Entwicklung Kunst von Frauen Schweiz nach 1968

Vortrag im Kunstmuseum St. Gallen 1997

www.annelisezwez.ch

 

Vortrag, gehalten auf Einladung des Kunstmuseum St. Gallen, 12. August 1997

Teils Stichworte, teils Lauftext. Mündlich!

 

Damengöttinnen am Aequator. Theaterstück, aufgeführt im März 1979 auf der „kl. bühne“ des Stadttheaters Basel. Erarbeitet von bildenden Künstlerinnen, Schauspielerinnen, Tänzerinnen usw. rund ums sogenannten „Frauenzimmer“. Die heute bekannteste unter ihnen war die Basler Künstlerin Monika Dillier. (Skizzenbuch – Dias)

 

Stück: Frauengeschichte vom  Matriarchat, verkörpert durch Demeter und Persephone, über das Frühmittelalter – in Person der Trobadora Beatrice de Dia ( 12. Jh.), die sich erfrechte Liebeslieder zu schreiben, bis zum Hextenthema.

Dann Wechsel in die Gegenwart: Demeter und Trobadora erfahren die heutige Welt voller Unfreiheit für die Frauen. Demeter verwandelt Trobadora in einen Mann, doch diese hält das nicht aus.

Schluss: Als Demeter die Frauen bittet, sie wie in alten Zeiten anzubeten, wird sie getötet: Alle Frauen sind Göttinnen.

 

Charakteristisch für die Zeit ist das spartenübergreifende Agieren aller kreativ tätigen Frauen, das Ich wird als Kollektiv Frau empfunden ( Miriam Cahn sagt später treffend: „Mein Frausein ist mein öffentlicher Teil“.)

Charakteristisch ist darin eingeschlossen die Auseinandersetzung mit Frauenfiguren, das Suchen, Finden, Er-Finden von Frauengeschichte. Leider krankt der Feminismus dabei oft daran, dass er sich um historische Fakten foutiert ( 12./16.+17.Jh.)

 

Das immanente Thema für unseren Vortrag: „Demeter wird getötet, alle Frauen sind Göttinnen und sie stehen am Aequator, am Scheideweg. Das Folgende gilt denn auch nicht den Diskriminierungen, die Frauen in den 70er/80er im Kunstbetrieb zu Hauf erfahren haben, dieses Lamento haben wir nun genug gehört, sondern dem, was sich effektiv da und dort entwickelte.

 

Beschränkung auf die Schweiz

da in keiner Weise aufgearbeitet, weder kollektiv, noch individuell, das heisst für viele Künstlerinnen sind ihre eigenen 70er Jahre ambivalent; erst jetzt, nach dem man sagen kann, die Epoche des Feminismus sei abgeschlossen, werden sich manche der geschichtlichen Bedeutung ihres eigenen Aufbruchs in dieser Zeit bewusst. Manon sagte mir vor zwei Wochen am Telephon, es sei eigenartig, so lange hätte niemand Lust gehabt, die Fotoserien, die sie kahlköpfig zeigen, auszustellen und nun würden plötzlich alle danach fragen, eben sei sie daran eine Reihe vor Mailand vorzubereiten.

Mit den Damengöttinnen standen wir im Jahr  1979 ( Basel war relativ spät, dafür umso nachhaltiger).

 

Der Aufbruch der Künstlerinnen zu sich selbst wird, ab ca. 1975 fassbar. Ansätze natürlich früher.

Verschiedene Ebenen:

1.) Fokussiert werden darf nicht einseitig die 68er Generation (ab Jahrgang 1940). Phänomen, dass zahlreiche aeltere Künstlerinnen in dieser Zeit einen Quantensprung machen und an die junge Generation anschliessen.

