Kunst in Biel 1999: Warten aufs neue Museum

Vergleicht man die Liste der Kunstausstellungen, die 1999 in der Stadt Biel stattfanden mit dem, was man im Laufe des Jahres im Seeland an künstlerischen Ereignissen miterlebt hat, so wird man zumindest nachdenklich. Denn – mit einigen, wichtigen Ausnahmen – wurde viel künstlerisch Wesentliches nicht im Stadtgeviert gezeigt, sondern in der Region; inbesondere die Galerie René Steiner in Erlach, die mehr und mehr Kunstschaffende der Region einlädt, ihre Werke in ihrem historischen Haus am oberen Seeende zu zeigen (heuer u.a. die Bieler Urs Dickerhof, Lis Kocher und Ruedi Schwyn), war für viele Bieler Kunstinteressierte ein Anziehungspunkt. Aber auch Ausstellungen in Vinelz (Annemarie Würgler, Pat Noser, Martin Ziegelmüller), in Siselen (Heini Stucki, Suzanne Castelberg), in Wingreis und Sutz („Der Sturm“) lockten die Kunstfreunde aus der Stadt.

Die allermeisten Besucher verzeichnete 1999 ohne Zweifel die Fondation Saner in Studen, die von Freunden der Werke Albert Ankers geradezu überrannt wurde. Dass es sich bei der grossen Ausstellung mit einem Schwergewicht bei der Porträtmalerei – die bei Anker allerdings oft verquickt ist mit dem Intérieur – um die Privatsammlung des SVP-Nationalrates Christoph Blocher handelte, hielt nur wenige aus politischen Gründen von einem Besuch ab. Umsomehr als sich der Zürcher Rechtspolitiker und Unternehmer als ausgesprochen fundierter Kenner seiner Sammlung erwies.

Das Motto der Stadt Biel im Bereich der bildenden Kunst könnte man mit „Warten auf die Neueröffnung des Centre PasquArt“ umschreiben, denn Ausstellungen von musealer Bedeutung gab es 1999 in Biel keine. Ein Ereignis waren indes erneut die „Journées photographiques“, die im September zum dritten Mal ein Panoptikum an verschiedenartiger Fotografie unter einem thematischen Blickwinkel zeigten. Ihr durch die Renovation des Museums erzwungener Exodus in unterschiedlichste Altstadtkeller und -galerien erwies sich, wie schon im Jahr zuvor, als Glücksfall. Die besondere Atmosphäre der Bieler Altstadt, der Besuch unbekannter Lokale erwies sich für viele als „Surplus“.. „Lorsque les images s’arrêtent“ umfasste primär Ausstellungen mit Bildern, die im weitesten Sinn des Wortes „stehen blieben“, das heisst zu Video und Film in Beziehung stehen. „Tête d’affiche“ war dabei die erstmalige Präsentation von rund 60 Fotos des 1999 verstorbenen Filmregisseurs Stanley Kubrick aus der Zeit als dieser als Pressefotograf tätig war. Dass der alte Streit zwischen Fotografie und Kunst müssig ist, zeigten nicht nur die ausgeprägte und Späteres Vorwegnehmende Charakteristik der Aufnahmen Kubricks, sondern auch viele andere, ausgesprochen individuelle Bild-Ansätze von Clemens Klopfenstein über Eric Rondepierre bis Chrystel Egal und Alexander Hahn. Charkateristisch für die Bieler Fototage und die aktive Fotoszene allgemein, ist überdies ihr stark frankophone Prägung, die sie für Besucher aus der Deutschschweiz vielfach zum Anlass für Entdeckungen macht. Zwei weitere Bieler Fotoausstellungen von besonderem Charakter seien speziell erwähnt. Die erstmalige Präsentation von Fotografien der Finsler-Schülerin Anita Niesz (geb. 1925), die in den 40er Jahren zu besten Reportagefotografinnen der Schweiz zählte (Gewölbe-Keller). Und die unter anderem Kunst, Künstler und Museen  reflektierenden Aufnahmen von Michel Pellaton in der „Boîte à images“.

