Max Matter Retrospektive Aargauer Kunsthaus 1995

Visualisierte Denkprozesse

www.annelisezwez.ch  Annelise Zwez in Kunstbulletin Ausgabe September (ev. Oktober) 1995

Max Matter (geb. 1940) gehört spätestens seit Jean Christoph Ammanns „Visualisierten Denkprozessen“ ( Luzern, 1970) zu den interessantesten Schweizer Künstlern. An den grossen Kunstmessen sucht man ihn allerdings vergebens; er hat es immer vorgezogen, seine künstlerische Vision ohne Marktambitionen voranzutreiben.  

Sein Hauptwerk (ohne die Arbeiten im Rahmen von „Kunst am Bau“) wurzelt in den frühen 70er Jahren als die Künstler sich aufmachten, die Welt bildnerisch zu begreifen. Kaum einer ist diesen Weg bis heute so konsequent – um nicht zu sagen obsessiv – und zugleich phantasiereich gegangen wie Max Matter. Im Aargauer Kunsthaus zeigt er das Wegstück der letzten 12 Jahre. Im Kern sind alle seine Werke „Porträts“, aber nicht im Sinne von Aussenbildern – auch nicht psychologischen Innenbildern –  sondern im Sinne formender Strukturen, die durchaus Verwandtschaft mit naturwissenschaftlichen Methoden beinhalten. 

1984 formulierte Matter den Leitsatz seiner Bildforschung: „Wie einer denkt, und, indem er denkt, sich selber herstellt“. Wenn auch dieses Programm nicht eng verstanden werden darf, so bestimmt es doch die Werkphasen der letzten Jahre. Ausgehend von erspürten Gedanken-Räumen (1983) gelangte Matter um 1985 zu Körperabwicklungen, die das Dreidimensionale in die Fläche projizierten. In diesem offenen Feld entwickelten sich in spielerischer Manier Bilder von mehrfach überlagerten Denkverläufen. 

Bald wechselte indes das Bild zur Struktur und rückte damit eine neue Arbeitsmethode in den Vordergrund, die eigentlich schon in den Pendelbildern der 70er Jahre angelegt war: Matter sucht nicht eine Bildvorstellung umzusetzen, sondern Formeln zu finden, die aus sich selbst komplexe Bilder generieren. Essentiell ist ihm dabei die Vernetzung von Konzept und Körper. Es entstehen reiche Variationen auf der Basis von Fünf- und Sechsecken (den Strukturen des Organischen und Kristallinen), später auch von Sternbild-Konstellationen ( aus dem astrologischen Tierkreis) oder Hautmerkmalen ( die Leberflecken am eigenen Körper zum Beispiel). 

Diese Basismuster lässt er nach vorbestimmten, exakten Leitsätzen auf dem Papier wachsen, die so zu oft überraschenden und in ihrer „kartographischen“ Ornamentik vielfach verblüffenden Feldern führen. Max Matter ist ein ausserordentlich belesener Künstler. Die Nähe seiner Arbeit zu jener der Feldforscher im Bereich der Physik zum Beispiel ist durchaus gewollt, wenn auch nie analog, sondern immer künstlerisch. In den letzten Jahren hat Matter die äusserst aufwendig Hand-Arbeit zum Teil in Zusammenarbeit mit einem Spezialisten dem Computer übertragen, um damit zu noch wesentlich komplexeren Strukturen vorzudringen. 

In einer ersten Serie entstanden ein- oder mehrfach überlagerte und/oder axial gespiegelte, farbig auf Leinwand ausgedruckte „Sonnenuntergänge“ auf der Basis einer Polaroid-Aufnahme. In einer zweiten Serie bearbeitete Matter Wasserspiegelungen, die er mittels der Rechenfähigkeit des Computers zum „Globus“ machte. Hier wie dort und in allen anderen Arbeiten geht es um die Faszination des Bilderreichtums im Spannungsfeld zwischen Grundgegebenheit und Wandlungsfähigkeit innerhalb definierter Vorgänge. 

Abstrakteren Charakter haben die neuesten Werke die – ähnlichen den Fünf- und Sechseckuntersuchungen – Konstellationen aus fünf respektive sieben Kreisen untersuchen und dabei eine unermessliche Zahl von Möglichkeiten generieren, die letztlich auf den Reichtum der Welt, ausgehend von klaren Grundstrukturen verweisen. Und gerade das ist wohl die nie erlahmende Triebfeder, die des Künstlers Bildforschungen immer weiter treiben. Das Prozesshafte und das Faszinierende des aus sich selbst entstehenden Bildes dokumentiert der Künstler in der Ausstellung damit, dass ein Plotter über Wochen hinweg zwei, auch dem Künstler noch unbekannte, je neunteilige Werke in der Ausstellung ausdruckt.