Neueröffnung Kunstmuseum Luzern 2000

Mixing Memory and Desire

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt August 2000

 

Das fantastische Luzerner Musik- und Kongress-Zentrum des französischen Stararchitekten Jean Nouvel ist mit der Eröffnung des Kunstmuseums zum Gesamtkunstwerk geworden. Doch wird sich auch die Kunst darin wohl fühlen?

Die Pressekonferenz in Luzern beginnt mit einem von Jean Nouvel geführten Rundgang durch das bereits seit zwei Jahren genutzte Musik- und Kongresszentrum. „Es ist möglicherweise der markanteste Bau meiner Karriere”, sagt der Architekt und stellt sich für die Fotografen in Pose. Er spricht von der Landschaft, vom See, vom Wasser, von Flügeln, Ecken, Kanten, Schiffen und definierten Ausblicken. Man mag ihm folgen. Dann, in dem zum Bahnhof hin ausgerichteten Museumstrakt mit einer, der Glaskonstruktion vorgelagerten, offenen Gitter-Fassade, wird der Meister sichtlich still und überlässt das Wort gerne dem Museumsdirektor, dem früheren Berner Kunsthallen-Leiter Ulrich Loock. „Wir wollten diese weissen, neutralen Räume”, sagt er und sucht den Entschluss, für die Ausführung den Basler Konzept-Minimalisten Rémy Zaugg beigezogen zu haben, indirekt zu rechtfertigen. Dann aber schränkt er sogleich ein: „Wir hätten uns auch sinnliche, nackte Räume vorstellen können”, sagt er und gibt unumwunden zu: „Es ist schwierig”.

Da ist nicht weiter verwunderlich: Schaut man in die französische Kunstgeschichte, so findet man da kaum wichtige Minimal-Art Vertreter und die geometrische Kunst hatte immer einen schweren Stand. Nouvel war aufgrund der Vorgaben der Bauherrschaft, sich auf ein „White Cube”-Museum zu konzentrieren, in seiner Fantasie zurückgebunden. Und dieses latente „Contre-Coeur”-Gefühl spürt man. Zwar gibt sich Nouvel loyal und steht zum Konzept, spricht von einer der Kunst vergleichbaren, abstrakten Raster-Struktur. Doch das einzige Schmunzeln entlockt ihm im Eingang der Blick hinauf zum Milchglas-Boden des Museumfoyers, das anhand der Zahl der Füsse die Zahl der Besucher zeigt. Der eigentliche Museumstrakt mit seinen 2100 m2 Ausstellungsfläche, unterteilt in 19 stark in sich geschlossene Räume von 5,5 Meter Höhe, befindet sich im vierten Stock. Er überdacht so auch den Kongress-Raum. Passerellen verbinden die Gebäudeteile geben zugleich den Blick in die offene Wasser-Luft-Architektur frei. Wundert es, dass der Architekt gerade da in dieser einzigen, winzigen „Atem-Zone” seine Interviews gibt?

Die Kunst hat in diesen Räumen einen schweren Stand. Den Künstlern wird nichts geschenkt. Das zeigt die erste Ausstellung mit 25 Positionen in einem Denkfeld, das sich „Mixing Memory and Desire” nennt, schonungslos. Jede Installation ist mit sich allein, kann trotz tageshellem Oberlicht, auf keinerlei wärmende Unterstützung durch die Architektur rechnen. Fatal scheint dies insbesondere für den von Publikum und Behörden geforderten Einbezug der historischen Sammlung – den Werken von Robert Zünd zum Beispiel. Auf Distanz wirken die goldgerahmten Bilder wie rechteckige Löcher in der weissen Wand. Doch vielleicht gilt es Abschied zu nehmen von der Forderung nach Einheit von Raum und Kunst und – so abstrus das klingen mag – jedes einzelne Bild einem Bildschirm gleich als Eingang in eine virtuelle Welt zu verstehen, welche gemalte Bilder ja sind. Denn so wie man das Bildschirm-Bild nicht aus der Ferne betrachten kann, fordert nun auch das gemalte Bild eine andere Distanz, jene der Lese-Brille. Geht man darauf ein, bringt die ungewohnte Nähe überraschenden Reichtum. Denn den Blick fokussierend, hat man plötzlich den Eindruck auf dem lichten Weg von Robert Zünds „Buchenwald” im 19. Jahrhundert zu wandeln. Womit man mitten in der Thematik der Ausstellung ist: Der Vermischung von Erinnerung und Wunschvorstellung.

Im Gegensatz zur Behauptung in bereits erschienen Kritiken (vgl. NZZ vom 19. Juni) hat die Ausstellung sehr wohl ein Thema. Ob es sich um die Trachten-Bilder von Joseph Reinhart (18. Jh.), die Schrebergarten-Idylle von Marko Lehanka (mit dem treffenden Titel: „Schöner Scheitern”) oder die Multi-Identität von Vanessa Beecroft geht, immer entsteht die Spannung durch die Widersprüchlichkeit von (fiktiver) Erinnerung einerseits und (ersehnter) Vorstellung andererseits: Mixing Memory and Desire. Das Mittel zur Verbindung der Kontraste ist der Umbau, die Veränderung der Sicht. Was auch der Geschichte des Neubaus entspricht, werden doch die Besuchenden ihre Erinnerungen an das einstige Museum mit ihren Vorstellungen vom Neuen mixen. Und auch die Inszenierung macht das. Jeder einzelne Raum ist eine Frage: Was geht, was nicht? Fordern die Räume monochrome Bilder, die sie verdoppeln (Markus Döbeli / CH). Sind die Räume vorgestellte Verdoppelungen der alten, ähnlichen den Fotografien von Gregor Schneider (D), der in sein Atelier ein neues stellt und ins Neue wieder ein neues. Gilt es, analog Adrian Schiess (CH), die Malerei zu zerreissen und als „Bricolage”-Raum wieder zu inszenieren oder – auf der Ebene des Menschen – den Körper als morphosyntaktische Objekte neu zu schaffen (Aldo Walker / CH)? Die Antworten sind vielfältig und so wie das Team des Museums zunächst lernen muss, die „Espaces de nudités” (Jean Nouvel) zu bespielen, so werden auch die Besuchenden lernen müssen, in den „White Cubes” zu atmen.