Ich zeige dies am Beispiel von Ilse Weber, ich könnte aber auch von der Inge Schön sprechen, von Valery Heussler, Hanni Pfister, Josephine Troller und natürlich, quasi eine Etage höher, von Meret Oppenheim, die 1975 als erste Frau den Kunstpreis der Stadt Basel erhält und damit ins Zentrum der Beachtung rückt. Ich will hier nun aber nicht primär über die Komplexität des Werkes von Meret Oppenheim reden – sondern über Unbekanntes.

 

Charakteristisch für die Aufbrüche von älteren Künstlerinnen in die Gegenwart ist, dass sie selten feministischer, sondern meist sehr persönlicher Natur und damit letztlich doch generationenkongruent sind. Beispiel: Valery Heussler. Anderes-Aehnliches können wir bei Ilse Weber feststellen, die klar surrealistische Momente mit in die „Innerschweizer Innerlichkeit“ der 70er Jahre nimmt. Das ist die eine Ebene. Eine zweite können wir in verschiedenen Städten der Schweiz fassen, wo sich, wie in Basel, Gruppierungen formen.Dabei ist  der Identitätswandel im Spiegel der Kunst etwas sehr Interessantes. Und als Drittes wird von Einzelgängerinnen zu reden sein, die sich allein dem Zeitgeist nähern.

Vorerst jedoch Ilse Weber ( 1908 – 1984). Wurde bereits 1944 Witwe. Status. Tod der Eltern, 1957. (Marie-Louise 1941). 1967 erste Ausstellung im Aargauer Kunsthaus.

 

Die früheste, fassbare Zelle ist Zürich, um 1975.

Diese Zelle meint nicht die St.Gallerin Manon, obwohl ihre Perfomances und Fotoarbeiten der 70er Jahre zum zweifellos Bedeutendsten gehören, was Frauen in der Schweiz in den 70er Jahren zum Thema Frau geschaffen haben. Das im Benteli-Verlag erschienene Buch zur St.Galler Ausstellung von 1990 zeigt dies vor allem bezüglich Bildmaterial deutlich. Hingegen fehlt darin eine kunstgeschichtliche Aufarbeitung, wohl, weil sie erst heute geschrieben werden kann, da die Fotografie als künstlerischer Ausdruck durch und durch akzeptiert ist und auch die Musikszene eine wesentliche Rolle im offen gewordenen Kunstbegriff spielt. Interessant ist indes, dass – obwohl exzentrische Einzelgängerin – Manon gerade 1975 den Wechsel von den Fetisch-Fotografien ( von Muscheln als Brüsten zum Beispiel), Fotografien, die eigentlich die männliche Sicht imitieren, zu Eigendarstellungen, die das Ich hinterfragen, wechselt. Das „Ende der Lola Montez“, die sich im Sado-Look hinter Gittern zeigt, muss zweifellos so gelesen werden. „Manon Presents Man“, eine Performance mit Call-Boys kommt dann aber erst 1976, ein Jahr nach Bice Curigers Fotoroman „Das geheime Leben der Ministerin Brenda Schloss“, den sie zusammen mit der Fotgrafin Ruth Vögtlin realisierte.

 

Das bringt uns zur eigentlichen Zelle: Sie ist an der Basis eigentlich am kunsthistorischen Institut der Universität zu orten, wo damals Frauen wie Bice Curiger, Tina Grütter, Caroline Kesser, Angela Thomas u.a. studierten.

 

Manche dieser Frauen waren damals primär politisch orientiert; andere suchten den bildnerischen Ausdruck, das Gespräch mit den Künstlerinnen, von denen wiederum manche politisch motiviert waren, wobei die Identifikation der Frauen mit den Unterdrückten der Welt natürlich ein Spiegel ihrer eigenen Befindlichkeit war. “ Die Befreiung der Frauen ist nur ein Teil im Kampf für die Befreiung aller Unterdrückten“, schreibt Bigna Corradini 1973 (damals bereits nicht mehr in Zürich, sondern in Berlin lebend) in eines ihrer frühen Bilder (mehr davon später). Treffpunkt der Zücher Frauenszene war der sogenannte „Frauenbuchladen“.

