Text für die im Hallwag-Verlag, Bern erscheinende Kunstzeitschrift „artis“ – erscheint im Dezember 1993
Regine Mätzler
Annemarie Klingler
Galerie Jeanette Catrina, Oetwil am See
Die beiden Zürcher Künstlerinnen Regine Mätzler (* 1947) und Annemarie Klingler (* 1919) treffen in ihren auf und mit Papier und Farbe geschaffenen Arbeiten das Haupt-Anliegen der seit drei Jahren bestehenden Galerie Jeanette Catrina in Oetwil am See. Die selbst als Künstlerin tätige Galeristin möchte – nicht zuletzt als Kontrapunkt zu eigenen Erfahrungen – der Wesensart des von Künstlerinnen Geschaffenen einen Ausdrucks-Raum bieten. Analog zur Galerie O.T. in Luzern wird aber nicht im Ghetto gearbeitet, sondern ganz einfach die geschlechtsspezifische Struktur des Kunstmarktes gezielt umgekehrt. Regine Mätzler und Annemarie Klingler arbeiten im selben Atelier; das Miteinander fusst auf der materialbetonten Installation „Häutungen“, welche sie für die Züspa-Ausstellung 89 gemeinsam erarbeitet haben. Ihre künstlerischen Zielsetzungen sind indes heute an der Oberfläche kaum vergleichbar. Regine Mätzler sucht in ihren zu dichten Gruppen gesteigerten Arbeiten einer schwer benennbaren Empfindungsstruktur Ausdruck zu verleihen. Die Künstlerin präsentierte die 106teilige Hauptarbeit zwar auf Paletten am Boden, also auf gesicherte optische und körperliche Distanz, doch die ganze Intensität der einzelnen Blätter nahm nur wahr, wer niederkauerte, dem (verbotenen) taktilen Reiz erlag und die papierenen „Häute“ durch die Finger gleiten liess. Das Optische und das Körperliche verbanden sich im (heimlichen) Moment zu erotischer Qualität. Regine Mätzler arbeitet mit einem gänzlich unkünstlerischen Material, mit Thermopapier. Die Künstlerin, die früher auf Leintücher malte, fand hier ein hautdünnes und doch strapazierfähiges Fasermaterial mit zugleich „textilen“ wie papierenen Eigenschaften. Ihr Ansatz ist zunächst nicht jener der Malerin, sondern der Materialkünstlerin. Von emotioneller Befindflichkeit gestossen zerknüllt sie die A4grossen Papiere und knauscht und reibt sie so lange bis sie tausendfach geknickt sind. Dann bügelt sie die weich gewordenen Papiere, welche dabei aufgrund ihrer Beschaffenheit dunkelgrau werden. Erst dann sind die mit feinen Aederchen durchzogenen, hautartig weichen Papiere Malgrund. Sie werden mit Oelfarbe eingesalbt, mit Tempera eingerieben und mit Pastellkreide oder Graphitstift dicht beschrieben. „In Brusthöhe“ ( R.M.) tragen sie ein kleines Quadrat, zuweilen ein grauschwarzes, oft aber ein kostbar Goldenes. Die zum „Ich-Feld“ ausgebreiteten Blätter sind Seismogramme innerer Befindlichkeiten, die in ihrer Ausformulierung auf den Ausdruck ihrer Bearbeitung, der Ausstrahlung ihrer fast monochrom eingesetzten Farben und der Impulse ihrer skripturalen Oberfläche reduziert sind . Bezeich-nenderweise wählt Regine Mätzler die für sie zu einem bestimmten Zeitpunkt richtigen Farben nicht nur aufgrund ihrer optischen Qualität, sondern zum Beispiel aufgrund ihres Geruchs ( z. B. beim Indigoblau), ihrer kalligen Substanz ( z.B beim Caput mortuum) oder ganz einfach ihrem Bedürfnis nach Karmin-Rot, nach Ultramarin-Blau usw. Haut trennt Inneres und Aeusseres, ist somit eine höchst sensible Schicht des Austausches. Das kommt sowohl in der beschriebenen, 106teiligen Arbeit zum Tragen, war aber auch Thema einer zweiten Serie der Oetwiler Ausstellung. Sie ist nicht als Vogelschau, sondern als Querschnitt konzipiert; im Zentrum steht somit der Austausch, die Vibration zwischen den verschiedenen Strukturen und Festigkeiten von oben und unten, innen und aussen, Materie und Luft. Körperliches und Landschaftliches tritt hier in Dialog.
Annemarie Klingler hat sich vor rund 13 Jahren – es waren damals gerade die Zürcher Jugendunruhen – vom traditionell Textilen gelöst und mit Materialien, Farbe und Malerei zu experimentieren begonnen. In Oetwil zeigte sie nun erstmals ausschliesslich Malereien respektive Monotypien auf Papier. Ihr aktuelles Thema: das Tier als symbolischer Ausdruck der eigenen, komplexen Energien. Träger(innen) sind der Wolf, die Löwin, der Eber, der Hirsch, die Fledermaus. Ihre Symbolhaftigkeit wird unterstrichen durch eine mehr oder weniger ornamentale, in jedem Fall stark rhythmisierte Anordnung. Auffallend ist, dass die von oben nach unten, von unten nach oben schreitenden oder in der Horizontalen sitzenden Tiere an den Bildrändern nicht Halt machen und so etwas Umfassenderes signalisieren als nur ein Bildgeviert.
Annelise Zwez