Stadt Biel: Ankauf Begehbare Figuren Jürg Altherr 2000
Nicht länger mit fremden Federn schmücken
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 17. August 2000
Eine technische Pionierleistung war die Installation der Stahlkonstruktion VIII von Jürg Altherr anlässlich der Bieler Plastikausstellung von 1980. Problematisch blieben in der Folge die Besitzverhältnisse. Doch nun ist Bewegung in die Sache gekommen.
Die Stadt Biel will sich nicht mehr länger mit fremden Federn schmücken. Auf Initiative der Kunstkomission wurde vor einiger Zeit eine Aktion gestartet, im Verlauf derer die Stahlkonstruktion VIII aus der Reihe der Begehbaren Figuren von Jürg Altherr endlich städtischer Besitz werden sollen. Am kommenden Freitag wird dem Künstler im Centre PasquArt die erste Rate der Totalsumme von 100’000 Franken übergeben.
Insider wussten es immer: Die 8,5 Meter hohe Stahl-Skulptur des Zürcher Bildhauers Jürg Altherr auf dem Bieler Strandboden ist zugleich ein Wahrzeichen wie eine Vogel Strauss-Geschichte. Die Plastik gehört nämlich bis heute dem Künstler respektive dem Zürcher Architekten Theo Hotz, der Altherr damals 80’000 Franken vorschoss, um die technisch anspruchsvolle Plastik zu realisieren. Man kann das Risiko-Management des Künstlers im Zusammenhang mit einer Arbeit für eine temporäre Skulpturen-Ausstellung mit Recht als problematisch bezeichnen. Da es aufgrund des investierten Kapitals nur zwei Möglichkeiten gab: Einen Käufer finden oder stehen lassen.
Wie der Blick auf den Strandboden zeigt, blieb die Plastik seit 1980 vor Ort. Und mit viel Kopf-in-den-Sand-Politik rührte in den letzten 20 Jahren niemand ernsthaft an der Situation. Die Bleistifte wurden zu einem markanten Zeichen der Stadt. Weder der Zahn der Zeit, noch Fussball Spielende, noch Sturm Lothar konnten ihr etwas anhaben. Ihre hervorragende, technische Qualität liess sie Stand halten. Das damals von Ingenieuren entwickelte Druck+Zug-System, das die nur auf zwei Punkten ruhende Skulptur in flexiblem Gleichgewicht hält, ähnelt der Technik wie sie für die Artplages der Expo.02 zum Zug kommt.
20 Jahre sind für jedes Kunstwerk eine Prüfung. Ist eine Arbeit nach 2 Dezennien noch relevant? Welchen Stellenwert hat sie in Bezug auf die Weiterentwicklung des Künstlers? Im Fall von Jürg Altherrs Stahlkonstruktion VIII zeigt sich gerade da, wie es aller (finanziellen) Vernunft zum Trotz richtig ist, dass Kunstschaffende ihre Projekte mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft umsetzen. Weil sehr oft erst die Zeit die Qualität eines Werkes fassbar macht. Altherrs Begehbare Figuren überzeugen heute so sehr wie damals; durch ihren Mut zur Grösse und ihre direkte Ausrichtung auf den Menschen.
Wer sie nur auf Distanz im Vorbeifahren betrachtet, nimmt die Arbeit nur formal wahr. Wer aber hingeht, sie mit Körpereinsatz in Bewegung bringt und im Feld ihres Aktionsradius stehend ihre Kraft spürt und beobachtet wie sie den offenen Raum dabei in Schwingung versetzt, ist gebannt von ihrer Präsenz als Skulptur. Formale und psychische Wirkungskräfte verbinden sich. Eine Qualität, die im Werk Altherrs mit den Begehbaren Figuren 1980 ihren Anfang nimmt und in zahlreichen Werken seither weitergeführt wurde. Eine aktuelle Arbeit dieser Ausrichtung mit dem Titel Die Organisation der Leere ist Teil der aktuellen Skulpturen-Ausstellung im Centre PasquArt. Der Rückblick auf die Plastikausstellungen im Altbau des PasquArt erinnert ferner an die Arbeit, die Altherr im Rahmen der Plastikausstellung von 1986 in der Altstadt realisierte: Eine riesiges, hölzernes Objekt zwischen Himmel und Erde, das einem Raumfahrt-Mobil ähnlich den Boden kaum berührte.
Die Zeit hat in den letzten 20 Jahren für Biel gearbeitet. Der Künstler liess seine Plastik stehen (bezahlte getreulich Jahr für Jahr die anfallenden Haftpflichtversicherungs-Prämien) und so entstand mehr und mehr eine Beziehung zwischen Ort und Kunst. Im Gymnasium, so versichern Lehrkräfte, könne man sich einen Strandboden ohne Bleistifte gar nicht vorstellen. Längst habe die Arbeit als Logo Eingang in Drucksachen gefunden.
100’000 Franken kostet die Plastik. Das ist derselbe Preis wie 1980.
Trotz der darin zum Ausdruck kommenden Grosszügigkeit seitens des Künstlers, sind 100’000 Franken viel Geld. Darum strebt die Kunstkomission erstmals eine gemischte Finanzierung zwischen Öffentlichkeit und privaten Sponsoren an. Die Komission selbst zweigt während dreier Jahre je 15’000 Franken von ihrem ordentlichen Budget ab und ist daran die anderen 55’000 Franken durch Sponsorengelder zusammenzutragen. Mit langem Atem, so gibt sich die Kommission optimistisch, wird das auch gelingen. Bereits sind Gönner gefunden, denen Biel als Kunststadt wichtig ist und die dazu beitragen wollen, die grösste und bedeutendste Skulptur im öffentlichen Raum definitiv für Biel zu sichern; unter ihnen die Biella-Nehr AG, das Haus Gassmann, Opel Schweiz, Crédit Suisse, Cendres & Métaux u.a.m.
Ihnen gilt der Dank am kommenden Freitag, wenn der Künstler im Rahmen der aktuellen Ausstellung von seiner Arbeit damals und heute erzählt. Gleichzeitig soll der öffentliche Rahmen darauf aufmerksam machen, dass weitere Sponsoren willkommen sind. Denn es darf nicht sein, dass die grösste Skulptur im öffentlichen Bieler Stadtraum gar nicht der Öffentlichkeit gehört. Solches Schmarotzertum kann sich eine Expo-Stadt schlicht nicht leisten.