 

Zur selben Zeit kehrt Heidi Bucher aus Amerika zurück, wo sie – bis zu ihrer Rückkehr mit dem Bildhauer Carl Bucher verheiratet – während mehrerer Jahre gelebt und gearbeitet hatte und dabei Werke schuf, die zur selben Zeit in der Schweiz wohl kaum möglich gewesen wären. Dias. Sie berichtet von der feministischen Kunst- Aktivitäten von Judy Chicago und Miriam Shapiro in Los Angeles im Rahmen des Feminist Art Program, am Fresno State College. Sie selber zieht sich zurück, um in der Folge ein Werk zu schaffen, das ebenso ihre Ablösung von der Dominanz ihres Vaters beinhaltet – ich verweise zum Beispiel auf die Häutung des „Herrenzimmers“ 1977 – wie, auf einer allgemeineren Ebene, die Ablösung der Frau vom Patriarchat. Auf fruchtbaren Boden fällt der Judy Chicago-Virus jedoch bei Rosina Kuhn, die daraufhin eine Ausstellung im „Straufhof“ in Zürich unter dem Titel „Frauen sehen Frauen, eine gefühlvolle, gescheite, gefährliche Schau“ initiiert, die Frauen verschiedenster kreativer Richtung miteinschliesst und so eine Art Focus bildet für Manches, das darum herum entsteht, z.B. die legendären Hexenwochen von Doris Stauffer.

 

Für uns sind insbesondere die Arbeiten von Rosina Kuhn und von Cristina Fessler interessant, aber auch der besagte Fotoroman von Bice Curiger, der indes damals nicht im engeren Sinn als „Kunst“ galt…… Es ist irgendwie typisch für eine Zeit im Aufbruch, dass sie ausserordentlich schlecht dokumentiert ist, Fotos  und Arbeiten verloren gingen (Damengöttinnen am Aequator/Cristina Fessler usw.)

 

Was die Kunst von Frauen der 70er Jahre wie ein roter Faden durchzieht sind zwei Momente. Es ist die Suche nach Identität durch das Erkunden von Aehnlichkeit und Kontrapunkt im Bild der Frau. Und es ist das Leiden an der Vergangenheit und der Gegenwart, was sich als Aggression äussern kann.

 

Christina Fessler zeigt im Straufhof drei Zeichnungen mit dem Titel „Ich und Marylin Monroe“. Dia. In der selben Zeit entsteht aber auch die Reihe „Experiment Taube“ –  eine Taube, die schon eher ein Raubtier ist, dessen eines Auge einen Deckel trägt und das andere wie in einen Ring eingelassen ist. Dia. Vogel = Synonym des Menschen, betrachtet man aber die Bedeutung, so der Vogel sehr oft Synonym für Mann und Macht.

 

Rosina Kuhn hingegen, die 1975 in der Folge eines ersten Amerika-Aufenthaltes in den 60er Jahren bereits eine intensive Pop Art Zeit hinter sich hat (Dias) zeigt u.a. das Porträt einer despressiven Frau, die an sich selbst leidet, unzweifelhaft ein Spiegelbild, das, ähnlich wie bei Heidi Bucher in derselben Zeit, Trennung vom männlichen Partner und Angst vor dem eigenen Aufbruch markiert. Die Scheidungen der 68er Frauen wäre mal ein soziologisches Thema erster Qualität. Nun, Rosina Kuhn hat sich bald aufgefangen und mit einem weiteren Aufenthalt in New York (sie bezeichnet das Atelier-Stipendium, das sie 1976 erhielt als Folge der Strauhof-Ausstellung), damit läutete sie die „Befreiung“ ein. Dass die expressiv-ungegenständlichen Bilder dieser Jahre ihre persönlichen Befreiungsbilder sind, nicht einfach verspätete, abstrakte Expressionismen und somit feministisch gelesen werden müssen, nimmt indes kaum jemand ernst, obwohl sie die Bilder 1978 in der Galerie Jamileh Weber in grosszügigem Rahmen zeigen kann, eine Publikation erscheint und sie in der Galerie auch eine Mal-Performance durchführen kann. All die Performances von Rosina Kuhn, zum Teil in Zusammenarbeit mit „La Lupa“, mit Irène Schweizer u.a.gehören in diesen kraftvollen Befreiungsimpetus. Spannend übrigens, dass sie einer ihrer letzten Performances den Titel „A mon seul désir“ gibt, Titel des Bildes von Beatrice di Dia aus dem 12.Jh., das auch den Damengöttinnen von Basel 1979 Vorbild war.

