Oliver Krähenbühl Allerheiligen Schaffhausen 1999
Das Bild als Körper des Empfindens
www.annelisezwez.ch Schaffhauser Nachrichten März 1999
Oliver Krähenbühls Ausstellung in Schaffhausen zeigt eindrücklich, dass die Position der Malerei auch in den 90er Jahren ein Ort des Entdeckens sein kann.
Untersuchen die Neuen Medien vielfach die bewegte Reise durch Zeit und Raum, kann die Malerei der Versuch sein, das Raum-Zeit-Kontinuum als Gleichzeitigkeit, als Zustand zu fassen. Video, Malerei und Fotografie müssen nicht Antipoden sein. Denn das Generalthema, das die aktuelle Kunst beschäftigt, ist dasselbe: Der Verlust des Glaubens an eine einzige Realität und der daraus folgende Versuch, den Ort des Schwebens zu definieren. Ob filmische Reise, fotografisches „Still“ oder malerische Position – es geht im Kern fast durchwegs darum, die Geschwindigkeit des Wandels und die eigene, menschliche Bedingtheit in eine neue Balance zu bringen. Wie das geschieht, hat viele Fazetten, umschliesst die Arbeit mit visuell Benennbarem ebenso wie das Ineinandergreifen zeichenhafter, vom Abbild der Welt losgelöster Ebenen.
Das Feld der Malerei im klassischen Sinn hat es insofern schwierig, als es seine eigene (Kunst)-Geschichte stets mit sich trägt. Es bedarf der fundierten Auseinandersetzung, um alte und neue, vage und zeitbezogen gültige Positionen zu erkennen. Unter den jüngeren Schweizer Künstlern sind es vier Namen, die im genannten Kontext immer wieder auffallen: Uwe Wittwer, Pascal Danz, Albrecht Schnider und, als Jüngster im Quadrat, Oliver Krähenbühl (geb. 1963). Was den Winterthurer von den drei eher analytisch Reflektierenden unterscheidet und sein Werk auszeichnet, ist die körperlich-sinnliche Sensibilität, mit welcher er dem Thema malerische Gestalt gibt.
Was die „Landschaften“ und die „Palimpsestischen Bilder“ hält und trägt, ist, was in den gewichtigen 50er Jahren „Konstruktion und Geste“ hiess, bei Oliver Krähenbühl in den „luftigen“ 90ern als weicher, malerischer Fleck zum einen, als unterschiedlich gefestigter Raster zum anderen erscheint. Konservatorin Tina Grütter beschreibt diesen „Fleck“ in ihrem brillanten Katalogtext als Gleichzeitigkeit von Fingerabdruck, Kopf und Gefäss. In jedem Fall als körperliches Zeichen. Wohingegen der aus der Zeichnung stammende Horizontal-Vertikal-Raster eine Bandbreite von energetischen Impulsen über Gitterstrukturen bis hin zu architekturnahen Konstruktionen aufweist. Das Ineinandergreifen dessen, was Oliver Krähenbühl um 1994 noch „Seelenzellen“ nannte, und der mehr oder weniger vibrierenden Gerüste konfiguriert die Spannungsfelder der Bilder des 36jährigen.
Spätestens hier gilt es einzuflechten, dass Oliver Krähenbühl in seinem Brotberuf als Informatiker arbeitet. Das heisst, die Präsenz und Entwicklung von Kodierungen jenseits materieller Erscheinungsformen ist ihm in höchstem Mass vertraut. Man könnte soweit gehen, zu sagen, dass er darum keine technischen Verfahren für seine Malerei braucht, weil er ihre Strukturen so gut kennt. Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, seine Kunst als malerische „Software“ zu bezeichnen. Auch wenn – vor allem in den grossformatigen Zeichnungen (etwa dem „Landschaftsstück Nr. 4“) – Vernetzungen anklingen, die eine solche Verbindung augenscheinlich werden lassen.
Es geht indes darum die computergewohnte Denkweise des Künstlers in seine Befindlichkeit vis-à-vis der Welt einzubeziehen. Zum Beispiel dahingehend, dass er danach trachtet, seine Bilder nicht räumlich zu komponieren, sondern als „Haut“ in der alles zugleich enthalten ist. Das heisst, Ausdehnung ist nicht notwendig, um Raum im Sinne von Fülle zu definieren.
Dienen ihm hiezu in den „Landschaften“ durchlässige Raster, Tor- und andere Gerüstformen bis hin zum „Brustkorb“ in der „Letzten Welt“ (Landschaft Nr. 1), so sind es in den „Palimpsestischen Bildern“ monotypieähnliche Abklatsche von kopfförmigen „Flecken“, deren Schablonenform er aus Zeitungen herausschneidet. Damit erhält das Körperzeichen Kopf eine indirektere Präsenz als in den malerischen Formen zuvor. Die Körperzeichen scheinen nun auf gleicher Ebene zu sein wie die mehrschichtigen Rasterstrukturen, die neuerdings nicht mehr nur als Gitter erscheinen, sondern auch in einer tupfenartigen Kombination von Gefäss, Kopf, Loch und Raster (zum Beispiel in Nr. 1).
Die Inszenierung der Schaffhauser Ausstellung überzeugt dahingehend, dass der Künstler nicht nur Endprodukte ausstellt, was die Wirkung der Bilder möglicherweise gesteigert hätte. Er bezieht das Suchen, das Forschen über Skizzen und Kleinformate, in denen er Teilaspekten auf den Grund zu gehen sucht, ins Ausstellungsbild mit ein. Eine Sonderrolle nehmen dabei die grossformatigen Zeichnungen im Foyer ein, die zugleich von gültiger Kraft erscheinen wie auch die Fragmentierung auf Einzelideen zulassen.
Grossfomatiger Katalog mit Texten von Tina Grütter, Martin Kraft und Jan Groh. Fr. 28.-