Freilichtausstellung Artcanal_ Zihlkanal Bielersee/Neuenburgersee. 2006

Fischfrauen, Wassertropfen, Wellenfühler

www.annelisezwez.ch       Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom

Die grossangelegte Freilichtausstellung „Artcanal“ an der Zihl ist eine gute Mischung von Kunst und Unterhaltung. Die zweite Auflage ist qualitativ ausgeglichener als die erste im Expo-Jahr 2002.

Die Idee Artcanal Nr. 2 auf 45 schwimmenden Inseln von je 2.35 x 3.05 Meter Grösse zu inszenieren, ist konzeptuell bestechend. Wie sich jetzt zeigt, führen die identischen „Sockel“ aber auch zu einer gewissen Gleichförmigkeit. Oder – anders ausgedrückt – die künstlerische Qualität der einzelnen Arbeiten misst sich unter anderem an der Art und Weise, wie die Stahl/Styropor-Flosse in die Konzepte integriert sind.

Ein gutes Beispiel: Der deutsche Künstler Tom Früchtl hat auf seiner Plattform Solarzellen ausgelegt, die eine Pumpe betreiben, mit welcher die „Insel“ über einen Sanitärbogen fortwährend bewässert wird. Die Shisyphus-Idee ist amüsant und zugleich hintergründig. Und die Plattform ist zwingender Teil des Projektes.
Ein weniger gutes Beispiel: Der koreanische Künstler Hong Myung-Seob hat einen vergrösserten Spielzeug-Kreisel mit gelben und metallfarbigen Streifen konstruiert, der auf der Plattform befestigt ist. Das ewigen Kreislauf suggerierende Zeichen hebt sich farblich und formal gut von Wasser und Ufer ab, nutzt die Plattform aber nur als Sockel, ohne zwingende Verbindung.

Die gegenüber 2002 qualitativ deutlich verbesserte Jury mit Guido Magnaguagno vom Tinguely-Museum, Reinhard Spieler vom Museum Gertsch, Liselotte Wirth von der Mobiliar und Paul Wiedmer als künstlerischem Leiter, hat aus den rund 100 eingereichten Dossiers gut ausgewählt. Die drei beteiligten Länder gleichwertig zu berücksichtigen – je 15 aus Deutschland, Südkorea und der Schweiz – macht den kulturellen Dialog sichtbar. Wobei sich die Kunstschaffenden aus der Schweiz und Deutschland nur in Tendenzen unterscheiden, jene aus Korea aber fast durchwegs an ihrer anderen „Sprache“ erkennbar sind. Wenn auch nicht immer so eindeutig wie bei dem scheinbar aus der Luft gelandeten, pinkfarbenen Raum-Objekt zwischen Ufo und Pagode von Lee Joong-Keun (wer will, kann darin übernachten).

Der Unterschied zwischen den deutschen und den schweizerischen Beiträgen kann vielleicht dahingehend definiert werden, dass die deutschen Projekte radikaler auf eine (oft politische) Aussage ausgerichtet sind. Erwähnt sei zum Beispiel das durch und durch realistisch möblierte Silikon-Badezimmer von Uwe Schloen, das in seiner Grösse 1:1 einer Nasszelle in einem DDR-Plattenbau entspricht. Demgegenüber entpuppt sich das Schach-Brett mit farbigen Ölfässern des Berner Künstlerpaars Susi und Ueli Berger erst unter einer fröhlichen Oberfläche der „Play-Station“ als Hinweis auf den „Krieg der Ressourcen“.

Typischer für die Schweiz sind auch konstruktive Projekte. Die beglückendsten zwei sind vielleicht jene von Christoph Rhis und Carola Bürgi. Dasjenige des in Weimar lebenden Bielers kann als eine Art Wehr interpretiert werden, das – je nachdem ob der Ausgleich zwischen Bieler- und Neuenburgersee aufwärts oder abwärts gerichtet ist – west- oder ostwärts zeigt. Jenes der Genferin funktioniert die exakt auf Wasserhöhe eingependelte Plattform in einen liegenden „Spiegel“ um, der den Himmel scheinbar aufs Wasser hinunter holt.

Gerade dieses Projekt zeigt, dass Artcanal nicht zuletzt eine technische Herausforderung ist, die auch Wochen nach der Vernissage noch nicht überall bewältigt ist. So steht zum Beispiel Kim Seung-Youngs filigraner „Eisberg“ sichtbar auf dem Sockel, während er eigentlich aus dem Wasser aufsteigen sollte. Das ist künstlerisch ein eminenter Unterschied. Auch die Wasserung des 4-Tonnen-Steins von Lee Gee-Chil erwies sich als (zu) schwierig.
Für die Koreaner war es ganz allgemein sehr schwierig, Projekte zu entwerfen für einen Ort, den sie noch nie real gesehen haben. Anzumerken, dass zum Beispiel die hölzernen Chromosomen-Variationen von Kim Joo-Huyn zu sehr Skulptur und zu wenig ortsbezogen seien, ist darum Kritik am falschen Ort. Den nachhaltigsten Eindruck der 15 koreanischen Arbeiten hinterlässt möglicherweise die Fischfrau – eine Frauengestalt mit Fischkopf – die klein und vereinzelt auf ihrer Plattform steht, vis-à-vis von einer kleinen Glocke. In Korea soll man sie häufig sehen – als Beschützerin vor bösen Hausgeistern. Hier zeigt sich die Kunst als geheimnisvolle Erzählung aus der Fremde.
45 Projekte und keines fällt in engerem Sinn durch – das ist eine Leistung. Es heisst aber auch, dass überragende Highlights fehlen. Dennoch gilt es unter anderem auf folgende Projekte besonders zu achten: Die „Boatpeople“ von Suzanne & Albrecht Wild, den übers Wasser eilenden „Business man“ von Christoph Pöggeler, die Vitamin-Station für Fische von Res Ingold, den Schlangen-Schlauch von Gisela Kleinlein, den Blitzableiter von Pavel Schmidt, den vergessenen Container von Stefan Sous, die Toons-Cruise von M.S. Bastian und die Seemine von Ralf Sander.

Bilder (von oben nach unten): Yves Mettler, M.S. Bastian, Paul Wiedmer. Fotos: azw

Link: www.artcanal.ch