Kunstmuseum Solothurn: Jahresausstellung Bieler Tagblatt Dezember 1998
Highlights in einem Meer von Mittelmass
In vielen Regionen gehören die Jahresausstellungen zu den bestbesuchten. Wer hat die Jury passiert? Wer nicht? Ein Kunst-Spiel mit emotionalem Hintergrund. In Biel ist 1/3 in Solothurn 2/3 der Kunstschaffenden zurückgewiesen worden.
Annelise Zwez
Die Jahresausstellungen sind Spiegel: Der Qualität und Eigenart des regionalen Kunstschaffens aber auch der Organisationsform der Veranstaltungen, die von Ort zu Ort verschieden sind. In Bern, in Basel, in Luzern, im Aargau sind es die die Kunsthallen, -häuser, -museen, welche die Ausstellungen nach wechselnden Modi durchführen. Entsprechend professionell ist die Qualität der Form und die magnetische Wirkung auf die angesprochenen Kunstschaffenden. In Solothurn und Biel sind es die Kunstvereine, die mit ihrem ehren amtlichen Stab als Veranstalter zeichnen. Auch das spürt man, sowohl organisatorisch wie bezüglich der Liste der Teilnehmenden. Während jedoch in Biel nur die Künstler und Künstlerinnen, die in der Region wohnhaft sind, mitmachen können, sind es in Solothurn alle, die dem lokalen Kunstverein angehören. Die Region wird auf ein persönliches (oder auch strategisches) Beziehungsfeld ausgeweitet.
Die Gretchenfrage
Der Unterschied spiegelt sich in den Teilnehmerzahlen: In Biel 98, in Solothurn 206. Weil, reziprok, in Biel mehr und in Solothurn weniger Ausstellungsraum zur Verfügung steht, sind prozentual eine höhere respektive eine niedrigere Zahl von Werken angenommen worden. Die Gretchenfrage lautet dementsprechend : Steigt die künstlerische Qualität mit zunehmender Rückweisungsquote? Die erstaunliche Antwort ist: Nein. Unter den 173 Werken von 68 Künstlern und Künstlerinnen in Solothurn findet man zwar einige, überregional bekannte Highlights, doch im Gesamtvergleich hält sich die Qualität in etwa die Waage. Das heisst: Qualitativ herausragende Kunst ist selten. Das breite Band in der Mitte jedoch ist mehr oder weniger austauschbar.
Ueberraschendes
„Es herrscht ein richtiger ‚Art brut‘-Fimmel in dieser Ausstellung“, wettert ein Künstler, der selbst mit konstruktiven Arbeiten vertreten ist. Wettern gehört zu Jahresausstellungen; er hat indes nicht ganz unrecht. Die Jury mit Adelheid Hanselmann und Jörg Mollet als Künstlern und Beate Engel als Kunsthistorikerin hat stark auf scheinbar ungefilterte Ausdrucksformen reagiert. Problematischer scheint uns jedoch der Hang der Jury zu Pseudo-Originalität. Wichtiger als Trends sind Arbeiten, die sich als Ueberraschung in die Erinnerung einschreiben – zum Beispiel die Videocollage des jungen Gabriel Alber (geb. 1976), die Fernsehsprecher und -sprecherinnen in dem Moment festhält, da sie die Augen geschlossen haben. Oder die Art und Weise wie es Daniela Erni (geb. 1966) in Kaltnadelradierungen gelingt, die menschliche Haut, den Körper zu evozieren. Oder die seismographischen Zeichnungen von Barbara Wiggli (geb. 1967), die in dazugehörenden Gips-Reliefs als Höhlung erscheinen.
Die Achse Biel-Solothurn
Sichtbar ist die Nähe Solothurns zu Biel, respektive die Ueberschneidung der beiden Ausstellungen. Daniel Cartier zum Beispiel zeigt in Biel Buchstaben-Spiele, in Solothurn eine überzeigende Fotoserie von Brandzeichen, mit denen Nutztiere in Farmen markiert werden. Die Reduktion der Bildausschnitte auf die Aesthetik der Zeichen geht beim Betrachten in geradezu wörtlichem Sinne „unter die Haut“.
Zu den über Solothurn hinaus bedeutsamen Arbeiten gehören unter anderem ein ausgesprochen dichter Unikat-Linolschnittzyklus von Franz Anatol Wyss der in den Varianten einer Verkündungs-Figur geradezu malerische Qualität erreicht. Dann auch das (vom Kanton angekaufte) expressive Landschafts-Farbfeld von Marie-Theres Amici sowie die durch kraftvolle Präsenz und Nacktheit provozierende „Power-Frau“ in Bronze von Hans Rudolf Blättler. Und – quasi als Kontrast – die mit einfachsten Mitteln Formkomplexität erreichenden Raum-Skulpturen von Gunter Frentzel.
Eine deutlich höhere Präsenz als in Biel hat in Solothurn die Kunst mit fotografischen Mitteln, seien es die „Lebensassemblagen“ von Sabine Hagmann , die Bildüberlagerungen von Gunter Frentzel, der „Konica/Fotoshop/Jet-INK“ von Armin Heusser oder die digitalen Bildwandlungen von Thomas Woodtli.
Kunstmuseum Solothurn: 14. Kantonale Jahresausstellung. Bis 3. Januar 1999. 25.12.1998 und 1.1.1999 geschlossen.