Vernissagerede für Simone Bonzon anlässlich ihrer Ausstellung in der Zähnteschüür in Oberrohrdorf
15. Mai 1998
Annelise Zwez
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Simone Bonzon
Wenn man eine Vernissagerede nicht gleich am Tag nach dem Atelierbesuch schreibt, ereignen sich interessante Dinge. Alles was man hört und liest, prüft eine mir nicht näher bekannte Hirnkammer auf das kommende Thema hin. Gehörtes wird mit dem neu Aufgenommenem vernetzt. So sagte mir Simone Bonzon in unserem Gespräch in mehreren Nebensätzen – dort wo in der Regel das versteckt Wichtige zum Ausdruck kommt – Wiederholung sei für sie nichts Negatives, man müsste nicht stets auf der Pirsch nach Neuem sein, in der Wiederholung stecke immer wieder Ueberraschung. Im Moment, da sie das sagte, wusste ich, dass ich darüber noch nachdenken müsse, widerspricht es doch der gängigen Forderung an die Kunst. Tags darauf las ich in der NZZ eine Besprechung über eine aktuelle Ausstellung von Louise Bourgeois – der grossen, alten, zynischen Dame der amerikanischen Kunst. Sie endete mit einem Zitat der heute 86jährigen Künstlerin. „Die Wiederholung“, so sagt sie, „gibt dem Erlebnis physische Wirklichkeit. Zu wiederholen, es noch einmal zu versuchen, wieder und wieder, bis zur Vollendung“.
Es wäre vermessen Simone Bonzon und Louise Bourgeois künstlerisch miteinander zu vergleichen; um das geht es hier nicht. Wenn wir in die Runde schauen, so präsentiert sich die Ausstellung von Simone Bonzon nicht grundsätzlich anders als frühere Präsentationen. Die Künstlerin ist ihrem erzählerischen Stil in einer freien Weiterführung von Kubismus und Surrealismus treu geblieben und auch die Motive mit Menschen, Tieren, Masken, Früchten, Gemüse in fantastischen Landschaften und Stilleben sind wieder, oder immer noch, da, wenn auch nie in identischer Form. Wiederholung – was ist das? Auch wenn Louise Bourgeois 12 Jahre älter ist als Simone Bonzon, so stammen die beiden Aeusserungen doch klar von älteren Menschen. Zum Alter gehört in hohem Masse die Erinnerung, das sich nochmals Vergegenwärtigen, das Ueberdenken. Bezogen auf die Kunst: Dieses oder jenes Motiv, verbunden mit diesem oder jenem Hintergrund, noch einmal betrachten, prüfen und das sich Wandelnde im Bild, in der Empfindung, im Duktus, in der Form, in der Farbe beobachten. So denke ich denn, dass wir jedes Bild in der Ausstellung, das uns scheinbar bekannt vorkommt, auf dieses Moment hin betrachten sollten.
Wir haben keine Retrospektive hier, wir müssen selber mit der Erinnerung und der Gegenwart arbeiten. Das Werk von Simone Bonzon ist nicht aufgearbeitet, wir können auch keinen Katalog zu Rate ziehen und wahrscheinlich merken wir in diesem Moment, wie da etwas fehlt; oder anders ausgedrückt, wie da etwas ansteht; umsomehr als wir bei 50 (fünfzig!) Schaffensjahren sowieso nur Fragmente kennen.
In Schaffhausen und Solothurn findet zur Zeit eine Doppelretrospektive Max Gubler statt. In der Kritik – auch der meinen – wird einhellig darauf hingewiesen, dass nicht die Chronologie das Interessante sei, sondern die Themensäle, in denen zu gewissen Zeiten oder über ein ganzes Malerleben hinweg bearbeitete Motive einander gegenübergestellt sind. Somit wird auch dort Wandel und Wiederholung als etwas Besonderes erlebt, das erst mit dem Rückblick auf das Gesamtwerk möglich wurde.
Und doch ist da der Leitsatz der Kunst, der immer Neues fordert und die Jungen nehmen das zur Zeit besonders wörtlich. Sie arbeiten in verschiedensten Medien, reagieren auf Orte mit immer neuen Konzepten, Ideen und Umsetzungen. Doch halt: Wie wäre es, wenn wir erkennen würden, dass junge Kunst das sehr wohl muss, in unserer Zeit heute erst recht. Dass ältere Kunst das aber nicht in derselben Form muss, weil Lebensalter ihre eigenen Gesetze haben. Und weil Künstler und Künstlerinnen der Generation von Simone Bonzon und älter von einer anderen – durch einen Weltkrieg zerrissenen – Zeit geprägt sind. Erneuern, wiederfinden, halten hat für diese Generation darum vielleicht eine ganz andere Bedeutung als für die nach dem Krieg Geborenen, wie mich, oder die in der Aufbruchzeit der 60er Jahre zur Welt Gekommenen, die heute in der Szene den Ton angeben.
