Vernissagerede für Hans Thomann
Galerie Annamarie M. Andersen, Zürich
- März 2000
Annelise Zwez
Sehr geehrte Damen und Herren
Lieber Hans
Die Zeit rennt – und der Fluss? So nennst Du Deine kleine Ausstellung hier in der Galerie von Annamarie Andersen. Manchmal schwillt der Fluss an, und reisst alles mit sich, wird gewalttätig und zerstörerisch, doch dann kehrt er wieder zurück in sein Bett und zieht in dem ihm von der Wassermenge und der Topographie her gegebenen Tempo weiter, wie er das schon vorher getan hat. Eigenartig. Als ich las, dass Du Deine Ausstellung „Fluss“ nennst, dachte ich zuerst, ja, ja, Tao ist immer da, in der Materie und im Geist. Das ist schon lange ein Thema bei Dir, dieses Fliessen in der Gleichzeitigkeit von materieller Präsenz und spiritueller Durchdringung. Somit nichts Neues. Du weisst, mit Bildern überfütterte Kunstkritikerinnen sind manchmal respektlos. Grundsätzlich ist auch richtig, was mir zuerst in den Sinn kam. Aber. Wie ich obigen Satz schrieb vom Fluss, der seinen naturgegebenen Gesetzmässigkeiten folgt, dabei aber Gemächlichkeit und Gewalt in sich trägt, da spürte ich plötzlich, dass dieser Begriff, wie Du ihn nutzest, nicht nur Tao meint, sondern – wie letztlich immer – Dich selbst. Geschichten fuhren ein. Eine weiter zurückliegende und eine, die Du mir letzte Woche erzählst hast. Und weil ich denke, dass sie wichtig sind, um Dein Schaffen richtig zu betrachten, erzähle ich sie.
Vor rund 31/2 Jahren hatten wir in Deinem Atelier in St. Gallen ein ungemein intensives Gespräch miteinander. Der „Strom“ – auch so ein vieldeutiges Wort, das Du zur Charakterisierung Deines Schaffens brauchst – der „Strom“ – Fluss und Energie in einem benennend – schien den Raum aufgeladen zu haben zwischen Dir und mir und Deinen Arbeiten. Da erzähltest Du mir unter anderem von der Bedeutung von Grenzerfahrungen in Deinem Leben; zum Beispiel von einem Theaterstück, in dem Du Dich – lange Zeit zurück – bereit erklärt hattest, den Gewalttätigen zu spielen und wie Du schliesslich erschrakst über die Dimensionen, die sich in Dir selbst abzuspielen begannen. Bis Du schliesslich körperlich krank forfait erklären musstest, um zurückzufinden in Dein „Bett“.
Die andere Geschichte ist…eine ganz andere. Anfangs 1999 trat man Dich heran mit, ob Du nicht Lust hättest in der offenen Kirche … in St. Gallen um die Osterzeit eine Ausstellung einzurichten (eine offene Kirche ist übrigens eine nicht mehr konfessionell genutzte). Deine Antwort war nein, obwohl Du Dich im Rahmen von Kunst am Bau – Aufträgen mehrfach mit Kirchenräumen auseinandergesetzt hast. Ganz offensichtlich schreckte Dich die Gefahr, dass Dein Werk, gerade weil es spirituelle Inhalte spiegelt, unter dogmatischen Gesichtspunkten, welcher Couleur auch immer, vereinnahmt werden und dadurch an Autonomie verlieren könnte. Und Autonomie ist Dir so wichtig wie eine nicht von digitalen Codierungen mitgeprägte Hand-Schrift. Du schlugst den St.Gallern statt einer Ausstellung eine vier Abende umfassende Performance vor – eine Passionsgeschichte ganz eigener Art. Am ersten Abend trugst Du Balken in die Kirche. Am zweiten Abend nageltest Du sie zum Kreuz. Am dritten Abend hast du das Kreuz einbetoniert. Und am vierten Abend wolltest Du das Kreuz mit Hammer und Meissel wieder herausschlagen. Aber der Beton war trotz Massnahmen, die das verhindern sollten, zu hart. Du kamst ins Schwitzen – es musste gehen. Hans Thomann und aufgeben – nein, das erst am Abgrund. So intuitiv hattest Du mehrere Meissel und Hammer mitgenommen und konntest so die Anwesenden bitten, mitzuhelfen. In einem die Ränder menschlicher Kraft touchierenden Prozess gelang es, den Beton zu zerschlagen und das Kreuz wieder herauszuholen.
Ich denke, die Geschichte bedarf keiner weiteren Interpretation. Denn das von Hans Hans Thomann geschaffene Bild vom Strom, vom Fluss zwischen Leben und Tod, Tod und Leben ist nicht an die Geschichte Jesu gebunden.
Beide Geschichten – die persönliche, individuelle und die uns alle im Urgrund begleitende – sind wichtig in dieser Ausstellung. Denn sie verhindern, dass Spiritualität, wie sie Hans Thomann wichtig ist, in eine falsch verstandene Esoterik abgleitet. Spiritualität ist für Hans Thomann Wechselwirkung zwischen Leben und Tod, Gleichzeitigkeit von Leben und Tod, Kampf im Kräftefeld zwischen Hier und Dort. Weiss und Schwarz, Hell und Dunkel. Und dies sowohl im Bildnerischen wie im Methodischen – Thomann ist Maler und seine Ingredienzen sind Farben. Und es gibt Farben, die vertragen sich nicht, die stossen sich ab. Acryl und Kunstharz zum Beispiel, oder Lack und Dispersion. Und genau diese Kombinationen finden wir in den Bildern hier im Raum. Die matte Schicht der Bildobjekte ist Acryl. Die leicht glänzenden, oft schwarzen Partien – Figuren zum Teil – sind Kunstharz. Wenn der Künstler die Acrylschicht wässert, dann mit Kunstharz darauf arbeitet, „schwimmt“ diese Schicht quasi darauf. Durch das Verdunsten des Wasser in der Zeit wird sie jedoch zum haftenden Sediment. Der Untergrund und die formal oft der Zeichnung nahe stehende Oberfläche verbinden sich als zwei Schichten in ein und demselben Fluss. Zuweilen ist das Kunstharz – möglicherweise auf der nur von der Seite sichtbaren Objektflucht – deckend schwarz. Feine Linien weisen auf die Bewegungen, die Frequenz des Stromes im Fluss von Zeit und Moment. Das Auf- und Abtauchen ist, wenn wir genau hinschauen, alles andere als harmlos. Angst, Bedrohung, Rettung – alles spielt mit, wenn die Steine rollen, die Fische verenden, der Grund nicht trägt und doch alles im Fluss bleibt. Die Figuren sind nackt. So