Dass die Stadt Biel zweifellos die grösste Sammlung regionaler Kunst besitzt und diese Jahr für Jahr äuffnet, um Künstlerinnen und Künstler in ihrer Tätigkeit zu unterstützen und ihre Entwicklung zu honorieren, ist nicht unbedingt stadtbekannt. Um ihre Ankäufe transparent zu machen, veranstaltete die Städtische Kunstkommission im Juni des Jahres eine Ausstellung mit einem Querschnitt durch die Kunst, die sie in den vorangegangenen drei Jahren gekauft hatte. Sie nutzte die Erneuerung der Belichtungsmöglichkeiten im Dachstockes der Alten Krone um ihre Werke im besten Licht zu zeigen. Auch wenn die Qualität überzeugte und aufzeigte, dass die Stadt sich auch vor den neuen Medien nicht scheut, so blieb die Ausstellung dennoch eine Ansammlung an Werken; möglicherweise ein Grund dafür, dass die Besucherzahl enttäuschend klein blieb.

Die Galerienszene in Biel ist – gemessen an den anspruchsvollen, heutigen Erfordernissen – bescheiden. Die einzige Galerie mit überregionaler Ausstrahlung ist die Galerie Silvia Steiner. Zwar ist ihr Programm nicht mehr jung und aufmüpfig wie in den späten 60er und den 70er Jahren, doch ihre Ausstellungen sind auch heute ohne Ausnahme von hoher und in sich stimmiger Qualität. Viele der 1999 gezeigten Künstler gehören seit langen Jahren ins Programm der Galerie, sind durch die engagierte Galeristin fast ein bisschen Bieler Künstler geworden (z.B. Flavio Paolucci, Roland Flück, Urs Stoos).

Die Galerie Item, die Galerie Michel und die Galerie Schürer sind ebenfalls langjährige Bieler Kunstvermittlungsorte, doch genügt das Warten auf Gäste heute oft nicht mehr, um sich Gehör zu verschaffen. Es sind die „treuen Freunde“, die kommen, die zum Beispiel die letzte Ausstellung des bereits von seiner Krankheit gezeichneten Bieler Künstlers Urs Graf in der Galerie Michel nicht verpasst haben. Neu im Ausstellungskonzert ist unter anderem das Software-Unternehmen SAP im Bözingenfeld. Das Engagement des Unternehmens und die Betreuung des Ausstellungsprogramms durch den Künstler und Leiter der Bieler Fachhochschule für Gestaltung, Urs Dickerhof, bringt das Paradox mit sich, dass wichtige Bieler Künstlerinnen und Künstler (u.a. Ise Schwartz) in den für Ausstellungen kaum geeigneten Räumlichkeiten ausstellen. Ebenfalls neu ist die Galerie Elfenau von Olaf Schmalstieg an der Elfenaustrasse 5, die unter anderem versucht, durch qualitativ gute Druckgraphik ein breites Kunstfeld in die kleinen Räume einzubringen.

Konzeptuell wenig greifbar sind die Ausstellungen in der Alten Krone. Die von der Stadt vermieteten Räume sind für Ausstellungen gut geeignet, doch da es keinerlei Auswahl oder Betreuung gibt, ist die Qualität äusserst heterogen – pendelt zwischen Dilettantismus und Trouvaillen. Zwei Jahre im voraus hat sich auf dem Amt für Kultur zu melden, wer die Räume (zu kostengünstigen Konditionen!) nutzen möchte. Dementsprechend dicht ist das Programm – mehr als ein Dutzend Ausstellungen fanden 1999 statt. Zu den positiven Ueberraschungen zählten unter anderem die Ausstellungen mit den kräftigen, figurativen Bildern von Daniela da Maddalena respektive den verträumten Zeichnungen Patrizia Sanchez.

Wer gut hinhörte, stiess im Laufe des Jahres auch auf die eine oder andere Ausstellung an völlig ungewohnten, temporär genutzten Orten. Junge Kunstschaffende, die sich ihre Inszenierungen selbst schufen. Es wäre zu wünschen, dass neben den zu erwartenden Impulsen von der neuen Bieler „Museumsmeile“ an der Seevorstadt im neuen Jahrtausend auch vom nicht etablierten Untergrund knisternde Signale kommen.

                                                                                                          Annelise Zwez