Heidi Langauer Feldkirch 1994

Vernissage Ansprache


11. Februar 1994, Galerie Jochum, Feldkirch

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Sehr geehrte Damen und Herren

liebe Heidi

Als mich Heidi Langauer fragte, ob ich hier und heute ein paar Worte sagen würde, da hatte ich das Gefühl von einer Künstlerin angegangen zu werden, die ich seit langem kenne. Und ich denke, es ging Heidi Langauer mit umgekehrten Vorzeichen ähnlich. Als wir uns dann im Wohn-Atelier der Künstlerin an der Zürcher Seestrasse trafen, stellten wir – wohl beide – fest, dass wir einander eigentlich nicht kennen. 

Wie kommt das und warum erzähle ich das? Heidi Langauer ist seit den späten 70er Jahren eine unerschrockene Figur in der Kunstszene. Als Kunstkritikerin bin ich ihren Werken immer wieder begegnet und habe auch mal da, mal dort über ihr Schaffen geschrieben. In der Begegnung mit ihrem malerisch-zeichnerischen Werk habe ich Heidi Langauer kennengelernt und sie mich durch das, was ich darüber geschrieben habe. 

Kunst kann also – und das ist der Grund, warum ich das hier sage –  Kunst kann eine tief unter die Oberfläche wirkende Form von Kommunikation sein. Allerdings muss ich Ihnen gestehen, dass ich als Kunstkritikerin unendlich viel Kunst zu sehen bekomme und unmöglich überall dauerhaft vernetzende Fäden ziehen kann. Wenn dies im Fall von Heidi Langauer ohne willentlichen Akt geschehen ist, so hat das etwas mit Qualität zu tun. 

Die Ausstrahlung der Arbeiten von Heidi Langauer ist so stark, dass sie sich einschreibt. Die Künstlerin arbeitet  unmittelbar am Puls der Zeit; ihr Schaffen ist ungeschminkter Ausdruck der persönlichen Betroffenheit vis-à-vis der Welt von Heute. Die Wirkkraft ihrer Bilder betrifft darum auch mich und wohl gerade deshalb haben sich ihre Werke immer wieder in mein Gedächtnis eingeschrieben.

Beziehung ist im weitestmöglichen Sinn des Wortes etwas, das sich kontinuierlich wandelt. Wenn ich in Bezug auf Heidi Langauer an die 80er Jahre zurückdenke und heute, anfangs 1994, in die Runde schaue, so stelle ich fest, dass das zweifelsfrei dieselbe Sprache, dieselbe Künstlerin ist, aber sie sagt nicht mehr dasselbe. Und erstaunlicherweise finde ich denselben Wandel auch bei mir selbst. Und nicht nur bei mir, sondern bei vielen seismographisch auf die Befindlichkeit der Zeit Reagierenden, seien es nun Kunstschaffende oder Kunstbetrachtende. 

In den 80er Jahren dominierte in Heidi Langauers Schaffen das Figürliche. Expressive Gestalten rangen im Tanz um die Berechtigung ihres Daseins. Wenn auch Heidi Langauer das Geschlechtliche selten prägnant formuliert hat, so war doch klar, dass da eine Frau um ihre Identität in einer patriarchalen Umgebung kämpfte. Dieser Selbstbewusstseins-Prozess wird rückblickend auf die 70er und 80er Jahre als die zentrale Thematik der Kunst von Frauen in dieser Zeit erkannt werden. 

Viele Künstlerinnen stehen in ihrer Entwicklung heute noch da, denn Fortschritt ist gesamtgesellschaftlich gesehen etwas Träges. Doch Heidi Langauer ging weiter genau wie viele andere auch. Ich kann nicht genau erklären warum, aber der Golfkrieg vor vier Jahren hat in der Kunst einen Schub ausgelöst, bei einigen bewusst, bei anderen weniger. Eine Künstlerin sagte mir einmal: Weisst du, damals erkannte ich, dass es nicht reicht, in mich hineinzuschauen, ich musste – ob ich wollte oder nicht – den Blick auf die globalen Vernetzungen richten. Und genau diese Veränderung können wir auch im Werk von Heidi Langauer beobachten. 