 

Trotz der Bedeutung, welche die Ausstellung im Strauhof für die Frauenbewegung hat, künstlerisch trägt sie keine relevanten Früchte in die Zukunft; Vieles verebbt schon bald wieder.

Zwischen Basel und Zürich – und dies seit 1972 von Berlin aus – ist das für die 70er Jahre brisante, in Katalogen publizierte Werk von Bigna Corradini. Wenn es heute trotzdem wenig bekant ist, so ist das nicht zuletzt weil die Künstlerin selbst immer wieder davon ablenkt,indem sie – aus ihrer Sicht zweifellos zu Recht – darauf hinweist, dass sie eigentlich immer noch dieselben Themen bearbeitet, aber nicht mehr von innen nach aussen schauend, sondern von innen nach aussen. Sie war eine von den Künstlerinnen, die über explizit politische Bilder, die eigene Position suchte und das in heute noch spannenden Bildern:  Dias.

 

Noch vor Basel ist auf einige Einzelgängerinnen hinzuweisen, zum Beispiel auf Marianne Eigenheer, die damals in Luzern lebt. Gleichgesinnte Künstlerinnen kennt sie in der Innerschweiz keine und das internationale Geschehen im Bereich Frauenkunst ist ihr erst in Spuren bekannt. Ziel ihrer Zeichnungen der mittleren 70er Jahre ist ein erklärtermassen feministisches. Sie versucht Zeichnungen entstehen zu lassen, die aus ihr heraus Gestalt annehmen und dabei nichts bedeuten, einfach emotionale Aeusserungen sind. Dass bei Dinge entstehen, die, zumindest zum Teil, geschlechtlich gelesen werden können, entspricht der Befindlichkeit. Das Besondere dabei ist dabei der weibliche Impetus, gibt es doch bis zu Maria Lassnig, die Marianne Eigenheer erst später kennenlernt – sie ist in den 70er Jahren noch kaum bekannt – erst sehr wenige, von Frauen gemalte, erotische Bilder. In gewissem Sinn erinnern die Arbeiten von Marianne Eigenheer an gleichzeitige Arbeiten von Martin Disler….. Sie verfestigt dann die Formen zu eigentlichen Emotionalkörpern – nicht ganz unähnlich jenen, die sie heute wieder malt.

 

Auch Erika Leuba ist eine absolute Einzelgängerin. Es gibt im Aargau in den 70er Jahre keine feministische Kunstszene. Ihre Skulpturen der frühen 70er Jahren thematisieren das Leiden am eigenen Frauen-Körper, am Zwiespalt zwischen Gebärmaschine und persönlicher Entfaltung, radikal und aggressiv. Und entsprechend aggressiv waren auch die Reaktionen darauf. Im Laufe der Jahre hat sie die eigenen Aggressionen immer mehr sublimiert und ist schliesslich zu einer Geometrie mit runden und geraden Formen/Linien vorangeschritten.

