Martin Creed unf Heinrich Gartentor. in der Kunsthalle Bern 2003

Mit fast nichts so wenig wie möglich

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 5. November 2003

 

Wieder zeigt die Kunsthalle Bern einen international gefeierten Künstler zum ersten Mal in der Schweiz. Der 35-jährige Engländer Martin Creed gewann 2001 den meistdiskutierten Preis für zeitgenössische Kunst, den Turner Prize. Im Projektraum: Heinrich Gartentor.

„Was soll das?“ wetterte die englische Presse vor zwei Jahren als der Minimal- und Konzept-Art-Künstler Martin Creed (geb. 1968 in London) den alljährlich heiss diskutierten Londoner Turner Prize erhielt. Denn das „Werk“, das Creed in der „Turner Prize Show“ (und jetzt in Bern) zeigte, hiess lediglich „The lights going on and off“ und war nichts anderes als ein Raum, in dem die Lichter an und ab gingen. Dass die Jury wohl mit keiner anderen Arbeit träfer auf den erst wenige Wochen zurückliegenden 11. September 2001 hätte reagieren können, wurde kaum in Erwägung gezogen, zu sehr war man sich in London an Skandal-Preisträger wie den Kühe aufschlitzenden Damian Hirst oder die Zigaretten- und Autowrack-Künstlerin Tracey Emin gewöhnt.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Bern – die erste in einer Schweizer Institution – zeigt nun den Kontext. Und dieser ist – nach kurzer Angewöhnungszeit – ausgesprochen spannend. Creed reduziert seine Eingriffe auf fast nichts und sucht damit so viel wie nötig und so wenig wie möglich zu zeigen. Zum Beispiel eine sich unmerklich aus der Wand wölbende Glockenform, weiss auf weiss mit dem Licht und dem Raum kommunizierend. Andernorts taucht dieselbe, aus einem banalen Bildbefestigungselement entwickelte Form als silberne Vertiefung in der Wand auf, makellos. Oder sie vervierfacht sich in der Fläche zur „Blume“ (Messing/Chromstahl). Da ist an anderer Stelle eine warm-gelbe Neon-Schrift: „Things“; und eine kalt-weisse: „Feelings“. Und dies im Aaresaal, wo rhythmisch die Lichter an- und ab gehen.

„Was soll das“, kann man sich fragen, 40 Jahre nach der Minimal-Art als die US-Künstler die Kunst auf das reduzierten, was sie ist und was man sieht (ein Kubus, ein Geviert aus Metallplatten usw.)? Creed hat die Minimal- und die Konzept-Kunst im Rucksack, ohne Zweifel. Etwa wenn er ein gerahmtes Blatt Papier mit dem Aufdruck „Something in the middle of the wall“ in die exakte Mitte einer Wand hängt oder ein Blatt Papier im US-Format zu einem „Ball“ zerknüllt und unter einer Plexiglas-Haube auf ein Papier gleichen Formats legt. Doch sein Ziel ist nicht die Reduktion, sondern das „fast Nichts“, das kaum mehr Greifbare, das dennoch Fülle meint.

Bernhard Fibichier, noch bis Ende 2004 Direktor der Kunsthalle Bern, ist bekannt für Ausstellungen mit hohem Reduktionsgrad. Erinnert sei an „White Noise“, „Basics“, David Hammons, Serge Spitzer, Veronica Janssen und andere. Man kann angesichts von Creed sogar monieren, „schon wieder“ und hat damit nicht unrecht. Doch für sich betrachtet täte man Creed damit unrecht. Denn spannend wird seine Arbeit, setzt man die hochgradige Präzision jedes kleinsten Teils, in Relation zum Ganzen. Da wird spürbar, wie alles mit allem vernetzt ist, wie sich quasi ein System in die Räume eingenistet hat, in dem die Kreuzpunkte (die Arbeiten) so wichtig sind wie die Zwischenräume. Und auf einmal nutzt man, um zu erklären, dieselben Begriffe wie in der Quantenphysik, die in ihren Hypothesen mehr und mehr zum Schluss kommt, dass die Essenz des Universums wohl in den leeren Feldern zwischen den kleinsten, bekannten Materie-Teilchen zu suchen ist.

Auffallend ist ja schon zuvor, wie wenig Creeds Ausstellung zum Beispiel mit jener des Amerikaners Davis Hammons, der das Innere der Kunsthalle Bern 1997 ganz in blaues Licht tauchte, zu tun hat. Das Sakrale, auf inneres Bewusstsein abzielende damals, kommt hier nicht auf. Creed ist viel diesseitiger, auch humorvoller als Hammons; Creed ist auch kein Zen-Buddhist. Sondern ein westlicher System-Denker, mit Nuancen. Und dennoch ist er, genau wie Hammons, auch Musiker; wenngleich ein anderer.

Heinrich Gartentor im Projektraum
In der Reihe der „Berner Künstler“ zeigt gleichzeitig mit Martin Creed Heinrich Gartentor im Soussol eine mehrteilige Installation. Die, typisch für den Thuner, Realität und Fiktion verschmilzt. Gartentor ist sich selbst Kunst, indem er als reale wie als fiktive Künstlerfigur die zentrale Rolle in seinen eigenen Kunstaktionen spielt. So kochte er letzten Sommer am Performance-Festival in Barcelona „Giraffenjoghurtsuppe“ Den damaligen „Küchentisch“ präsentiert er nun als mehrteilige Fotografie, zusammen mit dem Rezept. Den Knoblauch mit dem Hammer zerquetschen, das geht ja noch, auch die Gewürze sind nicht exotisch, aber was, zum Teufel, ist Giraffenjoghurt, irgendetwas Rosarotes, der Fotografie nach zu schliessen. Doch wie mag die Suppe geschmeckt haben?

Dazu gesellt Gartentor unter anderem ein Mehrkanal-Video, das zur Musik eines Rollkoffers in den Strassen von Barcelona, eine Kurzreise dahin dokumentiert, am 18./19. Oktober dieses Jahres – wenige Tage vor der Eröffnung der Ausstellung. Zusammen mit einzelnen herausfiltrierten Geräuschen und einer vielteiligen Fotografie des Hafens von Barcelona, oszilliert die Ausstellung ständig hin und her, zwischen Gegenwarts- respektive Realitätsbeweis und Fiktionsanspruch. Die Suppe ist die Suppe, aber was sie ist, weiss man nicht, so wenig wie sich die Geräusche lokalisieren lassen, obwohl sie real vor wenigen Tagen in Barcelona aufgenommen wurden. Er ist ein Spieler, Heinrich Gartentor, und dies mit Haut und Haar und nicht erst seit gestern, sondern seit Jahren schon, und mit immer neuen Ideen, hart am Alltag unserer Lebensbedürfnisse und immer darauf aus, diese mit Ironie zu brechen.