Der eigenen Welt Form und Gestalt geben
Muss ein Künstler ein Sonderling sein? Oder kann er oder sie auch eine Welt in der Welt schaffen ohne sich auszugrenzen? Fragen, die man sich beim Lesen des folgenden Galerienrundgangs stellen kann. (BT 27_10_1999)
Galerienrundgang: Timmermahn, Pascal Vecchi, Peter Stein, Fränzi Neuhaus, La Franca
Christine Chapuis, Silvia, Schäfer, Annelise Zwez
Die Kunst boomt. In der Vielfalt das Aussergewöhnliche zu erkennen, ist oft nicht einfach, denn manchmal ist das Besondere da, wo man es nicht vermutet. Die Galerienrundgänge des «Bieler Tagblatts» versuchen Akzente zu setzen.
Timmermahn bei Larsen in Siselen
is. Timmermahn, mit Verlaub der begabteste Spinner der Schweiz, beleidigt gegenwärtig die Kunstszene in der Galerie 25 in Siselen. Um sich bei der Kunst, die er doch so liebt, gleich wieder zu entschuldigen.
Er zeigt 20 bemalte Leinwände in Pastelltönen, in Blau, in Schwarz. Jede Leinwand hat er zerschnitten, meist artig, sauber, meist systematisch im Zentrum, und hat sie wieder zusammengenäht, mit sichtbaren, groben Stichen. Würde jemand die Nähte lösen und die Narben platzen lassen, die vordergründig diesen einzigen Gedanken der Verwundung symbolisieren, würden Worte wie Eiter daraus quellen: ernsthaft, bedrohlich, süsslich und heilsam zugleich.
Es wären die Worte, die Pfarrer Andreas Urweider anlässlich der Vernissage für diese Zerschneid-Aktion gefunden hat und zur Kunstvesperzeit am kommenden Freitag in der Stadtkirche Biel erneut thematisieren wird. Urweider erkennt im Künstler den rastenden Pilger, in dessen Tun den bewussten Verzicht auf seine vielfältigen Fähigkeiten, in dessen Gemüt die Selbstvergessenheit und Arglosigkeit einer Kinderseele: «Das Kind wird älter und verständig, tritt als nützlicher Bürger in den Orden seiner Zeit. Oder es reift ruhig weiter von tief innen, wo die Dinge träumen, und wird Mensch im Geiste aller Zeit.»
Von «Timu» selber, dem Schriftsteller, Stückeschreiber und Erzähler der Walterli-Geschichten und des neuen Märchens «Waldrausch», quellen entschieden keine aus den Narben der neuen Ölgemälde. Kompromisslos wie immer bekennt der 57-Jährige: «Ich lasse malen, ohne zu hinterfragen… Ich brauche nicht verstanden zu werden und ich mag nicht malen, wie es von mir erwartet wird. Ich liebe die Malerei.»
Pascal Vecchi bei Item in Biel
azw. Das plastische Schaffen des 40-jährigen Bieler Bildhauers Pascal Vecchi hat gleichzeitig politischen wie sehr persönlichen Charakter. Die 70-teilige Skulpturengruppe, die er als Figur-Licht-Raum-Installation im feucht-dunklen Soussol der Galerie zeigt, nennt der «Schattenarmee». Er bezieht sich dabei, einem Text von Philippe Mathez, Konservator am Rot-Kreuz-Museum in Genf, folgend, auf die Ton-Soldaten des chinesischen Kaisers Qin Shi Huang.
Das blinde Vertrauen der Soldaten, die mit ihrem Kaiser in den Tod gehen, ist für Pascal Vecchi vergleichbar mit Kindern in Notstandsgebieten, die ihren Eltern „blind“ folgen und dabei in Krieg, Not und Elend geraten. Wahrlich eine aktuelle Metapher! Sie rückt Vecchis Werk inhaltlich in die Nähe eines Carl Bucher oder eines Schang Hutter.
Die künstlerische Umsetzung hat indes, leider, nicht die Eindringlichkeit, ihre Thematik radikal genug auszudrücken. Die gleichförmigen Holzstelen mit weissgetünchten Köpfen ohne Gesichter, mit brandverletzten Körpern ohne Beine und Arme erhalten in der Multiplikation vervielfachte Kraft. Doch die plastische Gestaltung der Figuren lässt die Assoziation „Kind“ nicht aufkommen. Eher fühlt man sich an gezeichnete und zugleich abgestumpfte Erwachsene erinnert, die vergessen haben, wie man schreit und sich wehrt.