1990 entstand die vielbeachtete „Klon“ – Serie. Klon heisst auf griechisch „der Zweig“ . Für uns ist es ein Begriff aus der Genetik, der laut Lexikon „die Gesamtheit aller Einzelwesen, die sich ungeschlechtlich und damit erbgleich aus einem Individuum vermehrt haben.“ Klonen heisst also ungeschlechtlich vermehren. Uns allen kommt bei solchen Worten heute sofort die Gentechnologie in den Sinn – nicht etwa die Einzeller, die sich immer ungeschlechtlich vermehren –  und auch Heidi Langauer erkannte im Nachhinein diesen Zusammenhang in ihrem Zyklus, obwohl sie die Struktur der organischen Zeichen, die sich aus sich selbst heraus fortpflanzen  ursprünglich als Traum erlebte. 

Heidi Langauer arbeitet nicht konzeptuell, die Bilder formen sich aus inneren Wahrnehmungsprozessen. Die „Klon“-Reihe steht in dieser Ausstellung nicht im Mittelpunkt, aber wir können daran so Wichtiges für den Gesamtzusammenhang erkennen, dass ich noch einen Gedanken anfügen will. Klonen beinhaltet aufgrund der gleichgeschlechtlichen Vermehrung eine Trennung des Männlichen und des Weiblichen. In der Wirkung des Zyklus von Heidi Langauer ist die Gentechnologie mit ihren beängstigenden Möglichkeiten sicher enthalten. In einer anderen Schicht wirkt aber – gerade als Folge des in Heidi Langauers Bildern der 80er Jahre erarbeiteten, weiblichen Selbstbewusstseins – da wirkt auch eine psychische Struktur mit ablösendem, trennendem Charakter. 

Was heisst das? Nichts anderes als dass sich der Blick des Menschen nach Innen, in die eigene Befindlichkeit, und nach Aussen, in die Welt-Befindlichkeit, immer gegenseitig spiegelt, das Eine ist immer auch das Andere. Man kann also bei einer Künstlerin nie abstrakt sagen, sie befasse sich mit dem Projekt X oder Y ohne dabei zu berücksichtigen, dass dieses  Thema X oder Y auch ihr Inneres beschäftigt. Ich habe die weibliche Form benutzt. Bewusst, denn die Künstlerinnen wissen im allgemeinen in einem viel höheren Mass um diese Struktur als die Künstler. Und ich erzähle dies hier natürlich auch, weil ich in Nebensätzen von Heidi Langauer gehört habe, dass sie sich dessen bewusst ist, wenn auch nicht im Sinne einer verbalen Analyse. Sie malt ja Bilder.

Mit diesem Ansatz der komplexen Verquickung von Innerem und Aeusserem können wir uns nun zielgerichtet auf die Werke konzentrieren, die Heidi Langauer für diese Ausstellung ausgewählt hat. Das „Klon“-Thema ist abgeschlossen. Zwei Gruppen von Bildern stehen im Vordergrund: „Facts and Defects“ ( also „Fakten und Defekte“) einerseits, „Landschaften“ andererseits. Weder hier noch dort geht es um Abbildhaftes, sondern um die Befindlichkeiten dessen, was ist – im Aeusseren wie im Inneren. Dass da sehr viel Dunkles wirkt, steht ausser Zweifel. Aber es gibt kein Bild ohne Licht und sei es noch so abgekapselt, noch so sehr im Hintergrund. Heidi Langauer weiss um die entsprechenden Reaktionen der Menschen auf ihre Bilder. 

Hand aufs Herz: Wenn wir uns einlassen auf unsere Befindlichkeit gegenüber der Welt ( nicht der kleinen Zelle eventuellen, persönlichen Glücks), ist dann nicht bei uns allen sehr viel Dunkles da, müssen wir dann nicht alle mit Kraft versuchen, das bisschen Licht zu halten, es in kostbare, helle Kugeln einzuformen, darum kämpfen, dass es von hinten durch das Netz der Aengste durchscheint. Heidi Langauer sagt: „Ich empfinde meine Bilder nicht als bedrohlich, aber ich weiss, dass sie andere so empfinden.“ Mit anderen Worten: die Künstlerin hat sich mit dem Dunkeln so intensiv auseinandergesetzt, dass seine Bedrohlichkeit gebannt ist. Damit sind Kräfte freigesetzt, sich offen damit auseinanderzusetzen; neues Leben aus den Ruinen wachsen zu lassen, um es etwas pathetisch zu sagen.

