in den letzten 250 Jahren!

Dann weiter:

….ob dem Häusli ist ein Haas vor meinem Schwager aufgangen, ich war unden am Rein, hatte das gewer an der Schulter, und die Handschu an, dies alles gieng ein wenig langwierig zu, ich hab noch geschossen, aber gefält.

Dass man aus hier nicht einsichtigen Gründen ein Gewehr über der Schulter trägt, ist für Sigmund Conrad Irlet und ganz allgemein  nicht ungewöhnlich – die Jagd spielt an, auf und am See eine wichtige Rolle. In den Einträgen um den 9. Merz ist von Schnäpfen, Moosenten und Eichhörnchen die Rede. Man bedenke: der Lebensraum für Tiere war vor 250 Jahren noch unvergleichlich grösser als heute und die Populationen entsprechend umfangreicher.

Als eifrige Gärtnerin habe ich über einen Eintrag vom 21. Merz gestaunt. Da steht:

Habe ZukerMelonen kernen in zerbrochenen Flaschen und in Garten gesezt

Ich hatte zuvor nicht gewusst, dass das Klima im ausgehenden 18. Jahrhundert so war, dass Zuckermelonen gediehen und eigentlich auch gar nicht, dass diese damals hier schon heimisch waren. Hingegen erinnerte ich mich, dass meine Mutter neben die Zuckermelonensetzlinge stets ein Stück Glas steckte, um die Sonnenwärme zu verstärken.

Informativ ist ein Eintrag vom 24. Merz:

ds: 24. Habe früh 40 burdi Bikel auf Erlach übersent für Wohlg. Major de Graffenried, von Ins     zugleich hatten wir Rebvisitation in Wohlg. halb und drittel Reben.

Was genau  Irlet mit Graffenried verband, weiss ich nicht, stelle mir aber vor, dass die Rebgut-Besitzer der verschiedenen Landvogteien miteinander in Kontakt waren, ev. – wie hier – Handel betrieben. Die «Bikel», die hier erwähnt sind, meinen höchstwahrscheinlich keine Pickel, sondern Stickel, an welchen die Reben angebunden wurden. Der Vermerk der Rebvisitation zeigt, dass die Rebschaffner als Fachleute galten. Die «halb und drittel Reben» verweisen auf das Verhältnis zwischen Besitzer und Pächter. Bei Halbreben ging der Ertrag je zur Hälfte an beide, bei den Drittelreben vermutlich ein Drittel an den Besitzer und zwei Drittel an den Pächter.

Der nächste Eintrag zeigt wie im Bereich der Gesundheit jedes Ereignis das Potenzial einer Gefahr in sich trägt:

ds: 29. Wollte ich mit meinem loget auf Biel gefahren aber mein vorhaben ist gestört worden, der ober luft kam plözlich, das ich gezwungen war mein loget zu Tüscherz zu lassen, und zu fus auf Biel gehen,

auf der Schal habe zu Mittag gespiesen, um 3. Uhr habe noch der The mit Ihnen getrunken, nach welchem ich verreiset bin, ich hatte ein Brief auf die Post zu thun,

im heruntergehen auf dem Weiber Markt, hatte ich das unglük in ein Nagel zu Tretten, der mir durch die solen bis an Kopf in fuss gegangen, ich konnte selbigen mit grosser Mühe widrum ausziehen, man hat mir angegeben ein halbglas voll krautenwein in Schu zu schitten, und mich nacher Hause zu begeben welches ich bevolgt habe.

Was wir uns unter einem «Loget» vorzustellen habe, konnte ich nicht herausfinden. Das Wort erinnert an das heutige «Logis», also eine kleine Wohnung, aber hier ist wohl ein kleines Segelschiff damit gemeint.

