„Au centre, l’artiste“ CentrePasquart Biel 2000
Der Blick aufs eigene Selbst
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt Januar 2000
Definitiv zu kurz greift, wer „Au centre, l’artiste“ im CentrePasquArt in Biel als reine Ausstellung von Selbstporträts bezeichnet. Zwar steht das Bild des „Ich“ im Zentrum, doch die Blicke auf das Selbst sind vielfältigst und multimedial.
Manch einen mag nach dem ersten Gang durch die Ausstellung der Eindruck überkommen, das Raumverhältnis zwischen dem renovierten, aber grundsätzlich bekannten PasquArt und dem neuen Diener&Diener-Bau sei enttäuschend, respektive das Zentrum der Präsentation nicht in den neuen, sondern in den alten Räumen. Der Eindruck ist richtig. Doch nachdem das Foyer seine definitive Möblierung noch nicht erhalten hat und der Oberlichtsaal vorläufig noch als Theatersaal dient, ist es zu früh, den Neubau auf seine Ausstellungsmöglichkeiten hin zu quantifizieren respektive qualifizieren.
„Au centre,l’artiste“ hat stilistisch und zeitlich zwei Schwergewichte. Zwei Hauptepochen, in denen die Auseinandersetzung mit dem eigenen Bild, der eigenen Befindlichkeit, dem eigenen Körper in der Kunst besondere Bedeutung hatte respektive hat. Es ist zum einen die Spanne des ersten Jahrhundert-Drittels, in dem sich die Stile der Moderne entwickelten; vom nachimpressionistischen Licht-Bild über kubistische Strukturierungen bis zu mannigfaltigen, expressionistischen Tendenzen. Zum anderen die neue Wahrnehmung des eigenen Körpers nach 1968, die in unterschiedlicher Intensität bis heute andauert.
Aufgrund der parallelen Ausstellung des Photoforums sowie der neuste technische Möglichkeiten nutzende Video ­p; „DVD-Box“ lässt sich eine interessante These formulieren. Nämlich der zweifache Impuls der technischen Entwicklung bezüglich der Bedeutung des Selbstbildnisses in der bildenden Kunst. Der Einfluss der Fotokamera auf das Selbstporträt der Moderne ist bekannt. Weniger bewusst ist hingegen, dass der zweite Schub einige Jahre nach der Erfindung der ersten, tragbaren Videokamera im Jahre 1965 einsetzt; nun weniger auf das Gesicht als auf den ganzen Körper ausgerichtet. Gleichzeitig ist die Selbstverständlichkeit des technischen Bildes so weit gereift, dass die Künstler ihrer Lust entsprechend nun alle medialen Möglichkeiten ­p; zuweilen sogar parallel ­p; einsetzen, von der Zeichnung und der Malerei über das Objekt bis zur Fotografie, zum Video und zur Performance.
Die Kunst von 1900 bis 1930, respektive in späteren Jahren auf diese Epoche zurückgreifende Kunst, ist mehr oder weniger überschaubar. Entsprechend ist auch die Ausstellung in diesem Teil relativ homogen. Zwar kann sie die Entwicklung nicht mit Hauptwerken der Epoche dokumentieren, muss zum Teil mit Liga – B Vorlieb nehmen. Ein Haus ohne eigene Sammlung kann die finanziell hochdotierte klassische Moderne nicht einfach aus dem Aermel schütteln. So haben wir es hier eher mit einer qualitativ guten Dokumentation als mit absoluten Highlights zu tun. Dennoch: die vier späten Selbstporträts von Ferdinand Hodler, die Reihe der frühen Bildnisse von Cuno Amiet, Einzelwerke von Eduard Gubler, Alice Bailly, Hermann Scherer, Otto Morach, das weitgehend unbekannte Doppelbildnis Paul Camenisch/Max Haufler, die Zeichnungen von Alberto Giacometti und andere mehr werden in Erinnerung bleiben. Auch die Ausweitung hin zur Art Brut ­p; insbesondere Werken von Adolf Wölfli ­p; ist thematisch anregend.
Die zweite Hauptepoche ist gekennzeichnet von Vielfalt. Zum einen führen Maler die klassischen Tendenzen in die Gegenwart ­p; hier fallen die Maler der Region positiv auf ­p; die beiden Kohler zum Beispiel, Martin Ziegelmüller, vor allem aber auch Gian Pedretti. Zum andern findet eine mediale Auffächerung statt – eindrücklich unter anderem in den Fotoübermalungen von Arnulf Rainer und der qualitativ herausragenden Duo-Arbeit von Dieter Roth und Richard Hamilton aus der Privatsammlung von Christian Tanner (Teufen/La Neuveville). Spannend sind auch Roths Zeichnungsserie „Ich als Hund“ von 1977 (Sammlung Minkoff/Olesen) und die bei Meret Oppenheim schon früh einsetzenden, radiologischen Selbstbildnisse. Franticek Klossners in einen Spiegelkasten montiertes Video, das seine eigenen Stimmbänder in Form einer „autoradiologischen Skopophilie“ zeigt, ist hier zweifellos Höhepunkt.
Enttäuschend schwach präsent ist hingegen die neoexpressionistische Malerei der 80er Jahre, in welcher die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich ein wichtiges Thema war. Mit je einem Werk von Disler, Schifferle, Kippenberger, Bastian, Lis Kocher und Miriam Cahn kann sie nicht abgehackt werden.
Während einem in den oberen Altbauräumen trotz Highlights der Eindruck des Zusammengewürfelten nicht ganz loslässt, so faszinieren andererseits die primär auf grossformatige Fotografien und Video ausgerichteten Gegenwarts-Räume restlos. Nach einem quasi soziologischen Einstieg mit einer Werkgruppe von „Ingold Airlines“ und einer repräsentativen Palette an ironisch-hintergründigen Arbeiten der Bieler Gruppe „relax“ breitet sich das Thema der Selbstwahrnehmung von den 70er Jahren bis heute aus. Die Doppelbesetzung von Urs Lüthi und Manon in der Photoforum- wie der Museumsausstellung dokumentiert die Bedeutung des in den 70er Jahren sowohl einzeln wie als Paar auftretenden Künstlerduos. Aehnlich dem Werk von Muriel Olesen und Gérald Minkoff (Genf), die ebenfalls mit älteren wie mit neuen, konzeptuellen Arbeiten vertreten sind.
Beeindruckend ist die lückenlose, fotografische Dokumentation der Performances von Marina Abramovic aus den Jahren 1974/75, stellvertretend für die frühe, am eigenen Ich (an der eigenen Existenz als Frau) Mass nehmenden, feministischen Kunst. Lust am Spiel mit Körper, Aesthetik, Tanz und Bild kenntzeichnet die junge Kunst, die insbesondere durch Werke von Chantal Michel (Thun) und Natascha Lesueur (Frankreich) hervorsticht. Nicht zu verpassen sind schliesslich die von Irene Schubiger zusammengestellten Videobänder von Joan Jonas über Pipilotti Rist bis Chantal Michel in der Ausstellung wie im neuen „Video-Theater“.