Wenn wir uns auf die Bildsymbole einlassen, so weisen sie uns schnell zum Thema Krieg: Granatenhagel, Rauchsäulen, Grabkreuze, verbrannte Erde, Ruinen, oft auch nur der Widerschein der zerstörerischen Energien, als Bündel, als vibrierende Schwingungen im dunklen Nichts. Krieg heisst für uns hier heute in erster Linie „Bosnien“  – ein Gespenst, das wir nicht verstehen, nicht verstehen wollen, nicht zuletzt weil wir Angst haben um unsere eigene Existenz, die Aeussere und die Innere, weil wir Angst haben vor den dunklen Dimensionen, die wir auch in uns selbst tragen. Heidi Langauer stellt sich dem Thema als einer der wenigen Künstlerinnen unserer Zeit. Viele andere weichen aus in Gegenwelten, um das Dunkle zu verscheuchen. Das ist angenehmer. Denken Sie doch nur zum Beispiel an die Banalität des Kunstmarkt-Helden Jeff Koons. 

Vielleicht hat Heidi Langauer die Kraft für diese Auseinandersetzung weil für sie  Krieg nicht nur Bosnien heisst. Die Künstlerin ist 1939 in Wien geboren. Die frühen, im wesentlichen unbewussten Kindheitserinnerungen haben eminent mit Krieg zu tun – mit der Angst und der Ungewissheit um den nie wiedergekehrten Vater, mit dem täglichen Schulweg entlang der Ruinen zum Beispiel. Das Heute hat für Heidi Langauer Echo im Gestern. 

Vielleicht hat dies, aber auch das intuitive Wissen um die Kraft des Lebens, das schon Tausende von Angriffen überlebte, die Angst vor der ungeschönten Auseinandersetzung mit der Realität der äusseren und der inneren Welt gebannt. Es kommt hier hinzu, dass in der oesterreichischen Kunst – und damit wohl auch in der oesterreichischen Mentalität – der Mut zum expressiven Dialog mit Abgründen, welcher Art auch immer, seit jeher, und ganz speziell seit Beginn dieses Jahrhunderts, seinen festen Platz in der bildnerischen Auseinandersetzung hat. Es kann ja nur etwas wachsen, wo ein Nährboden ist und Heidi Langauer knüpft deutlich an diese expressive oesterreichische, zum Teil auch deutsche Tradition an, die sich im Laufe dieses Jahrhunderts immer wieder gewandelt und erneuert hat.

Krieg findet zur Zeit nicht nur zwischen den Menschen statt, sondern auch zwischen Mensch und Natur. Als ich mit Heidi Langauer über ihre Arbeit diskutierte, haben wir lange über das Bedürfnis der Künstlerin gesprochen, die „Landschaften“ – die von ihrer emotionellen Struktur her in deutlichem Kontext zu „Facts and Defects“ stehen, als zwei getrennte, aber zusammengehörende Bilder zu malen. Wir konnten damals die Motivation nicht benennen. Doch hatten wir es heute nicht schon mal von „Trennung“ und ist „Trennung“ als Teilung von Ganzem, als Abgetrenntsein von Ganzheitlichem nicht eines der zentralen Probleme der Welt. Heidi Langauers „Landschaften“ sind keine Landschaften im Sinne geographischer Orte. 

Sie sind Welt-Befindlichkeiten. Und da gibt’s Tausende von Trennungen – Nord/Süd, West/Ost zum Beispiel. Aber auch unter den einzelnen Völkern, Religionen, Stämmen gibt es Trennung. Und ebenso zwischen den Menschen, den Tieren, den Pflanzen, der Erde. Das Gefühl der Ganzheit, des Einheitlichen ist uns abhanden gekommen. Lange schon, aber immer mehr. Und nun suchen wir zurück. Die getrennten Bilder von Heidi Langauer einfach zusammenzuschieben, das wäre zu einfach. Es gilt vielmehr, die hellen Kugeln zum Wachsen zu bringen, das Licht im Hintergrund zu beleuchten. Heidi Langauers Bilder sind Mahnmale. Und das macht sie stark.

Ich danke fürs Zuhören.