Das Ereignis ist aber der ziemlich sicher rostige Nagel, in den er getreten ist. In den Einträgen ist bis Mitte April  – also gut zwei Wochen lang – stets von den Schmerzen im Fuss die Rede, von Umschlägen, die er machte, davon, dass er im Bett blieb wegen der Schmerzen, nicht zu Fuss gehen konnte usw.….da hat er sich zweifellos eine zünftige Blutvergiftung zugezogen – etwas, das – in extremis –tödlich sein kann.

Doch die Schmerzen durften ihn nicht von seinen Pflichten gegenüber der Obrigkeit entbinden, denn da kommt am 30sten ein happiger Brief:

ds: 30. …..heute bekam ich ein Expressen mit einem Brief von Wohlg. Landvogt von Buchsee, mit befehl von Wohlg. den steueren einverzeichnus der abgetrettenen oberkeitlichen halbreben, und wir es eine bewantnus habe diesselbig zu bearbeiten, welchen befehl ich Ihnen widrumn durch den Expres die antwort übersent

Am 10. April ist er zu einem Konzert bei Hl Dittlinger eingeladen. Von Musik war bisher nicht die Rede, gewesen aber im Verlauf des Jahres wird immer deutlicher: Sigmund Conrad Irlet mochte Musik sehr. Musik spielte im Militär, d.h. bei Exercicien wie er sie liebte, eine wichtige Rolle, aber da war noch etwas anderes, das nur eine Vermutung ist. Das Buchseehaus, in dem er aufwuchs und in dem er lebte, war mit der Kirche verbunden, wo es eine Orgel gab. Und – so stelle ich mir vor – dass der kleine Sigmund schon in frühen Jahren in Kontakt mit dem Organisten respektive Orgelmusik kam.

Unter diesem Aspekt kommt der  folgende Eintrag nicht mehr gar so überraschend. Da steht nämlich am 14. April:

Zu Bern habe der Jungfer Meley Ihr kleines piano forte, von Hl. Hählen abgekauft für 10 Louis d’ors, welches für 13 ist gekauft worden. (BILD)

Anfänglich war ich bass erstaunt und konnte auch nicht einordnen, warum dieser Rebschaffner nun ein Klavier kaufte – als Beweis, dass er sich dem gehobenen Bürgertum nahe fühlte? – konnte er denn überhaupt darauf spielen? – und was konnte ein solches Instrument in Twann für eine Bedeutung haben?

Im Verlauf der Zeit wurde klar, dass es sich um ein Tafelklavier handelte – das ist das erste Piano Forte, bei dem die Töne durch das Anschlagen von Hämmerchen erzeugt wurden und nicht mehr (wie beim Cembalo) durch Zupfen. Es war klein und für Hauskonzerte gedacht. Und:  der Verweis auf die Werkstatt der Gebrüder Hählen in Bern dokumentierte die Herkunft des Instrumentes. Wie eingangs erwähnt, war Bern in einem konjunkturellen Hoch, sodass es ein Bürgertum gab, dass sich eine Funk-Kommode – eine andere wichtige Provenienz in Bern damals – oder ein Hählen-Piano leisten konnte und somit einem solchen Handwerk die finanzielle Basis gab.

Und dann kam mir die Vermutung mit der Orgel…

Und tatsächlich erlöst das Tagebuch dann die Zweifel:

Zunächst berichtet er am 21. Mai, dass das Pianoforte geliefert wurde. (Hier das älteste Foto, das ich davon habe, wohl um 1910/1920 aufgenommen.

Und am 1. August findet sich der Eintrag:

Augstmonath den 1. ist ein Musikant zu mir kommen wir haben über 4 Stunden Lang miteinander musiciert mit den Violin und dem Clavecen

Und am 16. November fand ich den Eintrag:

den 16. haben wir Rüben eingemacht, es waren viele bey uns die uns geholfen haben       nachdem wir fertig waren habe Ihnen etwelche schöne Lieder auf dem Clavier gespielt und gesungen zarzu.

