Das tödliche Ende des schönen Scheins
Ana Axpe alias Adela Conti im Kunstmuseum Solothurn. Bieler Tagblatt 23_04_02
Als Pin up doubelt sie ihre einst berühmte, nun verwirrte Schwester: Ana Axpe in der Fiktion der Adela Conti. Filmisch und fotografisch fängt sie „ihr“ Leben ein, ohne zu merken, dass der Tod lauert. In Solothurn.
Die Genferin Ana Axpe, als Tochter baskischer Eltern in Argentinien aufgewachsen, wird seit Mitte der 90er Jahre von der Schweizer Kunstförderung gehätschelt: Eidgenössische Stipendien, Atelieraufenthalt in New York, Cahier d’artiste der Pro Helvetia usw. Es war somit ein kluger Schachzug des Kunstmuseums Solothurn, die 34-jährige Défraoui-Schülerin für ihre erste Museums-Einzelausstellung zu gewinnen (Kuratorin: Katharina Ammann). Ob allerdings die Inszenierung der Ausstellung die aggressiv-vibrierende Scheinwelt der filmischen und fotografischen Arbeiten zu zünden vermag, ist nicht sicher. Den Auftakt macht ein raumhoher Leuchtkasten, der Axpes Kunst-Rollenträgerin, die ihre einst berühmte Schwester mimende Adela Conti, in Shawne Fielding-Pose im Festsaal des Palace in Montreux zeigt. „Welcome“, scheint sie mit fremdländischem Akzent zu rufen. Die Kehrseite des Kastens nimmt das Ende der Vorstellung vorweg: Im freien Rücken der Protagonistin klafft ein Messerstich, nur Sekundenbruchteile nach dem Attentat fotografiert. Der perlenbesetzte Arm der Täterin ist noch im Bild.
„I was made for lovin‘ you“ hat Kraft, zeigt den hintergründigen, schwarzen Humor von Axpes Strategie von Beginn weg. Doch dem Leuchtkasten den grössten Saal allein zu geben, macht die übrigen drei Räume notgedrungen eng, bieder sogar. Ein einziges Video kommt als Raum-Projektion daher, alle anderen Arbeiten laufen über TV- respektive DVD-Monitore, sind zum Teil einer Dokumentation gleich frei wählbar. Auch die Fotos wirken eher als Plakate, denn als Teilaspekte der Soap Opera „No firmo!“, welche das Werk Axpes als Klammer zusammenhält. Das Argument, die Werke seien a priori ein Kommentar zum Leben der fiktiven Adela Conti, kann den Ausstellungsaufbau rechtfertigen, doch nicht verhindern, dass der Wechsel in die „reale“ Scheinwelt nicht funktioniert. Will heissen, die in Kontrast zum Glamour von Film und Foto stehende, hölzerne Trennwand mit Fensterscheibe macht den letzten Raum nicht unmittelbar, sondern erst über die Reflektion zu einer Art Gefängnis-Besucherraum, betitelt „Into the void“. So ist zu befürchten, dass die den einzelnen Arbeiten überzeugend innewohnende Stringenz von Plot, Regie und Schauspiel für viele nicht zum Ganzen wird. Da muss die Künstlerin noch dazulernen.
Was sich seit Jahren wie ein roter Faden durch das Schaffen von Ana Axpe zieht, ist ein Misstrauen gegenüber der Wahrheit des Sichtbaren. Mehr noch, der Gewalt und der Zwänge hinter den Dingen. Erlebnisse rund um politischen Widerstand und psychische Krankheiten im Elternhaus stehen biographisch im Hintergrund. So ist denn die „Telenovela“ (das Genre der beliebten argentinischen TV-Soap Operas) Mittel zum Zweck in der Kunst der Ana Axpe. Und die Schizophrenie der ihrer kranken Schwester die Show stehlende Adela Conti Sinnbild für rücksichtslose Machtkämpfe, die nicht nur im Film vielfach tödlich enden. Die Schwierigkeit für Ana Axpe ist es, die Doppeldeutigkeit stets sichtbar zu machen. In „The Last Dynasty“, dem zentralen Video der Solothurner Ausstellung, das Adela Conti in Glamour-Montur zeigt wie sie in einem Büro alles kurz und klein schlägt, ist diese Ladung die aufgesetzte Sorgfältigkeit, mit welcher die Protagonistin darauf achtet, dass beim Rundumschlag weder ihre langen Fingernägel noch die 15-Zentimeter-Bleistiftabsätze brechen.
Axpes Werk hat immer auch feministischen Charakter. In einem früheren Video, das sie 1999 im CAN in Neuenburg zeigte, liess sie sich als Pin up Girl minutenlang ohrfeigen. In Solothurn ist das Bedürfnis der Besuchenden, diese Adela Conti zu schütteln, damit sie endlich erwacht, bewusste Suggestion. Und auch der Eindruck, das „echteste“ Video am DVD-Pult sei der „Adela and Olga Fight“, ist nicht Zufall. Bei diesem Kampf geht es um die titelgebende Weigerung der internierten Olga, ihrer Schwester ihre Identiät ganz zu überlassen: „No firmo!“ (Ich unterschreibe nicht). Um den Türspalt somit, das eigene Ich vielleicht doch wieder einmal selbst zu leben. Ob das nach dem Messerstich-Mord an Adela künftig der Fall sei, wusste die in Realität äusserst zurückhaltende Künstlerin an der Vernissage in Solothurn indes noch nicht zu sagen; in der Soap Opera ist alles möglich, selbst die Auferstehung.