Vernissagerede für Felix Stampfli anlässlich sei­ner Ausstellung in der Galerie im Zimmermannshaus in Brugg,  21.September 1991

 Von Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich glaube, ich sehe Sie Ihnen ins Gesicht geschrieben: Die Ueberraschung. Fragen stehen im Raum: Ist Felix Stampflis  Armada auf Grund gelaufen? Ist der Künstler ausgestiegen aus seinem Schiff und an Land gegangen? Oder ist Felix Stampfli von seinem Schiff übergesprungen auf ein anderes, vielleicht sogar das des Trends, der Mode, des Marktes? Wer Felix Stampfli kennt, möchte letzteres so­gleich verneinen, doch…. die Fragen bleiben zunächst. Und das ist gut so. Was zu leicht fassbar, ist oft banal. Doch wie die Brücke schlagen vom früheren, bekann­ten Felix Stampfli zum neuen, unbekannten Felix Stampfli?

Ich gestehe Ihnen gerne, dass ich vermutlich Aehnliches wie Sie jetzt erlebte, als ich  mich im Juni dieses Jahres mit Felix Stampfli in seinem geräumigen Atelier in Niederlenz zum Vorbereitungsgespräch für den kleinen, explizit zu die­ser Ausstellung erschienenen Katalog traf. „Wahrnehmungsschichten“ war der erste Begriff, den er mir gab, um mich den neuen Bildern zu nähern. Beim grossen grün-blauen Tryptichon, das nach Felix Stampflis Aufenthalt in Paris von anfangs Jahr entstanden ist, leuchtete mir sein Denken schnell einmal ein: Was links dunkelblau ist und nur in Spuren hellgrünes Licht durchschimmern lässt, ist rechts grün mit durchschimmerndem Dunkelblau. Tag und Nacht vielleicht, oder auch Verstehen und Nichtverstehen, oder auch lichtes und dunkles Ahnen – die Reihe der Drehungen liesse sich fortsetzen. Im Hauptbild in der Mitte vermischen sich die dunklen und die hellen, die blauen und die grünen Sichtweisen zu einem feinen, sprinkligen Lebensmuster. Vielleicht ist unser Dasein zwischen Tag und Nacht, zwischen Verstehen und Nichtverstehen, zwischen Innen und Aussen ,auch zwischen Offenheit und Geschlossenheit, zwischen Intellekt und Gefühl gemeint.

Es wäre einfach gewesen, wenn nun alle Bilder so schön logischen Mustern folgen würden und eigentlich war das irgendwann mal auch geplant, doch dann brach – vielleicht die Irrationalität des Lebens durch, die Wahrnehmungsschichten woll­ten keinen Mustern mehr gehorchen. Jedes Sehen, jedes Beobachten stand fortan für sich selbst und doch blitzen Zusammenhänge immer wieder auf. Mal verstehen wir, mal nicht. Und dieses Nicht ist etwas, das uns irritiert, weil es nagt an un­serer oft unausgesprochenen Meinung ,dass alles erklärbar sei.

Mit einer Mischung aus Verstehen und Nichtverstehen, mit einer Mischung von Faszination und Ratlosigkeit bin ich damals aus dem Atelier nach Hause zurück­gekehrt. Ich liess es einige Tage gären in mir, das, was ich gehört und gesehen hatte im Atelier des Künstlers. Wie sollte ich den Aspekt Ratlosigkeit bewälti­gen, fragte es dann und wann in mir und fast war da ein bisschen Angst, an die Schreibmaschine zu sitzen und schwarze Wörter auf weisses Papier zu setzen ( bezogen auf die Vernissagerede von heute müsste ich sagen: schwarze Punkte auf einen lichtgrau flimmernden Monitor zu setzen).

Schliesslich tat ich, was ich, meiner Art zu denken entsprechend, meistens tue. Ich begann nach einer kurzen Zusammenfassung des Gegebenen von vorne. Und plötzlich stellte sich jenes ergreifende Moment des  – subjektiven selbstver­ständlich – Verstehens ein; ich begann zu begreifen, warum es richtig ist, dass Felix Stampfli seine Schiffe scheinbar in die Wüste schickte und dass die Bilder, die wir hier rundherum sehen, einen grossen Schritt auf einem kontinuierlichen Entwicklungsweg bedeuten.

Von diesem – erarbeiteten – Felsvorsprung aus, will ich Ihnen im Folgenden ein paar Abschnitte aus dem publizierten Text vortragen:

Felix Stampfli ist 1948 im Zeichen des Fischs in Zürich geboren. Auf die Frage, ob er am See aufgewachsen sei, antwortete er ebenso lapidar wie aussagekräftig: Nicht „am“ , sondern „im“. Die Nähe zum Wasser, die Nähe zum Schiff, zum Fahren auf dem See sind somit Kindheitsprägungen. Der junge Erwachsene gerät in Genf in den Sog der 68er Jahre. Die wesentliche Erfahrung, die er daraus zog, war ein neues Bewusstsein der eigenen Möglichkeiten, die Erkenntnis als selbständig Handelnder Neues bewirken, Eigenes entwickeln zu können. Für den Studenten Felix Stampfli ist vielleicht Joseph Beuys die prägendste Künstlergestalt. In der Auseinandersetzung mit der „documenta 77“ wird Beuys‘ „Soziale Plastik“ in in­dividueller Ausformung zum Leit- und Weltbild von Felix Stampfli.