 

Einen Spezialfall stellt Bern dar. Hier gab es mit Meret Oppenheim seit den späten 60er Jahren eine äussert markante Frauengestalt, die jedoch in keiner Art und Weise ihrer Bedeutung entsprechend wahrgenommen wird. Erst nach der ersten Retrospektive in Stockholm merkt man in Bern langsam, wen man da eigentlich in den eigenen Reihen hat. Meret Oppenheims Werk, das ja bereits in den 20er Jahren einsetzt, gehört für mich darum auch zur Gruppe der Generationensprünge,weil ich persönlich der Meinung bin, dass ihr Hauptwerk nicht das surrealistische frühe ist, sondern das späte, das aus ihrer langen Krise als Ausdruck ihrer selbst hervorgeht. Frauensolidarität war ihr eigentlich ein Fremdwort, auch wenn sie immer wieder Werke ihrer Freundinnen ankaufte, aber das  hatte zum Teil andere Hintergründe. Es sind primär vier Frauen, die sich rund um Meret Oppenheim versammelten: Lilly Keller, Susanne Baumann, Esther Altorfer und May Fasnacht. Doch alle  vier scheitern im Grunde an der ausgesprochen männlich bestimmten Berner Kunstszene der Zeit. Lilly Keller wird als Textilkünstlerin abgestempelt und ihre Malerei überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Esther Altorfer vermag den Druck psychisch nicht zu ertragen, versinkt letztlich in den Drogen und macht Selbstmord. May Fasnacht und Susanne Baumann ziehen sich anfangs der 70er Jahre aus der Kunstszene zurück und zerstören vieles, was sie geschaffen haben. May Fasnacht stirbt an Krebs. Susanne Baumann kehrt gegen Ende der 80er Jahre in die Kunstszene zurück, hat Museumsausstellungen in Aarau und im Thurgau, vermag jedoch die alte Opferhaltung nicht zu überwinden, fühlt sich verfolgt und zeigt sich kaum mehr.

Um Bern zu vervollständigen müsste hier insbesondere auch von den Spiegelporträts von Magrit Jäggli die Rede sein, unter einem stärker ökologischen Gesichtspunkt auch von Beatrix Sitter u.a.m. Es ist hier nicht möglich von allen Künstlerinnen, die in den 70er Jahren relevant gearbeitet haben zu sprechen.

Wechseln wir darum nun nach Basel.

Hier zeigt die Galerie Stampa ab Mitte der 70er Jahre, was sich im internationalen, feministischen Umfeld, insbesondere auch in der deutschen und österreichischen Video-Szene tut und das ist bekanntlich viel, man denke an Valie Export, an Pezzold, an Abramovic, an Ulrike Rosenbach usw. Basel hat als einziger Ort in der Schweiz auf diese, kunstgeschichtliche bedeutsame Entwicklung direkt reagiert, wenn auch mit Verspätung, was uns zur Feststellung führen muss, dass in der Schweiz in den 70er Jahren zwar Aufbruch lokalisierbar ist, dass zum Teil Wichtiges entstand, dass aber keine Pionierarbeit im engeren Sinn geleistet wurde. Wie könnte es auch, in einem Land, in dem die Frauen erst 1971 das Frauenstimmrecht erhalten.

 