 Ein ganz anderes, wiederkehrendes Kapitel ist das Militär. Sigmund Conrad ist Officier in einer niedrigen Charge. Von eigentlichen militärischen Übungen ist indes nie die Rede, immer nur vom Exercieren, die für ihn fast so etwas wie eine Performance waren und von den Versammlungen, der Musterung, der Neuverteilung von Chargen. Das Wort «Krieg» gibt es nicht. Offenbar fühlte sich niemand von irgendetwas bedroht. Obwohl in dieser Zeit die ersten Kolonialkriege stattfanden und auch zwischen europäischen Ländern (z.B. England und den Niederlanden) kriegerische Auseinandersetzungen stattfanden. Aber das alles war weit weg.

Mai 10: Hatten wir die Oficier Musterung zu Walzen-Weil, ich bin nicht eingestanden weil ich mich tags vorher übel in daumen gehauen habe

Alle Oficier haben im Stok beisammen  zu Mittag gespiesen, und nach dem auf Arberg, aber alle aussert mich sind widrum auf Walzen-Weil gegangen, ich hatte mein quartier bei der Kronen

Mai 11: war Bataillions-Musterung zu Arberg, ich bliebe allda, zugleich habe bekanntschaft mit hl. Jungfer (?) Zimmermann von Reüben welche ich auch eingeladen habe auf den Morndrigen Tag auf Walzen-Weil an unsere Generals-Musterung zu kommen weil ich Ihr sagte dass wir Oficier vom Bataillion einer Subcripion gemacht und wir vanden Musikanten, von Bern beschikt uns Musik zu Machen zur Abwechslung.

Mai den 12: bin ich mit meinem Bruder früh auf Walpers-Weil gegangen, wie wir auf das feld kamen war das Bataillion schon beinahe fertig in Schlachtordnung die Musikanten haben einander wechselsweis abgelöst, es war schön, und gefiel jedermann, Wohlgeb. Obrist Gruner war wohl zufrieden, die sohldaten waren Still und aufmerksam.

Nach 11 Uhr war alles fertig, und wir zogen auf Walpers-Weil es waren schon 6 döchteren alda von Arberg welche wegen starkem luft nicht auf das feld kommen wollte

samtliche Hl. Oficiers waren am Tische bis 3 Uhr in welche Zeit wir auf schöne Tafelen-Musik hatten, nachdem wir alle Gesundheiten angebracht ist Wohlg. Obrist, und Hl. Majoren verreiset

Wir haben obige herren mit der Musik bis zur Gutschen begleidet, im zurük kommen habe die dischen im Stok lassen wegen thun, und habe die döchteren von Arberg eingeladen in Stok zu kommen, wessen sie auch willig waren, wir haben alda gedanz bis 8 uhr, aber niemand blieb so lang alda von Twann als Hl. Hubler und ich.

Ein Tagebuch besteht aus vielen kleinen Anmerkungen, die zusammen erst ein Bild geben.

So fällt zum Beispiel auf, dass sich ab Mai – wir haben es auch im Zitat zur Genralsmusterung gehört – die Einträge zu weiblichen Bekanntschaften häufen. Immer wieder ist er in Biel auf der Schal und trifft sich da – mit mehr oder weniger Glück – mit der Jungfer Perro, bringt ihr Bücher zum Lesen und vor allem ist da auch seine Base Rosina Hubler, die offenbar für einige Zeit im Buchseehaus lebt und sich mit Sigmund Conrad ausgezeichnet versteht. Die zwei sind wie Bruder und Schwester und keine andere Jungfer kann dem Vergleich Stand halten. Das Liebesleben war schon damals nicht einfach.