Nach Jahren einer sich mit grosser Neugierde stetig erweiternden Vision des „Anything Goes“ findet Felix Stampfli per Zu-Fall ( mit Bindestrich geschrieben) zum Zeichen „Schiff“. Es ist für ihn Medium der Wahrnehmung auf der Zeitachse, die von der Vergangenheit in die Zukunft führt, beeinflusst von der Vertikalachse Erde-Kosmos. Primär erscheint das „Schiff“ als Malerei. Erst beim Schreiben wurde mir so richtig bewusst, dass die Perfomances und Aktionen, die Felix Stampfli im Laufe der Jahre zum Thema durchgeführt – oder zumindest durchge­dacht hat, ebenso wichtig sind wie die haptisch greifbaren Bilder. Ja, mehr noch, im Gegensatz von Bildern und Aktionen manifestiert sich die, damals noch unbe­wusste, Problematik zwischen einem dargestellten Schiff und einem selbst ge­steuerten Schiff;jener Problematik also, die letztendlich zum Aufbruch, den wir in den heutigen Bildern erleben, führte. Bald folgten den gemalten Schiffen, stark übersetzte, gebaute, objekthafte Schiffe. Auch hier balanciert der Künstler zwi­schen den Positionen. Er baut und ist doch nur Beobachtender.

In den späten 80er Jahren setzt eine starke Entwicklung ein. Schon immer hatte Felix Stampfli die Qualität der Malerei mehr interessiert als die abbildende Form. Das wird nun erweitert. Die Bilder werden sämig-sinnlich, das optisch Fassbare versinkt im Farbenmeer. Die Formen reduzieren sich auf Andeutungen, lösen sich in Bewegungsrhythmen auf. Das Moment des Fahrens mit den eigenen Empfindungen wird durch Mehrfachbilder akzentuiert.

1990 ist Felix Stampfli während sechs Monaten im Aargauer Atelier der Cité Internationale des Arts in Paris. Wie wir sehen, lösten der Ortswechsel und die veränderte Lebenssituation einen scheinbaren „Bruch“ im Schaffen des Künstlers aus. Der „Bruch“ ( immer in Anführungszeichen gesetzt) besteht ganz primär darin, dass Felix Stampfli in den neuen Arbeiten nicht mehr als Beobachtender einer Lebensfahrt auftritt, sondern als selbst Fahrender, Schauender, Wahrnehmender in Erscheinung tritt. War das „Ich“ in der Schiffsform früher letztendlich passiv enthalten – es wurde vom Schiff gefahren – so ist es in den pneuen Werken nun aktiv formuliert – „Ich“ schaue und sehe. Das Neue kündigte sich indes zuvor schon in Bildern und vor allem zwei Aktionen an: In der l986 im Steinbruch von Holderbank durchgeführten Aktion „Tempel der Margila“ ( Tempel des Mergels) gelingt Felix Stampfli bereits eine ausschliesslich ich-aktive Handlungsweise: Zu Feuer und Steinbruchgeräusch ertönten aus vier Monitoren die Worte „Ich träume“ – „Ich kämpfe“ – „Ich hoffe“ – „Ich lebe“ in endlosem Rhythmus. In der 1989 im Aargauer Kunsthaus realisierten „Video-Installation für ein Rechtes Auge“ wurde der Blick des „Ich“ endgültig von den Schiffswänden befreit, um fortan direkt in die Schwingungen der Lebensachsen  – Vergangenheit/Zukunft, Erde/Kosmos –  zu schauen

Felix Stampfli nennt die Ausstellung, die ich hier und heute eröffnen darf, „PRETEXT“ – VORWAND, VORGEFLECHT, VORSTRUKTUR, VORSICHT, VORSCHICHT. Die vom lateinisch-griechischen Stamm des Wortes ausgehenden Assoziationen sind ihm Sinnbild seines Wollens. Einer Vision, die seit Anbeginn immer dem Gedanken vernetzten Denkens nachlebt, einem Denken im Spannungsfeld sichtba­rer und unsichtbarer Beeinflussungen. Die materiebetonten Leinwände um uns mit ihrem objekthaften Charakter sind somit Wahrnehmungsdarstellungen, Bilder eines handelnd ( malend) Wahrnehmenden.

Der Blick  des Wahrnehmenden, des Malenden ist dabei von unterschiedlich dichten, durch verschiedene Qualitäten bestimmte Schichten mehr oder weniger gehemmt. Immer muss der Blick mehrere Schichten duchdringen. Diese können wechselseitig sein indem harte und weiche, dunkle und helle, matte und glänzende, dichte und lockere, fette und spröde Schichten einander ablösen und zwar so, dass ein Drehen im Raum, von Bild zu Bild, spürbar wird.Analoges kann auf der Ebene der Strukturen beobachtet werden: Felix Stampfli arbeitet bei diesen Bildern kaum mehr mit dem Pinsel, dafür mit dem Fingern, mit dem Schwamm, mit dem Spachtel, mit der Tube, mit dem Schleifpapier. Als Bildgründe wählt er Holzbretter, Spanplatten, geschichtetes Sperrholz, Leinwand, Filz usw. Die Farbmaterie durchsetzt er mit verschiedenen Zusätzen, um differenzierte Oberflächenstrukturen zu erreichen und der Wechselwirkung von anziehen, abstossen, durchlassen, absorbieren, abblocken, öffnen Ausdruck zu geben.

Es ist klar: schnelles Hinschauen, ein flüchtiges Vorbeigehen an den Bildern bleibt auf der obersten, der äussersten Bild-Schicht stehen. In die Strukturen einzudringen erfordert nicht nur Zeit, sondern vor allem innere Bereitschaft zum konzentrierten „Gespräch“. Der präzisen Beobachtung kommt dabei dieselbe Bedeutung zu wie dem Einatmen der Werke; dem Vergleich des Sichtbaren mit den körpereigenen Empfindungen und den Reflektionen des Geistes.

 

Ich danke fürs Zuhören.