Basel ist also verspätet, aber bestens informiert. Die Ausrichtung auf Deutschland/Oesterreich erklärt auch, warum die Aeusserungen in Basel sehr viel aggressiver, radikaler, gewaltorientierter waren. Amerika war stets viel humorvoller, ironischer auch, darum ist auch der Weg von Judy Chicago u.Co. zu den „Bad Girls“ (Verweis letzter Vortrag) gar nicht so weit. Ein markantes Merkmal der europäischen Szene war ganz klar ein masochistisches Moment, das bis heute kaum an Wirkkraft verloren hat. Ich habe vor einem Monat in Lyon wieder einmal das Video gesehen, das Valie Export zeigt, wie sie die Häutchen an den Fingernägeln mit einem kleinen Messer schneidet und zwar so lange bis der Nagel praktisch freigelegt ist. Das Video lief schon in der Oesterreicher Ausstellung im Kunsthaus Zürich im Frühling, doch in Lyon wurde es nun an die Wand projiziert und damit überlebensgross. Franz West’s Teppichbänke leerten sich innerhalb von Minuten; als Projektion war das Video schlicht nicht aushaltbar. Dieser breit angelegte Masochismus war eine Form, erlebte Unterdrückung als Druck gegen sich selbst aufzulösen. Wie immer hat die Kunstgeschichte die radikalsten Aeusserungen zu den wichtigsten erklärt, Ulrike Rosenbach zum Beispiel fallen gelassen, als sie sich mehr und mehr geistig-religiösen Empfindungsräumen näherte. (Dasselbe gilt übrigens auch für die Schweizerin Agnes Barmettler und in gewissem Sinn lange Zeit auch für Ingeborg Lüscher). Die Basler Zelle der Diskussion ist zweifellos das „Frauenzimmer“. Zu erwähnen ist, dass Monika Dillier gerade in dieser Zeit aus Berlin, wo’s damals brodelte, nach Basel zurückkehrt, daher auch die Doppelpräsenz von Bigna Corradini in Zürich und in Basel. Miriam Cahn, zweifellos  die radikalste Schweizer Künstlerfeministin, hat hier den Boden gefunden, um ihre eigene Geschichte, ihr Zeitempfinden in Bilder umzusetzen. Doch nicht nur sie, auch Anna Winteler, Hannah Villiger, Anna Barbara Wiesendanger, die bereits erwähnte Monika Dillier, Vivian Suter, Rut Himmelsbach, die Performerin Christine Brodbeck sind dieser lokalen Konzentration entwachsen.

Miriam Cahns Position war die eindeutig politischste und im Politischen auch ganz klar gegen den Mann als Inbegriff von Macht und Krieg und Unterdrückung gerichtet. Ihre Zeichnungen in den Autobahnunterführungen von 1980 war der erste direkte Schritt in die männliche besetzte Struktur. Sie wurde – provoziert und selbsttätig – selbstverständlich zu einem Akt der Unterdrückung durch die männliche Basler Polizei. Die Basler Kunsthistorikerin Sabine Gebhardt ist zur Zeit an einer Dissertation über Miriam Cahn. Ich bin gespannt, wie sie die politische Miriam Cahn und die ganz persönliche, im Aussen das Leiden an sich selbst thematisierende Künstlerin gewichten wird. Man darf bei der Jahrzahl 1980 nicht vergessen, dass in Zürich zur selben Zeit die von Bice Curiger kuratierte Ausstellung „Saus und Braus“ stattfindet, aus welcher eine neue Generation von Künstlerinnen wie Klaudia Schifferle, Muda Mathis und andere hervorgehen werden. Bleiben wir aber bei Basel und schauen uns an, was damals zeitgleich mit den Werken von Miriam Cahn entstand.

 

Monika Dillier, deren Werk man bis heute nie ganz ernst genommen hat, basiert sehr stark auf dem Faktor Gewalt. Sie initiiert im „Frauenzimmer“ eine Ausstellung zum Thema Pornographie, sie malt Tische, über die Frauenkörper hingelegt sind usw. Leider habe ich im Moment erst ein einziges Dia, in das man meine Worte quasi hineininterpretieren muss, doch bezeichnet es Monika Dillier als Schlüsselwerk. Es ist wild, was sie malt, auf Tücher, auf Papier, auf Leinwände usw. Es ist mehr auf Prozess ausgerichtet, denn auf Werke. Leider gibt es immer noch keinen Katalog dazu. Dann gehört zum engeren Kreis Anna Barbara Wiesendanger.

