Moutier/Perrefitte: Drei Freunde und eine neue Galerie 2002
Eine Lanze für die aktuelle Kunst im Berner Jura
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 1. Oktober 2002
In der von Bakker & Blanc im Geist von Diener & Diener erbauten „Kunst-Kiste“ in Perrefitte wird eine Lanze für die Kunst im Berner Jura gebrochen. Die Zusammenarbeit mit dem Museum in Moutier zeigt wie.
Es gibt sie noch, die Menschen, die für die zweite Lebenshälfte einen Traum haben und ihn auch verwirklichen. Beat Selz hat sich in Perrefitte, zwischen Moutier und Bellelay gelegen, ein Haus gekauft und anstelle der Scheune vom Architekturteam Bakker & Blanc eine „Kunst-Kiste“ bauen lassen. Um sie fortan als Galerie für zeitgenössische Kunst zu betreiben.
Dass der dunkle Holzbau in seiner wohlproportionierten Strenge und in seiner bewussten Lichtführung an das Centre PasquArt und vor allem an den Erweiterungsbau des Kunstmuseums in Moutier erinnert, liegt auf der Hand: Die Diener-Schüler Bakker & Blanc haben seinerzeit den architektonisch akzentsetzenden Moutier-Erweiterungsbau konzipiert.
Für die erste Ausstellung zieht Beat Selz mit Valentine Reymond gleich. Sowohl der „Selz Espace d’art contemporain édition“ wie das Kunstmuseum in Moutier zeigen Arbeiten von Christian Grogg (39), Philippe Queloz (40) und Adrian Scheidegger (37) drei relativ unbekannte Künstler aus dem Jura respektive der Stadt Bern, die seit ihrer gemeinsamen 80er-Jahr-Zeit in der Malfachklasse von Franz Fedier an der Schule für Gestaltung in Basel immer wieder miteinander gleichziehen. Während Grogg und Queloz ebenso als Objektkünstler und Plastiker wie als Maler in Erscheinung treten, ist Adrian Scheidegger ganz Maler geblieben. Die auf wenige Formen, Farben und Rhythmen reduzierten, durch den Einbezug von Glaspulver subtil reflektierende Bilder des Letzgenannten sind die Entdeckung der Ausstellung, in Moutier wie in Perrefitte. Doch im Vordergrund steht nicht der Einzelne, sondern das Wechselspiel der Positionen, insbesondere in der Hauptinstallation im Neubau des Museums. Da begegnen sich fragile Gleichgewichte verschiedenster Art: Dingfeste in den etwas déja-vu wirkenden Objekten von Philippe Queloz, die wabenförmige Eisenroste mittels unterschiedlichstem Gestänge in Schräglage ausbalancieren. Konstruktive in den rechtwinklig versetzt und ineinander gesteckten, weissen Holzplatten von Christian Grogg. Oszillierende in den zwischen Malgestus und Monochromie changierenden, oft weiss/silbrigen Bildern von Adrian Scheidegger.
Das Highlight der Ausstellung sind indes nicht die Kunst-Werke, sondern eine, wie man hört, in wenigen Tagen entstandene Gemeinschaftsinstallation im Soussol, welche die Möglichkeiten gegenseitiger Steigerung in einem gemeinsamen Kreativitätsprozess eindrücklich aufzeigt. Schlüssel ist ein traditionell gemaltes, kleinformatiges Leinwandbild an der Seitenwand, das als Duoarbeit Scheidegger/Grogg einen „Fumeur de hachiche“ von 1985 zeigt. Kein Zweifel, dass die im Lichterglanz einer Disco-Spiegelkugel flimmernde, hinter einer luftgefüllten Noppen-Plastik-Wand in Unschärfe zurückgedrängte Milieu-Szenerie einer möglichen Visualisierung von Drogenerfahrung entspricht. Nicht allzu ernsthaft, doch was da an Malerei, Möbeln, Skulpturen, Drehplastiken, Glühlampen, Musikinstrumenten, Farbfolien, Monitoren, Teppichen zu einem bewegten Ganzen zusammengefügt ist, zieht einem in Bann. Und was ebenso spannend ist, die Rückkehr in den Hauptsaal, lässt nun das Thema der Grenzerfahrungen, die Untiefe der dunklen Samt-„Löcher“ in den Wandarbeiten von Christian Grogg, das „Wespennest“ von Philippe Queloz, den „Pool là ou je me promène“ von Adrian Scheidegger wesentlich inhaltsbezogener erscheinen. Und auch die bewusst dem Wetter ausgesetzte L-förmige Mauer aus Kartonschachteln im Hof wird zum Teil des Ganzen.
Die Museumsausstellung findet ihre Erweiterung in der Galerie Selz. Zum Beispiel in der vierteiligen Edition, welche das Thema der Grenzen subtil aufgreift, und in der Positiv-Negativ-Umkehrung einer 17. Jahrhundert-Abbildung eines Bildes von Piranesi auf die Geheimnisse des Menschen im Licht der Zeit hinweist. Und vor allem auch in der Vereinzelung der drei künstlerischen Positionen, die zum Beispiel in Bildern wie dem „Seelenhaus“ von Adrian Scheidegger ihre eindrückliche Verdichtung erfährt.
Musée jurassien des Arts, Moutier und SELZ Espace d’art contemporain édition, Perrefitte (Standort alte Galerie du Tilleul): Christian Grogg, Philippe Queloz, Adrian Scheidegger. Bis 10. November. Mi 16-20, Do-So 14-18 Uhr.