Rudolf Steiner, Joseph Beuys, Emma Kunz, Andrej Belyi Kunsthaus Zürich

Imagination, Inspiration, Intuition

www.annelisezwez.ch   Bis 01.08.1999

Das Kunsthaus Zürich wagt einen Schritt. Es lenkt mit Werken von Rudolf Steiner, Jospeh Beuys, Emma Kunz und Andrey Belyi den Blick hin zu Visionären, die Denken als Kraft von Körper, Seele und Geist betrachteten.

Lange Zeit wurde die Kunstgeschichte der Moderne primär unter dem Blickwinkel der formalen Erneuerung betrachtet. Erst mit Ausstellungen und Publikationen wie „The Spiritual in abstract art, 1890-1985“ setzte eine Gegenbewegung ein. Die Ausstellung Steiner, Beuys, Kunz, Belyi im Kunsthaus Zürich setzt mit je einem wichtigen Werk von Malewitsch, Kandinsky und Mondrian ein. Diese stehen jedoch nicht – wie gängig – für Wege in die Abstraktion, sondern für ihre gemeinsame, geistige Triebfeder in der Bewegung der Theosophie. Oder – offener ausgedrückt – in der Faszination rund um die „Vierte Dimension“, welche um die Jahrhundertwende Künstler ebenso wie Wissenschafter umtrieb.

Unter ihnen, als herausragende Gestalt, der Begründer der aus der Theosophie hervorgegangenen Antroposophie, Rudolf Steiner. Dieser wiederum war der bestimmende „Lehrer“ für den 50 Jahre später tätigen Joseph Beuys. Dieser seinerseits ermöglichte mit der Erweiterung des Kunstbegriffs, dass alles, was mit bildnerischen Mitteln Erkenntnis sucht, dem Gefäss der visuellen Kunst zugeordnet wird. Und zwar unabhängig davon, ob sich ihre Schöpfer der künstlerischen Dimension ihrer Arbeit bewusst sind oder nicht. Das wiederum rückte – schon zu Beginn der 70er Jahre – die Pendelzeichnungen der „Forscherin“ Emma Kunz in den Kontext der Kunst.

Die um symbolistische Zeichnungen von Andrej Belyi erweiterte Ausstellung in Zürich geht indes tiefer. Da ist zunächst die Inszenierung im Bührlesaal. Den Wänden des „Kirchenschiffes“ entlang hängen rund 100 der 1992 von Beuys-Schülern wiederentdeckten Wandtafelzeichnungen von Rudolf Steiner – energiegeladene, farbige Denkbilder, die Steiner ohne Kunstwollen während seiner Vorträge zur Intensivierung seiner Worte festhielt. Mit dem gestalterisch höchst problematischen, antroposophischen Kunstbegriff haben sie nichts zu tun. Im Herz des Schiffes ist die Installation „Richtkräfte“ von Joseph Beuys aufgebaut; Relikte der 1974 in Berlin durchgeführten Aktion „Art into Society, Society into Art“. Sie verknüpft die beiden „Vortragskünstler“ über die Verwendung der Wandtafel als visuellen Nucleus ihrer sowohl spirituellen wie gesellschaftlichen Visionen.

Seitenkapellen erweitern das Bild. Zum Beispiel um die Blätter des russischen Schriftstellers Andrej Belyi, der 1912 bis 1916 bei Steiner in Dornach weilte, wegen Sprachschwierigkeiten das Erfahrene bildhaft festhielt und so Steiner möglicherweise zur Verwendung der Zeichnung zur Unterstützung seiner späten Vorträge animierte. Wesentlich, in einer weiteren Seitenkapelle, die Präsentation der „Olivensteine“ von Beuys, da sie das Durchwirken der Kräfte und Energien der Natur nicht theoretisch, sondern quasi handfest aufzeigen.

Der heller beleuchtete „Chor“ des Längsschiffes ist den zwischen 1938 und 1960 entstandenen Pendelgeometrien der Aargauerin Emma Kunz gewidmet, die hier – erstmals seit der legendären Ausstellung im Aargauer Kunsthaus 1973/74 – wieder in umfassender Form in einem musealen Kunstkontext in der Schweiz gezeigt werden. Dass es auf einer spirituellen Ebene Verbindungen zwischen Steiner und Emma Kunz und damit auch Beuys gibt, ist bekannt. Die wichtigste Begriffstrias hiezu sind „Imagination, Inspiration, Intuition“, die Steiner als die höheren Erkenntnisebenen des Denkens bezeichnete, da sie rein energetischer Struktur sind. Man findet sie auf Steiners Tafeln, in Beuys These, dass die Richtkräfte der Zukunft aus dem „imaginativen Erkennen“ kommen müssen.

Was Steiner und Beuys sicherlich gelebt haben, kommt in ihren Werken indes als Appell daher. Während die Zeichnungen von Emma Kunz unmittelbarer Ausdruck von „Imagination, Inspiration und Intuition“ sind. Emma Kunz verliess sich beim Aufschreiben der Rhythmen, welche ihr die Bewegungen des Pendels als „Antworten“ auf ihre Fragen vermittelten, ganz auf das, was unsichtbar durch sie strömte. Ihre vibrierenden Zeichnungen sind Visualisierungen von Energiefeldern wie es sie in, um und ausserhalb der Materie millionenfach gibt. Ob sie, die sich stets Forscherin nannte, davon träumte, dass es dereinst gelingen würde, die feinstofflichen Kräfte als die wesentlichen zu erkennen, als sie sagte: „Mein Werk ist für das 21. Jahrhundert bestimmt?“