 

Zum weiteren Umfeld zu zählen ist zweifellos auch Anna Winteler, die ihre Radikalität so weit getrieben hat, dass sie, als die Kunst für sie erschöpft war, damit aufhörte. Schon 1981 schreibt sie, bezogen auf ihre Performances; Ich wollte tanzen; ich habe getanzt! Ich tanze nicht mehr. Später wird sie sinngemäss sagen: ich wollte Video machen; ich habe Video gemacht. Ich mache kein Video mehr. Ihr Werk ist nicht auf Körperausdruck im engeren Sinn gerichtet, sondern ist ein eher konzeptuelles Erschaffen von neuen Räumen, neuen Häusern. Ihre Gedanken dazu verraten aber unmissverständlich ihre Haltung dazu: „Seit 1978 arbeite ich selbst und versuche, mich einer Disziplin zu entledigen, die mit Können zu tun hat, und die ein Schuldgefühl bewirkt: ich löse auf, was ich einst eingelöst habe. Schluss mit den Wachträumen. Schluss mit der körperlosen Leichtigkeit der Frau-Kind-Blume-Luftgeist-Vorstellung. Schluss mit der Abhängigkeit vom Meister, vom Vater, vom Initiator, von dem der alles weiss… Schluss mit der Moral, Schluss mit den geschlossenen Reihen, den Herzen, die sich Wärme geben oder zurückziehen. Ich bevorzuge es, mit beiden Füssen auf dem Boden zu stehen, ohne Beleuchtung und in meiner ganzen „Hässlichkeit“. Dass sie hässlich sagt und nicht schön, ist im ganz Kleinen wieder diese masochistische Struktur.

 

Hannah Villiger ist selten direkt mit Basel in Verbindung gebracht worden, obwohl sie wegen des Basler Klimas seinerzeit von Zug nach Basel umgezogen war. Sie ist wohl in der legendären Ausstellung  „Künstler aus Basel“, in der von acht Künstlern sechs Frauen sind, mit dabei, doch findet sie zum zentralen Thema ihres Werkes: Der fotografierte Körper als Skulptur – erst später. Ihr Werk muss nicht zwingend feministisch interpretiert werden, aber wenn man schaut wie weit sie anfangs der 90er Jahre mit dem ihren eigenen Körper, ihre eigene Geschlechtlichkeit „öffentlich Aussetzen“ ging, indem sie ihre Scham in scheinbar masochistische Szenerien einbaute, so ist ihr Werk eben auch eminent an ihre eigene Körperlichkeit, ihr eigene körperliche Befindlichkeit gebunden. Verweis Ausstellung St.Gallen.

 

Gesamthaft kann man sagen, Basels Künstlerinnen kamen relativ spät, aber dadurch dass sie einen mentalitätsmässig vorbereiteten Boden vorfanden, gelang es ihnen, sich Gehör zu verschaffen und aufgrund der erfahrenen Anerkennung bis heute erfolgreich weiterzuarbeiten, während andere Künstlerinnen in den 70er Jahren auf so trockenen Boden stiessen, dass die Pflänzchen gar nicht wachsen konnten. Zweifellos gehört hierhin auch ein Verweis auf Jean-Christoph Ammann, der die lokale Szene, in welcher arbeitete ernst nahm, und zwar auch die Frauen, und damit Entwicklungen ermöglichte, ähnlich wie zuvor schon in Luzern.Beispiel: Marianne Eigenheer.

 

Vielleicht werden sie innerlich fragen: Warum hat sie denn noch nicht von St.Gallen gesprochen. Ich muss Ihnen gestehen, dass ich nicht so recht weiss, was ich Ihnen sagen sollte. Die einzige Ostschweizer Künstlerin, die das Frausein in den 80er Jahren mit Kraft in vehemente Plastiken umgesetzt hat, ist die Thurgauerin Ursula Fehr. Aber St.Gallen – vielleicht habe ich’s einfach noch nicht gefunden, vielleicht war auch einfach die kulturpolitische Situation mit einem geschlossenen Kunstmuseum, ein Boden, der nicht beackert werden konnte.

