Michael Biberstein Arno Hassler Helmhaus Zürich. 2002

Wege die Welt zu weiten

www.annelisezwez.ch        Annelise Zwez in Bieler Tagblatt 13. November 2002

 

„Towards Silence“ nennt Michael Biberstein (54) die Gruppe von Bildern, die er letztes Jahr in Prag und nun im Helmhaus in Zürich zeigt. Es ist eine 12-Jahr-Retrospektive mit gezieltem Blick auf zunehmende Distanz. Weg von den fiktiven Berg- und Himmels-Landschaften hinaus ins Universum. Kontrapunkt bilden im ehemaligen „Kleinen Helmhaus“ die mit einer Panorama-Kamera experimentierenden „points de vue“ von Arno Hassler (48).

Was den fotografierenden Bildhauer und den malenden Theoretiker und Philosophen verbindet, sind Versuche den menschlich-möglichen Blick zu weiten. Beide nutzen hiezu direkt respektive indirekt optische Technologien. Michael Biberstein indem er die im World Wide Web abrufbaren, künstlich kolorierten Bilder des Hubble-Weltraum-Teleskops als Inspirationsquelle benutzt; Arno Hassler indem er mit fotografischen Mitteln vertikal respektive horizontal aufgenommene 360º-Bilder in die Fläche zieht.

Was die beiden Künstler voneinander trennt, ist Malerei und Fotografie und darin zugleich der Aggregatszustand ihrer Motive. Während Bibersteins Grossformate, abgesehen vom naturbelassenen Leinwandträger, Luft-Charakter haben, sind Hasslers Berge und Schluchten Auseinandersetzungen mit Erde und Wasser. So wie sich der eine kraft menschlichen Geistes wegzubewegen versucht, erkundet der andere Untiefen des Irdischen.

Am Anfang stand die Idee des Helmhaus-Leiters, Michael Bibersteins spätestens seit der documenta IX international rezipiertes Werk 10 Jahre nach der grossen „Landschafts“-Ausstellung in Solothurn erneut öffentlich zu zeigen. Dabei konnte Simon Maurer voraussehen, dass die langgezogenen, grossen Räume „seines“ Hauses sich geradezu ideal für die riesigen Querformate eignen würden. Doch da ist noch anderes: Der bisher primär der jungen Szene zugerechnete und mehrfach zensurierte Kurator schreibt: „In den immer euphorischeren 1990er Jahren hatte es eine Malerei, die auf stille Kontemplation aus ist, nicht einfach. Vielleicht bricht nun eine Zeit an, die unsere Aufmerksamkeit wieder vermehrt auf existentielle Kunst lenkt“.

Die Kombination mit Arno Hassler ist nicht Maurers Idee. Die Schweizer Kunstszene besteht immer noch aus Regionen. Und so liegt nahe, dass den in Crémines wohnhaften und vor allem im Raum Jura-Solothurn-Biel bekannten Bündner nicht ein Zürcher, sondern ein Berner Kurator (Andreas Fiedler) kennt. „Ich erkannte“, so Simon Maurer, „dass eine Gegenüberstellung Bibersteins mit einem gegenständlich arbeitenden Künstler tiefer geht als mit einem jungen ungegenständlichen Maler.“ Ein solcher hätte die Spuren, die Bibersteins Malerei mit der Physik des Weltalls, somit auch der Erde, verbinden, quasi gelöscht, während die Magnetkräfte so umgekehrt gerichtet sind.

Eigenartigerweise werden die Bilder Bibersteins in beiden, für Zürich auf deutsch übersetzten, Texten zur Prager Station von „Towards Silence“ wie, differenzierter, auch in Maurers Text im Zürcher Katalog mit „Landschaft“ gleichgesetzt. Das ist in Bezug auf Bilder von den späten 80er bis Mitte der 90er Jahre richtig. Diese vielfältig in und auf Naturleinwand eingebrachten, ausschliesslich Licht- und Schatten-Formationen zeigenden Bilder evozieren in unserer Vorstellung „Landschaft“ – weit weg und gleichzeitig direkt im Bild vor uns. Doch da ist der Künstler längst nicht mehr. Einige Bilder erinnern an kosmische Wirbel, doch in den jüngsten ist die Weite so nahe herangezoomt, dass paradoxerweise nur noch Spuren von Licht und Staub die Weiten der riesigen, verhalten farbigen Formate überziehen. In unserem Sehvermögen sind sie ungegenständlich und doch ist da am Rand eine faszinierende Gegenläufigkeit von ferner Unendlichkeit und sichtbarer Präsenz. Die stets erwähnte Nähe zur chinesischen Malerei – eines Qiu Shi-hua (Kunsthalle Basel 1999) etwa – ist darin nicht gelöscht, aber weiter weg.

Demgegenüber sind Arno Hasslers bandartige Panoramen weltbezogen, auch wenn die Orte geographisch nur selten lokalisierbar sind – etwa der Hafen von Erlach. Im Kontext am Spannendsten sind indes nicht die Quer-, sondern die Hochformate, die oben und unten in engen Schluchten verbinden, Himmel und Erde zentrifugal in Bewegung setzen. Gleichzeitig markieren ihre die Erdkugel übernehmenden 360º-Winkel so etwas wie den unentrinnbaren Standpunkt – den „point de vue“ – des Menschen. Die Erdanziehungskraft und der All-„Attractor“ halten sich, zumindest ausstellungsmässig, die Waage.

Zu beiden Ausstellungen liegen Publikationen vor.