Analog(ue) – Dialog(ue) in Solothurn und Moutier 2001

Wechsel, die Wirklichkeiten in virtuelle Welten wandeln

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt 19.09.2001

Drei Jahre arbeiteten die Museen von Solothurn und Moutier an einem Projekt, das sowohl kulturpolitisch wie künstlerisch die Wechselwirkung von Ähnlichem und Anderem auslotet. Es ist geglückt.

Solothurn und Moutier, die Hauptstadt des Berner Jura, sind nur eine halbe Zug-Stunde voneinander entfernt und doch liegen im Alltag (meist) Welten dazwischen. Wenn die Kunstmuseen von Solothurn und Moutier nun für ein grosses Ausstellungsprojekt zusammenspannen, so hat das kulturpolitische (Signal)-Bedeutung. Dass bei einem solchen Unternehmen die Gefahr besteht, statt Kunst Politik auszustellen, war Valentine Reymond (Moutier) und Christoph Vögele (Solothurn) bewusst. Die beiden suchten darum intensiv nach dem Ort, wo sich der angestrebte geographische, soziale und kulturelle Dialog mit der zeitgenössischen Kunst kreuzt. Und fanden ihn – überzeugenderweise – im Phänomen der Analogie, die von Realem ausgeht und sich in übertragenen Entsprechungen formuliert. Konkret kann das zum Beispiel heissen: Karin Noureldim (New York) nimmt ein Landschafts-Modell seines Heimatortes Dübendorf und baut es, einem herausgeschnittenen Stück Erde in Panzer-Grösse gleich, als militärgrünes „Memory Piece“ nach.

Die Kunstschaffenden haben immer schon an der Realität Mass genommen und sie transformiert. „Analog(ue) – Dialog(ue)“ ist ein immer wiederkehrendes Thema. Das zeigen auch die teils hervorragenden Essays im Katalog. Jede Generation hat jedoch ihre eigene Sprache. Reymond/Vögele fassen ihre Sicht durch den Untertitel: „Plan, Modell und Bühne in der zeitgenössischen Kunst“. Tatsächlich ist über die Wechselwirkung von Kunst und Architektur, durch Crossover zwischen Theater, Film, Fotografie und visueller Kunst sowie durch die Annäherung von Seiten des Design und der Musik eine Kunst-Landschaft entstanden, die über Analogien multimediale Diskurse mit der Realität führt. Als Fotografien respektive Computer-Prints, als skulpturale Modelle, als Malerei, als Zeichnung, als Objekt-Installationen, als Videos und digitale Animationen.

Die Auswahl der Werke und Werkgruppen von 25 Schweizer Künstler/-innen und Künstler-Duos in Bezug auf das Thema ist mit wenigen Ausnahmen überzeugend. Sie reicht von der inszenierten Fotografie in der „Wurst-Serie“ von Fischli/Weiss von 1979 bis zur virtuellen „Happiness Sample Section“ von Natalie Novarino und Marcel Croubalian von 2001 (eine aus Idealen kompilierte Mädchengestalt). Dass es durch die sprach- und kulturübergreifende Projektleitung gleichzeitig gelang, Romandie und Deutschweiz profund zu vernetzen und überdies die Region ohne qualitative Abstriche zum Zuge kommen zu lassen, ist ein weiteres Plus. Die als drei Meter lange horizontale Streifen gezeigten, jedoch vor Ort vertikal aufgenommenen Städtpanoramas von Arno Hassler (Moutier) zum Beispiel, gehören zu den herausragenden Arbeiten.

Hier wie anderswo zeigt sich, dass sich im vorgegebenen Themenbereich dort vor allem Qualität zeigt, wo einfache Manipulationen die Umkodierungen von Realität in Analogie unmittelbar manifest werden lassen. Sei es durch formale oder inhaltliche Subversionen wie Material- und/oder Massstabwechsel, Gratwanderungen zwischen Funktion und Fiktion, Kipp-Momente von Realität in Virtualität usw. Zum Beispiel die Modell im Modell im Modell zeigende Architektur- und Video-Arbeit des national viel zu wenig bekannten Solothurners Jürg Hugentobler. Da tritt man im Museum-Raum in einen real eingebauten, kleineren Raum, in dem eine Video-Projektion läuft, in welcher in einem weiteren Raum durch Konstruktion und Dekonstruktion unablässig neue Räume entstehen respektive verschwinden. Ein Perpetuum mobile, das formal sowohl in sich selbst überzeugt wie als subversive Analogie zu Phänomenen der Gesellschaft.

Gegeben durch die unterschiedlichen Raumbedingungen in Moutier und in Solothurn, zeigt sich die Ausstellung hier und dort verschieden. In den grossen Räumen in Solothurn eher als Auslege-Ordnung, die nicht ganz überspielen kann, dass die Thematik eine strukturelle und nicht eine visuelle ist. So ist es zum Beispiel schwierig Véronique Zussaus plastische „Intérieur-Bühnen“ mit den Monitor-Videos von Cyril Verrier und den „Embrigadés“-Fotos von Moser/Schwinger zusammenzusehen. In Moutier hingegen überzeugen sowohl die Inszenierung der neuen Halle mit den drei Schwergewichten René Zäch (Modell-Inventar), Michael Hofer (Batis Canin) und Thomas Huber (Glockengiesserei) wie die Einzelräume im Altbau, welche Dialoge zwischen Vaclav Pozarek, Felix Stephan Huber und Hanna Züllig zeigen sowie – als humoristisches Highlight – die Prototypen „Clakadsa“ und „Jetneva“ von Cyril Verrier; letztere eine zündende „Casquette“ aus Glasfaser, die es Abenteuer-Touristen erlauben soll den „Jet d’eau“ Genfs zu erklimmen.

Gerade die amüsante Science-Fiction-Arbeit des Genfers zeigt, wie breit die Ausstellung angelegt ist, wie sie sich nicht erschöpft in Landschafts- und Architekturmodellen, sondern weit in die Ding-Welt vordringt und diese vielfältig und medienreich unterläuft.

Vertreten sind: Hannes Brunner, Max Bühlmann, Martino Coppes, Fischli/Weiss, Thomas Flechtner, Joëlle Flumet, Arno Hassler, Michael Hofer, Felix Stephan Huber, Thomas Huber, Jürg Hugentobler, Moser/Schwinger, Yves Netzhammer, Novarina/Croubalian, Vaclav Pozarek, Boris Rebetez, Mario Sala, Aldo Solari, Philippe Solms, Pierre Vadi, Cyril Verrier, René Zäch, Hanna Züllig, Véronique Zussau.

Katalog: 35 Franken.