Gehen wir der Biografie von Simone Bonzon nach, so gibt es da nicht von Anfang an eine gefestigte Struktur und vor allem bleibt – immer, bis heute – das Spannungsfeld zwischen frankophoner Prägung und deutschschweizerischer Rezeption.
Simone Bonzon ist 1922 – im Zeichen der Jungfrau – in Genf geboren. Sie ist damit gleich alt wie zum Beispiel der Bildhauer Peter Hächler, der übrigens auch zur selben Zeit wie Simone Bonzon in Genf studierte. Es war Krieg und die Kunstausbildung dementsprechend weniger auf Erneuerung und Aufbruch ausgerichtet, als vielmehr auf Solidität und Funktionalität. Simone Bonzon schloss in Malerei und künstlerischer Wandgestaltung ab. 1943 vom Verkauf von Bildern zu leben war indes so unmöglich wie für die meisten Kunstschaffenden heute. Mehr der Not, denn der Lust gehorchend wurde Simone Bonzon mit 21 Jahren Keramikmalerin. Wo sich ihr die Gelegenheit bot, besuchte sie indes weitere Kurse an den Kunstgewerbeschulen der Orte, wo sie arbeitete, insbesondere in Basel und Luzern. 1948 kam sie nach Baden, vor 50 Jahren. Warum sie sich ausgerechnet einen Lebensort aussuchte, der ihr vom Kulturhintergrund weder entsprach noch sie faszinierte, ist für Aussenstehende bis heute nicht ganz nachvollziehbar. Klar, die Liebe braucht keine Worte und eine Lebensgemeinschaft hat ihre eigenen Gesetze. Dass sie indes immer Simone Bonzon blieb und nie Simone Hänni wurde, ist ein Indiz, dass ihr das Eigene im Umfeld des Anderen lange, lange vor dem neuen Eherecht, wichtig war und noch ist. Darum gab es wohl auch einen inneren Widerstand gegen die deutsche Sprache, denn sprachunbegabt ist Simone Bonzon keineswegs; in den 60er Jahren machte sie unter anderem ein Diplom in Spanisch.
Dass Simone Bonzon einen ihrer Studiengänge als Wandgestalterin abschloss, kommt nicht von ungefähr, denn in 40er und vor allem den 50er und bis in die frühen 70er Jahre hatte die Wandmalerei, das Mosaik, das Relief als Form von „Kunst am Bau“ Konjunktur. Simone Bonzon hat in diesen Jahren, nein, Jahrzehnten, zahlreiche öffentliche Werke dieser Art geschaffen. Man vergesse nie die Dimension eines Lebensalters, wenn man in der Ausstellung einer Künstlerin steht, die mit dem Lächeln des Alters auf ein Lebenswerk zurückschauen kann.
Wenn ich daran denke, wieviel wir an jenem Nachmittag im Atelier der Künstlerin gelacht haben, wie oft sie mir mit Schalk von den Ideen zu ihren Bildern erzählte, so darf ich einen Punkt ihrer Biografie nicht weglassen, den im übrigen am stärksten mit Baden verbundenen: Von 1956 bis 1971 schuf Simone Bonzon unzählige Bühnenbilder für das Cabaret Rüeblisaft und die Badener Maske. Das Theater, die Phantasie, die Erzählung: Zentrale Momente für die Malerei der Künstlerin.
Als ich Simone Bonzon fragte, wer für sie denn die wichtigsten Künstler der Kunstgeschichte seien, nannte sie unter anderem Georges Braque und Marc Chagall. Unsere erste Reaktion heisst wahrscheinlich: Aha, kubische Form und Formwandlung da, erzählerisch-träumerische Fantasie dort. Und das bringt uns tatsächlich in die Nähe der Atmosphäre der Bilder in dieser Ausstellung, aber wir brauchen noch den dritten, den sie nannte: Magritte, jenen Surrealisten somit, der nicht primär das Unbewusste sichtbar machen wollte, sondern mit den Dingen spielte, die sind, was sie nicht sind und doch sind. Und dies nicht nur auf der tanzenden Oberfläche, sondern in der empfindenden Verarbeitung bis hinein ins Denken und Empfinden. Etwa so wie es dem Leitsatz entspricht, der in Simone Bonzons Atelier hängt: „Avec le contraire de la réalité, on obtient le comble de la vérité“. Mit anderen Worten: „Mit dem Gegenteil der Realität, erreicht man die Spitze der Wahrheit.“
Um auf dem künstlerischen Klavier von Simone Bonzon mitspielen zu können, dürfen wir als Uebervater Picasso nicht vergessen; weniger weil er wohl das grösste Genie der Formwandlung war, sondern weil er, wie kein anderer vor ihm, die vereinfachende, magische Kunst der alten, afrikanischen Völker für unsere Kunst entdeckt hat. Wundert es Sie, dass in Simone Bonzons Atelier zahlreiche Fotografien von Figuren und Gegenständen dieser Kulturen hängen?