Ob einem Eintrag habe ich mich amüsiert, zeigt er doch dass «Sonntagsbrunch» schon damals in Mode war:

Sonntag, den 10. Juni  vor 6 Uhr morgens sind meine Basen Hubler und Hl. Grichtschreiber Engel und ich auf den Twann Berg wir haben alda deschinert Chogola mit guter Nidlen, früscher butter und Ziger, und zulezt kalte Nidlen, wir waren vor 11 Uhr widrum bei hause

Oder, etwas ganz anderes:

Am 18. Juni fuhren Daniel Gerster und Irlet mit dem Fischerweidlig zur Ziehlbrüg, mit dem Ziel im Neuenburgersee zu fischen, doch sie erhielten von den Fischern daselbst keine Unterstützung, es kam ein Regenwetter und starker Wind auf, sodass sie daselbst übernachten mussten.

Zu dieser Nacht  (und nicht nur dieser) schreibt er anderntags:

Ich hab nicht wohl geschlaffen, wiewohl ich erst nach Mitternacht ins bette gieng, den ich wurde von den Wanzen übel geblagt, und ware froh widrum aufzustehen, nach 8 Uhr sind wir widrum zurük gekommen, und 12 Uhr widrum hier angelangt wiewohl ich nich zu neuenstat bei einer Stunde aufgehalten

Es muss ein wüchsiges Jahr gewesen sein, denn schon im Mai ist am Bielersee «Heumonat»: So finden sich da selbstverständlich auch Einträge hiezu:

den 19 habe die alte Matten zu Lattringen mähen lassen zugleich haben wir das Häü

von der neuen Matten heim gebracht wir konten nicht alles under ein mahl

nemmen Ohngeachtet wir ein grossen Weidling hatten

den 20 haben wir unser Häü heim gebracht von der alten Matten den 25: in der Kros gemähet den 27: das Häü heimgebracht

Dann gibt’s aber wieder ein einmal Zoff:

den 25. Gieng ich zu fuss auf Bern, weil ich bin berufen worden von …. oberst Tscharner und ….oberst Gatschet zur undersuchung ….

Denn die in Bern haben festgestellt, dass bei den von Irlet betreuten halb Reben, die Rebleüth die Bodenzinspflichtigen Reben alle abandoniert haben

schön wie sich hier (und nicht nur hier, auch andernorts) ein französisches Wort eingeschlichen hat: abandoniert – von abandonner – aufgeben, vernachlässigen, nicht mehr bewirtschaften. Und: Sobald Irlet ein solches Wort einfügt, schreibt er es mit den Buchstaben unserer heutigen Schrift.

Vielleicht ist die Unterredung in Bern der Grund, dass da auch die Klage notiert ist:

bin auch Heüte am Rechten kein Lohn geworden (?)

Dramatisch ist Folgendes:

den 29. kam eine Kaz zu unser Hünner und nahm eins davon und gieng in das Hünner Haus selbiges zu vertranchieren

Unsere Magt  kam darzu und dat das Türlein zu und sagte mir dass es die nemliche Kaz ware so seit meiner abwesenheit schon 3 Hünner genommen

gut sagte ich so soll das das Letzte sein

ich nahm mein gewer, und der Knecht die ofengable, aber die Kaz wollte nicht hinaus, sonder liess sich vom Knecht dot schlagen.

Und noch viel Dramatischeres ereignet sich am 9. August, als Irlet eben von der Schal respektive der Jungfer Perro zurück kommt:

Ich bin zu fuss heim kommen, wie ich hier angelangt, habe eine Traurige Nuvellen vernommen, ein weidling von Neuenstat kam zu Biel, in welchem auch frauenzimmer waren, und zum unglük,  schlechte Schiffleüt

 vor dem Bach fiel ein uhrenmacher in See, und die Schiefleut waren ungeschikt geschwinde zum unglüklichen zu fahren Ihne zu Erretten, und mussten Ihn sehen sinken und der Junge Mensch musst da sein Leben enden, es wurde gleich anstalt gemacht weil man Ihnen zugesehen hat, in ersten Mahl hat man der unglükliche mit der angler bekommen, Hl. Lehnen lies Ihme gleich zur ader und brachten Ihn zur Lillian ins Wirzhaus, alwo man die möglichste hilfe ..zwar fruchtlos.. gethan hatte.