 

Die 70er und ganz frühen 80er Jahre fanden in vielen Werken der 80er Jahre ihre Fortsetzung. Miriam Cahn hat vielen Mut gemacht, sich vehementer und radikaler zu äussern; in Basel wäre hier zum Beispiel von Annette Barcelo zu sprechen. Nur eines scheint mir noch wichtig zu ergänzen: Viele Künstlerinnen haben sich bereits in den 70er Jahren mit den Thesen des Club of Rome auseinandergesetzt, die mit aller Deutlichkeit auf die Endlichkeit der Erd-Resourcen hingewiesen haben. Und sie haben in der „geschlagenen“ Natur ein Stück ihrer selbst erkannt und sich vehement damit solidarisiert. So sind denn manche Werke von Künstlerinnen, die Ende der 70er Jahre einen starken Oeko-Charakter entwickeln, indirekt auch sehr stark fraugeprägte Werke.  Beatrix Sitter aus Bern habe ich bereits erwähnt, wichtig ist in diesem Zusammenhang auch der Verweis auf die Solothurnerin Agnes Barmettler, der einstigen Ehefrau von Martin Disler, die in den 70er Jahren über die Galerie Elisabeth Kaufmann grosse Beachtung fand. Elisabeth Kaufmann zeigt damals in Dulliken eine Reihe der hier erwähnten Künstlerinnen, neben Marianne Eigenheer, wie schon erwähnt, und Agnes Barmettler zum Beispiel auch Vivian Suter, Ilse Weber und Meret Oppenheim. Ihr Thema beschreibt sie 1973 in einer Bewerbung wie folgt:  „Mich interessieren die Probleme des menschlichen Zusammenlebens, die Probleme der Arbeiter, der Menschen auf den Strassen und in den Wirtshäusern, der Ehegefängnisse usw. Später bin ich von der einseitig sozialkritschen Sicht weggekommen, zu einem allgemeineren, inneren Verstehenwollen von Dingen, die mich selbst betreffen.“ Das führte sie dann zum Menschen als Teil der Gesamtnatur – genährt von Aufenthalten bei den Hopi-Indianern. Ihre esoterische Ausrichtung manövrierte sie dann aber ins Abseits des öffentlichen Interesses, ähnlich wie Ulrike Rosenbach, oder – lange Zeit – Ingeborg Lüscher.

 

Es wäre hier zu fragen, wie weit die männliche Kunstgeschichte hier eine Diskriminierung betreibt, die nicht mit Geschlechtlichkeit an sich zu tun hat, sondern mit Themenbereichen, die insbesondere Frauen interessieren, wobei gerade anschliessend zu fragen wäre, warum die Esoterik in der westlichen Welt so stark ein Frauenbedürfnis ist, warum sie einem Joseph Beuys nicht negativ angelastet wird, wohl aber einer Agnes Barmettler, einer Ingeborg Lüscher etc. Doch das hier nur am Rand.

 

Zusammenfassend kann man sagen, dass die wichtigen Werke von Schweizer Künstlerinnen der 70er und frühen 80er Jahre die Frauenbewegung direkt oder indirekt spiegeln und zwar in ausgesprochen subjektiver Art und Weise. Das eigene Ich ist der Masstab, der im Kollektiv alle Frauen, manchmal gar die ganze Natur, umschliesst. Der Körper und die Körperfahrung sind dabei wichtige Instrumente. Auch heute ist das Körperthema aktuell, doch während die einen Frauen „Nicht nur Körper“ auf ihre Fahne schreiben behandeln andere Künstlerinnen das Körperthema nach wie vor, jedoch lange nicht mehr so subjektiv, so bierernst wie einst, sondern blicken sehr viel stärker von aussen auf den Körper, meinen damit längst nicht immer sich selbst. Während die Männer, wo sie sich mit Körper auseinandersetzen, eigentlich den umgekehrten Prozess beschreiten, das heisst, sie tasten sich immer näher an ihre eigenen Körperbefindlichkeit heran. Das hiefür markanteste Beispiel ist zweifellos der St.Galler Josef Felix Müller.