Aus dem Vernetzen des uns Bekannten entsteht nur dann Neues, wenn wir Eigenes einbringen. Und das tut Simone Bonzon ohne Zweifel. In welcher Form? Im Gespräch gab die Künstlerin – mehr beiläufig denn als Motto – einige Hinweise. „Il faut prendre les choses au sérieux, mais il ne faut pas se prender au sérieux“, sagte sie unter anderem. „Man muss die Dinge ernst nehmen, aber man soll sich nicht selbst ernst nehmen.“ Damit ist Wichtiges gesagt.
Im Gegensatz zu wichtigen Zweigen der Kunst ab den 60er Jahren will Simone Bonzon in ihrer Kunst nicht von sich selbst erzählen, nicht einen Spiegel ihrer Psyche schaffen, sondern sehr viel stärker – und dies entspricht auch der französischen Kultur – ein kommentierendes, literarisches Werk schaffen, das über das Bild von den Menschen, ihren Eigenschaften, ihren Träumen, ihren Lüsten, ihrem Leben, ihrer Welt erzählt. Schauen sie die Bilder an – zu jedem liesse sich eine Geschichte erfinden. Und das Schöne: Wir alle würden verschiedene Geschichten schreiben, da Bilder – wie Symbole – offene Strukturen haben.
Und noch etwas sagte Simone Bonzon: „J’adore me déguiser“ – ich liebe es, mich zu verkleiden. Das glauben wir ihr wohl, und stecken sie ins Gewand der Marktfrau mit dem Gemüse auf dem Kopf und mit den Früchten und Eiern vor sich im Korb. Eines charakterisiert alle Verkleideten, wo und wie auch immer: sie geben der Umgebung in Gewand und Ausstattung etwas vor, das sie nicht sind, und gleichzeitig schauen sie mit den Augenschlitzen aus dem, was sie sind. Und keine Form taucht in Simone Bonzons Werk so häufig auf wie Augen, oder zumindest Augenschlitze, die mit dem Schalk des einen im andern auch mal zu sehr weiblichen „Augen“ werden können . Zuweilen wandeln sie sich auch in Lippen und dann hört man sie mit etwas Fantasie sogar „murmeln“.
Und habe ich vorhin gesagt, Simone Bonzon gehöre nicht zur Generation der Künstlerinnen, die sich selbst im Bild spiegeln, so ist hier vielleicht ein Stück weit der Widerspruch dazu. Schauen Sie doch nur das Bild mit den sechs Masken – sehen wir nicht förmlich Simone Bonzon, wie sie ihr Gesicht hinter der leicht geröteten, rotgelippten versteckt? Oder wie sie in der Marktfrau ein kleines Stück weit ihre eigene Sinnlichkeit ausbreitet? Oder wie sie sich in den kleinen Schellen da und dort versteckt, um die eine oder andere Menschlichkeit aufs Korn zu nehmen?
Ich habe 1992 anlässlich der Ausstellung von Simone Bonzon und Annelies Dorer in Zofingen gesprochen. Selbstverständlich habe ich vor dem heutigen Tag nachgelesen, was ich denn damals gesagt habe. Ein Moment ist mir auch heute so wichtig, dass ich es wiederholen möchte: Die Verwandtschaft zum Fabelndichter La Fontaine, nicht nur weil Simone Bonzon – wie er – über das Tier den Menschen den Spiegel vorhält, sondern auch weil die Fabel als Begriff viel von der Art und Weise wie Simone Bonzon an Themen herangeht umschreibt. Denn sie setzt nicht nur die Tiere ein, um aus einer anderen Welt in die eigene zurückzublenden, sondern dieselbe Position nehmen im Grunde genommen auch die Landschaften ein. Keine finden wir hier im Aargau. Alle sind sie rund um den Genfersee situiert – mitten in den Rebbergen – die Simone Bonzon vertraut sind, und die doch weit weg sind und über den Malstil noch einmal verfremdet sind. Dasselbe gilt übrigens auch für die See- und die Stadtstücke. Meinen Sie somit nicht, dass in den Augen von Simone Bonzon das kleine Dorf, das die Einladungskarte ziert, nur eine kubistische Komposition sei, da ist – mir scheint, man sehe es – auch sehr viel von dem, was der Begriff „Dorf“ im übertragenen Sinn kenntzeichnet mit verpackt, versteckt, verkleidet; „j’aime me déguiser“, sagt die Künstlerin.
Ich danke fürs Zuhören.