Man kann das als Unfall bezeichnen, aber nachdem nur wenige Wochen später der Gevatter von Sigmund Conrad (der ist der Taufpate) des nachts beim drehen seines Segelschiffs auf Bug in den See fiel und nicht gerettet werden konnte, weil es dunkel war, und einige Jahre später Sigmund Conrads Bruder Abraham im See ertrinkt, verbirgt sich in den Ereignissen die Erkenntnis, dass die Menschen im 18. Jh. noch mehrheitlich nicht schwimmen konnten. Was mir unerklärlich ist.

Doch dann ist Irlet schon wieder auf der Schal, diesmal mit einem Geschenk für die Jungfer Perro:

Traf  (die Jungfer) alda bey hause an,

 Hl. Perro und frau giengen bald aus, ich war über 2 Stunden einzig bey der dochter,

bisdahin glaubte ich nichtgar wohl für sie zu seyn,

ich tat ein versuch, ich hatte ein Gläslein bey mir worin ein kerzlein von fosvor ware, wenn man blözlich ein Licht verlangt so bricht man das Gläslein, und das kerzlein  drin brönnt von sich selbst,

Interessant ist, dass die Google-KI behauptet, dass es im 18. Jh. noch keine Phosphorlampen gab. Im Kleinen und sogar am Bielersee aber doch!

ich offerierte es Ihr, und Sie nahm es mir willlig ab, weiters habe nichts reden dörfen wiewohl mein herze sehr darnach verlangt mich bey ihr zu Etschuldigen,

Oh je!

Ins Kapitel «dramatisch» gehört auch Folgendes:

Herbst den 8. bin ich zu fuss auf Nydau gegangen, hatte alda ein Pferd bestelt, für auf Buchsee, nach dem Mittagessen bin verreiset , in 4 Stunden war ich zu Buchsee

den 9.  nach vormittag hatten wir vernommen, dass es zu Bern brönte,  um dass sehr stark,

Wohlg. Landvogt sagte Er wolle nach dem Mittag Essen auf Bern fahren, zu sehen wie es ausehe, ich gieng mit Ihm, in  einer Stunde waren wir in der Stadt,

es hat würklich traurig ausgesehen, das feur ware zwar schon gedämpft,  die Münz (?) ist völlig abgebrant, worin Wohlg. ein erstaunlichen Schaden erlitten,

Wohlg. Venner Steiger sein Haus ist hinden verbrönt, dem Hl. ZollSchreiber Lombach ist mit dem Wasser sehr viel Schaden gethan worden,

alda ist ein Mann zu dot gefallen, hinder dem Rathaus sind 8 unglüklich worden, welche man in die Insel geführt hat.

das feur ist in der Münz entstanden.

Wohlg. Landvogt und ich sind nach 4 uhr widrum auf Buchsee verreiset

Nur wenige Tage später auf der Schal:

n.M. gieng ich auf die Schaal, Alle waren bey hause ich bin höflich Empfangen worden,

heute ist das zweyte Mahl, dass ich in dem Hause frey reden konnte, vorher war ich so forchtsam zu Reden, so dass wen ich anfangen wollte zu reden mein herz schon pochte und mich verhinderte das zu Reden was ich vorher im sinn hatte, es ware ohnmöglich wiewohl ich mir allen Zwang angethan, mich darvon zu entwennen,

jetzt begreife ich erst der grund und ursach von meiner innerlichen Forcht, Nemlich, die zwey Letzten mahl gieng ich als freund auf die Schaal, und nicht in der hofnung mich beliebt zu machen, den ich glaube, dass Jungfer Perro, Vatter und Mutter gehorsamen soll und schon eine heimliche Verlobung under Ihnen vorgegebe ist denn einmahl sagte mir Hl. Perro freundschaftlich, dass er gegen mich sehr wohlzufrieden ware, und keine bessere bardey verlangte, aber es kente vielleicht anstehen bei der frauen den Sie möchte Ihre dochter Lieber bey Ihr als von ihr entfernt haben, für welches ich sehr wohl zugeben kann,

