Rémy Zaugg Kunsthalle Bern 2000
Und wenn der Tod ich wäre
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt Oktober 2000
An Rémy Zaugg, dem Radikalsten unter den Schweizer Konzeptkünstlern, scheiden sich oftmals die Geister. In der Kunsthalle Bern gibt sich der 57jährige Jurassier indes farbiger und emotionaler als je zuvor.
Sein Grossvater, ein Jurassier der Glaubensgemeinschaft der Mennoniten, habe, so erzählte Rémy Zaugg beim Kaffee in der Berner Kunsthalle, am Abend vor seinem Tod seine Kinder zu sich gerufen, und ihnen mitgeteilt, er werde in der kommenden Nacht sterben. Was dann auch geschehen sei. Emotion und Faszination liegt in den Worten des Künstlers. Die künstlerische Auseinandersetzung mit Tod, Wissen und Wahrnehmung spiegelt sich, in radikaler Reduktion, im Hauptwerk der Berner Ausstellung: Dem Totentanz ohne Titel, mit den sich 18fach wiederholenden Worten „Und wenn der Tod ich wäre“. Einem Band gleich hängen im Oberlichtsaal 18 einem Leinwand-Chassis entsprechend abgekantete, mit farbigem Klarlack beschichtete Aluminum-Tafeln im Format 126 x 112 Zentimeter. Im Siebdruck-Verfahren applizierte Worte wiederholen und wiederholen es ohne Frage- oder Ausrufzeichen: „Und wenn der Tod ich wäre“.
Das Ich, so sagt der Künstler und so zeigt es sein bisheriges Werk, meint nicht ihn selbst. Das Ich ist stets das Bild. „Regarde, tu es le tableau“ steht auf einer älteren Leinwand. Der Kontrapunkt zum Totentanz benennt es auch in Bern: „Das Ich, das Bild, Ich betrachte den Duft des Veilchens“, heisst es da. Die beiden Ich scheinen nicht dasselbe zu meinen. Und doch, denn im Denk-Konzept des Künstlers sind Ich (das Bild) und Ich (die Betrachterin) auf der Ebene der Wahrnehmung ein- und dasselbe. Ich betrachte den Duft des Veilchens im Angesicht der Vielfarbigkeit des Todes, wäre dann eine der möglichen Lesarten des zauggschen Totentanzes. Ausgespannt durch die Gleichzeitigkeit der intuitiven Möglichkeit und der naturwissenschaftlichen Unmöglichkeit einen Duft zu betrachten.
Die Farbe gab es im halb französischen, halb deutschen Wort-Werk von Rémy Zaugg bisher kaum. In Mexico habe er die Farbigkeit der Todeskultur der Indios entdeckt und sie hier eingebracht, sagt der Künstler. Und im selben Atemzug meint er: „Nicht ich bin der Autor dieser Werke, sie sind sich selbst“. Die Widersprüche der Minimal Art, welche die Kunst zu entpersonalisieren versucht, kann auch Rémy Zaugg nicht lösen, perfektionierte industrielle Fertigung der Bildobjekte hin oder her. Und schon gar nicht in einer Ausstellung, die so persönlich, so erzählerisch, vielleicht gar moralisierend daher kommt wie keine zuvor. Im bisherigen Werk bezog sich Rémy Zaugg sehr oft auf die Malerei selbst, löste sie zum Beispiel durch das Ersetzen von Farben durch Farbbezeichnungen oder die Reduktion auf den Begriff „Peinture“ quasi auf. Dass er damit immer Grundsätzliches zum Phänomen der Wahrnehmung, der Schaffung der Welt durch Denkprozesse Ausdruck gab, zeigt in Bern die Gestaltung der Eingangshalle mit einigen früheren Arbeiten: „Und würde ich, wenn ich die Augen öffne, sichtbar werden“, „Und würdest Du, wenn ich die Augen öffne, mich sehen“ fragen da zwei Bilder. Und drei weitere halten fest: „Ich, das Bild, ich denke“ „Ich, das Bild, ich fühle“ „Ich, das Bild, ich höre Dir zu“.
Diese sehr abstrakte Ebene erfährt durch die Thematik des Todes im Zentrum der Ausstellung eine existentielle Dimension, wie sie Zaugg bisher nie so augenfällig wagte. Oder präziser: Nur einmal. In Biel, anlässlich der 9. Schweizer Plastikausstellung 1991, als er an drei Orten zweizeilige, hellgrüne Leuchtschriften mit den Worten „voir und mort“ anbrachte (auf dem alten Bielerhof, dem Hotel Elite und dem Eckgebäude Bahnhofstrasse/ Bahnhofplatz) und damit ungeahnte Emotionen auslöste. Obwohl die deutsche Übersetzung, nämlich „Blind/Sehen“, Zauggs (damalige) Intention eigentlich hätte entschärfen können. Die drei Bieler Leuchtschriften sind Teil der aktuellen Ausstellung. Einmal im Innenraum, einmal auf dem Kunsthallendach und einmal (nur als Montage, da von den Behörden abgelehnt) auf dem Bundeshaus. Stärker denn je sind sie nun ans Thema des Todes geknüpft und vielleicht ist die Ausstellung als Ganzes Anlass, das Werk des Künstlers neu zu interpretieren. Weniger einseitig intellektuell, näher bei Joseph Beuys, der, nicht anders als Zaugg, stets an die kreative Denkkraft des Menschen apppellierte.