Rudolf Mumprechts Hommage an das Bild in der Schrift

„La bibliothèque insolite“ im Kunstmuseum Bern. Bis 07.04.2002

Er nutzt die Schrift als Bild und gibt dem Bild Schrift: Rudolf Mumprecht.1998 schenkte der Berner der Burgerbibliothek eine „Bibliothèque insolite“ Eine Auswahl der 1200 Schriftbildblätter ist im Graphischen Kabinett des Kunstmuseums Bern zu sehen.

Eigentlich ist der gelernte Kartograph schon seit 1941 in Ausstellungen vertreten. Doch bekannt, ja populär wird Rudolf Mumprecht erst ab den 70er Jahren. Mit Schrift-Bildern, die zugleich malerisch wie inhaltsbezogen sind, trifft er die Zeit. Und im Selbstverständnis, mit welchem heute Schrift und Bild kombiniert werden, ist sein Schaffen aktuell wie damals. Erstaunlicherweise fand er den Weg nicht – wie viele andere – über die fernöstliche Kalligraphie, nicht über das Bildzeichen, sondern über unermüdliches Schreiben in unserer Schrift, deren Alphabet er mehr und mehr der Musik annähert und durch Rhythmen und Bewegungen verselbständigt. Das Auf und Ab, das Vor und Zurück, das Gross, das Klein – er bedient sich der Möglichkeiten der Linie als wäre sie ein Instrument. Manchmal lösen sich dabei die Worte auf, doch meist bleiben die Etüden Schrift und damit auch Erzählung. Dass das Spielen auf diesem Instrument geübt sein will, zeigt nicht zuletzt die „Bibliothèque insolite“ – die „Lettres sans adresses“, welche er 1998 als umfangreiches Konvolut der Berner Burgerbibliothek schenkte. Als Dank für die erstmalige Verleihung des burgerlicher Kulturpreises an einen bildenden Künstler.

Eine Auswahl der Blätter zwischen Schrift und Bild ist nun im Benteli-Verlag als Buch erschienen und eine (andere) Auswahl ist gleichzeitig im graphischen Kabinett des Kunstmuseums Bern zu sehen. Wenige gegenständliche Blätter aus den 40er und 50er Jahren weisen auf die Entwicklung des Künstlers. Es sind keine überraschenden Arbeiten, zeigen aber doch, wie Mumprecht von Anfang an aus der Linie heraus arbeitet.

Auch die durch das ganz Werk tanzenden Querverbindungen zur Berner Kunstszene von Lindi über Hanni Pfister bis Jean Tinguely zeigen sich. Ohne die Eigenständigkeit indes zu schmälern. Diese liegt ganz primär in der Gleichzeitigkeit von Bild, Schrift – auch Zeichen – Klang und Bedeutung, Ausdruck. Gleichzeitigkeit heisst dabei nicht illustrierende Abhängigkeit – der „Tod“ schreibt sich in derselben Gelöstheit wie „la vie“ – sondern Balance, die inhaltliche Bedeutung steigern oder ausgleichen kann. Auffallend ist auch die Gleichzeitigkeit von französisch, deutsch und – seit Mumprecht vermehrt auch im Tessin lebt – italienisch. Allerdings verwendet er insbesondere deutsch und französisch respektive italienisch nicht in derselben Art und Weise. Die deutsche Muttersprache dient oft für Erzählerisches – auf einem 1988 entstandenen Blatt (da ist Mumprecht gerade 70) schreibt er: „der Spiegel erzählte mir heute morgen, dass ich älter geworden bin“. Während die französische respektive italienische Sprache lyrischer, vereinzelter, klangbetonter eingesetzt wird: „voir, ce que l’on voit“ heisst es da etwa oder „in tempo di tempo il tempo del tempo“.

Die „Bibliothèque insolite“ gleicht einem Skizzenbuch. Gerade dadurch gibt sie Einblick in die Schaffensweise des Künstlers. Die A4-grossen, meist hochformatig – das heisst briefähnlich – gestalteten Blätter sind nicht datiert. Wenn auch tendenziell ein Weg von der tagebuchartigen Notiz zum Dialog nach aussen spürbar wird – auch ein Weg vom dicht beschriebenen, zum immer lockereren Setzen der Lineamente, Z eichen und Farbflecken – so sind die Blätter doch stets Labor der Möglichkeiten. Es gibt kleine Blätter, die später zu grossen Transparenten wurden, Wortkombinationen, die später auf Leinwänden wieder erscheinen – doch vieles bleibt spezifisch Blatt, Schrift, Brief.

Zu benennen, was Mumprecht in seinen Worten als Ganzes umschreibt, ist nicht einfach. Vielleicht trifft „Lebensgefühle“ die Spannweite; Worte, Wortgruppen, Sätze, die nicht exakt definierbar sind, sondern durch ihren Klang ein Gefühl, eine Erkenntnis, einen Wunsch spürbar machen. „damals … als wir noch dachten NIE wieder Krieg“, heisst es etwa auf einem Blatt oder „goûte à goûte le temps s’écoule“ oder – spielerisch – „je te le dis jeudi“. Dabei bleibt Mumprecht stets einfach, leserlich, verständlich – seine Bilder sind weder aggressiv noch radikal. Darin liegt wohl seine Popularität, aber auch die Gefahr, im allzu Virtuosen letztlich zum musikalischen Manieristen zu werden.