Schicksalsfragen
Denn auch aus den Plastiken und den Wandbildobjekten im Hauptsaal lässt sich eine verwandte Frage ablesen: Wie weit bestimmt der Mensch sein Schicksal, wie weit bestimmt es ihn? Reliefierte Figurengruppen, die ornamental hinauf- und kopfüber wieder hinterwandern, weisen darauf hin.
Auch die kleinen Figurenumrisse, die in den für Pascal Vecchi neuen Wandbild-Objekten „schwimmen“, fragen nach der Wechselwirkung von Aktivität und Passivität. Am eindrücklichsten gelingt Vecchi die Umsetzung in einer sorgsam ausgehöhlten, baumstammähnlichen Holzskulptur, in der stehend und kopfüber eingeschnitzte Figuren über lange Haarsträhnen miteinander verbunden sind. Das archaische Moment, das Vecchi seit seiner Lehrzeit bei Ralf Benazzi mitprägt, verbindet sich mit dem Ornamentalen uralter Gestaltungsformen und steigert sich bis an die Grenze des Surrealen.
Drei Künstler, drei Stile in Büren
sch. Die Gruppenausstellung mit Fraenzi Neuhaus, Peter Stein und François Lafranca ist in ihrer künstlerischen Sprache sehr verschieden. Peter Stein, 77-jährig, Maler, Grafiker und Glasmaler, zeigt grossformatige Bilder in schnelltrocknender Acryltechnik. Seit 1957 hat sich der Berner Maler der monochromen Malerei zugewendet. In den neuen Bildern zeigt er eine Vorliebe für Blautöne. Bei näherem Betrachten schimmern aber seine geliebten Grautöne durch. Es gelingt ihm, eine Transparenz zu schaffen, wie sie für seine Malweise typisch ist. «Die Stimmung geht von der Lichtqualität aus und vermittelt ein Raumgefühl», umschreibt Stein sein malerisches Credo. Es sei auf seine Tätigkeit als Glasmaler zurückzuführen. Aber auch seine grafische Arbeit ist durch kaum sichtbare Spuren in seinem malerischen Œuvre präsent.
Textiles Schaffen
Fraenzi Neuhaus, 42-jährig, beschäftigt sich seit langem mit textilen Strukturen. Mit eigenständigen Wand- und Bodenobjekten in schwarzer, weisser und oranger Farbgebung erprobt die Solothurner Künstlerin, Bürgerin von Biel und Gals, gestalterische Möglichkeiten mit durchbrochenem Gewebe. Die in den letzten drei Jahren entstandenen Arbeiten wirken fragil, sind aber in Wirklichkeit aus steifem Gewebe hergestellt, das in der Industrie für Filter und Siebe verwendet wird.
Aus diesem Material näht sie hunderte von aufgeworfenen Einzelteilen in stets gleicher Form und gleicher Grösse und reiht sie zu grossen Flächen. Sie erinnern an serielle Malerei, verkörpern Spiel mit Licht und Struktur, schaffen Bezüge zu Raum und Architektur.
François Lafranca, 56-jährig, Tessiner Künstler, ist vor allem durch sein handgeschöpftes Papier bekannt. In der umfunktionierten Mühle von La Collinasca über dem Maggiatal gelegen, entstehen aber auch Drucke und Steinskulpturen. Die ausgestellten Arbeiten – Fotografien auf Büttenpapier sowie die Skulpturen aus Tessiner Stein – bezeugen seine vielseitige Tätigkeit. Die Werke sind geprägt von der Landschaft des Tessins und deuten auf den stummen Dialog, den der Künstler mit der Natur führt.
Galerie 25, Siselen: Timmermahn. Bis 14. November. Kunstvesper: Freitag, 29. Oktober, 18 Uhr. Galerie Françoise Item: Pascal Vecchi. Bis 20. November. Büren, Galerie am Marktplatz: Fraenzi Neuhaus, Peter Stein, François Lafranca. Bis 14. November.