Mein Schiksal ist bedenklich, kann mich nicht entschliessen; ja; nein; bald widrum ja fahrt im Kopf und gehirn herum, und kann dass bessere nicht erwählen, an gedanken fehlt es mir nicht, wann nur einmahl das fundament gesezt wäre, und darauf Bauen kente, ich dachte immer eilen Thut kein guth,

aber dessen kann ich mich nicht länger Trösten, denn würklich habe das dreissigste Jahr erreicht was Jungfer Perro anbelangt hätte nichts auszusezen als dass Sie ein wenig brant (?) und hizig ist, Lobenswürdig ist Sie hingegen auch was die Religion anbelangt, den ich finde immer gute bücher alda, die sie loben thut,

heute entdekte ich Ihr, dass ich ein Journal führe, und alle meine begebenheiten hineinseze, aber nichts wünschte ich mehr als ein Ponth (?) zu sein und all mein begehen mit einem guten Theil einzusezen, damit ich meine Jugend nach belieben durchgehen und Lesen könnte

Jungfer Perro stuzte darüber ein wenig, ich merkte es an Ihr, ich fahrte fort  und bezeugte selbst das es trostlich seye im alter an seyne Jugend zu denken, insonderheit wen die auführung loblich und christlich (schicklich?) von Tag zu Tag in das Jurnal mit warheit angebracht,

ja sagte sie, es ist schön, man kann allezeit noch eine anmerkung beysezen

es ist mir leid gewesen dass wir nicht allein beysamen waren, Ihr Hl. Vatter warr, mit zweyen seinen freunde an einem Tische und Trauben ein Glas Wein in frieden  beysamen, um bisweilen ist unsere Gesundheit angebracht worden,

entlich kam Ihre frau Mutter heim und schickte sie geschwind die Magt heim zu holen, und nach Ihr verreiste ich Auch, ich kam zufuss heim

Neugierde ist wohl so alt wie die Menschheit und zweifellos auch  an deren Entwicklung beteiligt. So schreibt Irlet am 5ten des Weinmonats:

den 5ten ist Graf Caliostro mit vielen von seinen Pazienten beyderley geschlechts von Biel mit 4 Schiffen auf die Insel gefahren alle gleicher Kleidung von gertrukten Indienen  (Verweis auf die Indienne-Druckerei in Biel – eingefügt von azw) auf dürgischer art gemacht, allwo viele zuschauer von Bern Erlach Neuenstat p.p. auf die Insel kamen, wir giengen auch etwelche von hier aus Curisiosidet hinüber

Anmerkung: Dieser Graf Caliostro war ein selbsternannter Heiler, Scharlatan und Hochstapler, so geschickt in seiner Art, dass er sich viele Jahre die Gunst der Aristokratie in vielen Ländern Europas erschwindeln konnte, auch in Biel, wo ihm eine ganze Villa zur Verfügung gestellt wurde.

Später flog die Geschichte auf und Giuseppe Balsamo alias Graf Caliostro wurde zum Tode verurteilt, konnte aber erwirken, dass die Strafe nicht vollstreckt wurde.

 

Ich komme zum letzten Teil der Auszüge von 1787.

Am 3. Dezember schreibt er:

dieser nacht habe nichts schlafen kennen, weil ich wusste, dass Meine l. Bäsi Rosen Hubler mit hl Grichtschreiber Engel, sollte verlobet werden, und unser Haus von Morgens an verlassen, der feierliche Tag sollte zu Gampelen vor sich gehen,

ich wollte nicht mit gehen, weil ich wusste u. überzeugt war, dass ich von der feierlichsten Handlung, die ein Mensch begehen kan nie Augenzeug seyn sollte, und mich desen lieber entladen, als meine persöhliche gegenwart dir gewiss mehr Traurigs als fröhlichs in Ihre Herzen einflössen däte,

