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Berner Kunstmitteilungen 1/1993
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Das Museum kurz vor dem Jahr 2000 – Die Sicht der Kunstkritik, Von Annelise Zwez
Kunst im Netz der Kulturgeschichte
Als Museum wird in diesem Text ein Kunst-Haus verstanden, das seine Tätigkeit auf der Basis einer bestehenden und sich stetig erweiternden Kunstsammlung entfaltet. Das Museum steht hier in Kontrast zur Kunsthalle, die aktuelle Tendenzen bildender Gestaltung seismographisch aufzeigt. „Museum“ betrifft hier somit auch nur die eine Seite all jener Häuser, die aufgrund regionaler Gegebenheiten beide Funktionen wahrnehmen ( zum Beispiel das Kunsthaus Aarau, das Kunstmuseum Luzern ).
Europa hat eine Zeit der Kunst-Euphorie hinter sich. Einmal mehr hat sich gezeigt, wie sehr materielle Aspekte die Massen in Bewegung setzen können und wie schnell das Kartenhaus zusammenbricht, wenn die Börsen-Kurven der „Heldin“ (der Kunst) nicht mehr nach oben weisen. Dass an den grossen Auktionen vorab Werke der Kunstgeschichte (zum Beispiel des Impressionismus) Preisrekorde erzielten, hatte langen „Schlangen“ vor jenen Museen zur Folge, die mit riesigem Aufwand entsprechende Ausstellungen anboten. Doch im Sog überschäumte auch – und sogar vor allem – die Gegenwartskunst. Die Kunstkritik – insbesondere die auf Hochglanzpapier – hat das ihrige dazu beigetragen. Nachdenkliche Texte füllten die Papierkörbe; was die Kasse zum Klingeln brachte, waren „Stories“. Eine fatale Folge dieses Kunst-Heldentums war und ist, dass die Pyramide dessen, was „interessant“ ist, immer steiler wurde. Die Sammlungen der Museen begannen sich mehr und mehr anzugleichen.
Nun hat sich das Blatt gewendet. Mit dem Resultat, dass sich sowohl die Museen wie die Kunstschaffenden, die Kunstkritik und das Publikum in einem gewissen Vakuum befinden. Viele Museen haben kein Geld mehr, das Bisherige fortzusetzen, aber alles Andere zieht kein Publikum an. Viele Künstler und Künstlerinnen sind mangels Verkäufen von Existenzsorgen geplagt und haben mangels Feedback ihre Motivation verloren. Die über Kunst Schreibenden können ihre Texte nicht mehr „verkaufen“, da Kunst, zumindest in den Tageszeitungen, „uninteressant“ geworden ist. Und das Publikum sucht sich im nach wie vor riesigen Freizeit- und Kultur-Angebot andere Vergnügungen. Neue Strategien tun not.
Die Grundaufgaben der Museen sind neu zu überdenken. Das „Heldentum“ muss begraben, die Kunst als ein Stück Kulturgeschichte neu inszeniert werden. Als Grundeinheit dazu bietet sich die Sammlung – welcher Ausrichtung auch immer – geradezu an. Nur: Ohne besondere Anstrengungen geht es nicht. In den letzten Jahren sind die Sammlungsräume vielerorts reineTouristenzentren geworden. Das einheimische Publikum wartete auf immer neue Wechselausstellungen. Diese Kluft muss geschlossen werden – mit Phantasie, mit Wissen und mit Mut zum Experiment. Ansätze dazu gibt es seit Jahren. Eines der gelungsten Beispiele war 1991 die Ausstellung „Im Nebel aufgelöste Wasser des Stromes“ im Aargauer Kunsthaus in Aarau. Ausgehend vom grossen Sammlungsbestand an Werken von Caspar Wolf (1735 – 1783), dem ersten Schweizer Alpen-Maler, wurde „Landschaft heute“ befragt und mit Werken von Michael Biberstein, Gloria Friedmann, Per Kirkeby u.a.dargestellt. Ein solches Vernetzen von Zeit im weitesten Sinn des Wortes bringt Erkenntnisse, die nicht primär dem Kunstmarkt, sondern vor allem der Kunst dienen. Einen weiteren, interessanten Ansatz verfolgen Muriel Olesen und Gérald Minkoff mit ihren Hinterfragungen von Bild und Realität ( Kunstmuseum Solothurn 1988, Kunstmuseum Bern, 1990). Uebrigens: Die (kostengünstige) Broschüre, die 1988 in Bern herausgegeben wurde, war ausreichend, sinnvoll und ausstellungsentsprechend. Im Bereich der Publikationen kann gespart werden, mit dem Resultat, dass die Kataloge wieder gekauft und erst noch gelesen werden. Es ist ein Wahn, zu meinen, der Katalog müsse denen, die nicht kommen, die Ausstellung nach Hause bringen. Erst kürzlich hat eine Umfrage des Kunstvereins Schaffhausen bei seinen Mitgliedern ergeben, dass mehr Führungen und weniger aufwendige Publikationen gewünscht werden.
Noch etwas: Die Möglichkeiten, Werke aus der Sammlung mit zeitgleichen oder zeitkontrastierenden, anderen Aspekten zu vernetzen, ist mitnichten auf bildende Kunst beschränkt; die Musik und die Literatur, vielleicht sogar die Technik und die Naturwissenschaften, sind ebenso wichtig. Gerade am Ende des 20. Jahrhunderts, da spürbar wird, dass die „Moderne“ als Inspirationsquelle für die Gegenwartskunst praktisch versiegt ist, sind Versuche, neue Sichtweisen zu erkunden, von grösster Tragweite. Allerdings: Es gibt langweilige und es gibt faszinierende, es gibt trockene und es gibt erregende, es gibt kopflastige und es gibt körpernahe und es gibt theoretische und es gibt greifbare Möglichkeiten. Eine Binsenwahrheit sollte dabei nie vergessen werden: Der Mensch vergisst Ausstellungen, die ihn als Ganzes packen, das heisst mit Geist und Körper, viel weniger als reine Reissbrett-Inszenierungen. Und was nicht vergessen wird, wirkt weiter. Das gilt für das Publikum wie für die Kunstkritiker(innen). Und ein letztes: Es ist die Chance des Museums, dass es zu frei wählbaren Zeiten besucht werden kann. Ausstellungen dürfen darum nicht nur punktuell – das heisst im Rahmen von Veranstaltungen – funktionieren, sondern müssen a priori so eingerichtet werden, dass ihr gesamte Kraft jederzeit wirksam ist.
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