Doch schon vor 6 uhr kame meine l. Basen vor mein Bett und sagte mir sie wolle heute nicht gehen, es Regne allzustark, und wollen warten bis morgens.

n.M.: ist abgeredet worden Sie wollen morgens hier hochzeit haben, bey dem mittag leüten, ach dachte ich, du musst doch noch gegenwärtig seyn, und nahm mir fest vor, mich zu fassen wie ein mänlich bild sich halten soll.

nemlich den 4 xbris aber wie kam es mir aufs herz da ich der hl. Pfarrer sah in unser haus kommen, denn Er kame eine halbe Stunde vor mittag das niemand nichts merken sollte,

ich war auch gezwungen in die Kirchen zu gehen, hl. Pfarrer hatte nach dem Gebät, eine schöne und Rührende anrede, an die Neuverlobten, nach welcher Er den Kanzel hinunder gestiegen,

Ihme die zwey Eheleute nächerten um den Seegen von ihme zu erlangen

mit Stillen Seufzer und heissem Thraum fuegte ich die meinige bey,

allesamen kamen widrum ins Buchseehaus, kein Mensch wusste nichts darvon, wir hatten hier ein klein Mittag Essen; der heutige Tag werde ich

Niemahls in meinem Leben vergessen, ich konnte mich nicht aufmunteren, bis am abend, da meine Basen in die Neue Stuben gieng, da gieng ich Ihr nach , alda habe meinen Thraum ein wenig freyen lauf gelassen, und bald darauf kam Ihr hl. Brüdigam auch, alwo der kurze aufenthalt mir mein Herze viele zentner schwär erlichterung verschaffte

Da es finster geworden, hatte der hl Breutigam  seine brut heim begleidet, ich gieng auch mit…

alle speisten alda zu Nacht, meine Base konnte sich wohl halten, aber ich blieb der ganze abend still und diefsinnig

nach 10 uhr nahmen alle abschied, und ein jeder gieng nach Hause, die ganze nacht habe nicht schlafen kennen…

Das alles spricht für sich! Und Irlet bekräftigt es noch mit der Anmerkung:

NB: den 3. Merz 1786 ist meine Basen zu uns kommen, also 3 Monath minder als zwey Jahr bey uns gewesen, in dieser Zeit haben wir uns so gut vertragen kennen, so dass Bruder und Schwester einander nicht mehr lieben kennten, ein jedes freute sich dem anderen eine gefälligkeit  zu erweisen.

Irlet kann es nicht lassen und besucht seine nun Engel heissende Base Rosen und ihre Schwester Catung so oft als möglich. An Silvester kann er mit ihr allein sprechen. Da klagt sie ihm:

wie ich zu Ihr kam, fieng sie an, wie unglücklich sie doch sey, schon zwen abend haben sie gezankt, und Er seye Ihr sehr übel begegnet, welches Sie beynahe auf das dotenbett lege,

ich verwunderte, und stuzte sehr darüber, da sie mir alles erzählt  hatte.

ach … währe ich doch bey Euch im Buchseehaus geblieben, zitiert er sie weiter, so wäre es mir nicht so ergangen, aber jetzt ist es zu spät daran zu gedenken, ich will mich in Gottes Nahmen darein schiken, und nich leiden, es ist eimahl so, und ist nicht mehr zu enderen,

zu dem allmächtigen Gott will ich mich wenden der wolle mir kraft und Seinen beystand verleihen, damit ich gedultig dieses schwäre Creuz tragen, und gedultig bis an mein Ende aushalten möge.

Ein wenig erfreulicher Abschluss des Jahres 1787, der jedoch zeigt, wie wenig damals eine Heirat mit Liebe zu tun hatte, wie wenig sich Mann und Frau im Vorfeld kannten, wie dominant sich die Herrschaft des Mannes zeigt und der Frau wenig Spielraum lässt sich gleichberechtigt in die Ehe einzubringen.