Expo.02 – Arteplage Yverdon: Projekt „Wer bin ich“
Ein Tanz der Sinne in Klang und Bild
www.annelisezwez.ch Erschienen in Bieler Tagblatt
Kein anderes Projekt in Yverdon fasst das Arteplage-Thema „Ich und das Universum“ so treffend, so sinnlich, so einmalig wie der Pavillon „Wer bin ich“. Klang, Bild, Architektur und Design bilden eine Einheit.
Während das von der Eidgenossenschaft getragene Projekt in Biel, der Vergleich von Sport und Politik in „Nouvelle Destination“, von der inhaltlichen Bedeutung her enttäuscht, begeistert das vom Bund getragene Projekt auf der Arteplage in Yverdon. „Wer bin ich“ ist kein psychologisches Testformular, sondern eine sinnliche Reise mit sphärischen Klängen, tanzenden Bildern und kleinen Fragen. Ein Projekt, das die Gefahr der Illustration umschifft und in künstlerischem Ausdruck eine eigene Dimension findet, eine packende, eine gefühlsintensive. Der Entschluss des Architektur- und Konzeptteams (Jacqueline Burckhardt, Isa Stürm, Urs Wolf) mit einer hochkarätigen Künstlerin, mit der amerikanischen Multimedia-Frau Laurie Anderson, zusammenzuarbeiten, erweist sich in der Umsetzung als äusserst fruchtbar. Andersons Stärke, Bilder von Gefühlen und Emotionen evozierende Klänge zu verquicken, macht aus „Wer bin ich“ ein zeitgenössisches Kunstprojekt mit viel Eigenkraft und faszinierender Interaktivität.
Die Warteschlangen vor dem Pavillon sind nicht zuletzt darum lang, weil viele Besuchende lange verweilen. Kunststück: „Wer bin ich“ ist bequem. Wer sich durch einen der zwölf schräg angeschnittenen, verschieden grossen und unterschiedlich tiefen, silbrig-schwarzen Eingänge tastet, tritt in einen gleichsam unterirdischen Raum. „Unterirdisch“ weil der 34 x 38 Meter grosse und 14 Meter hohe Kubus dem Blow Up eines Erdziegels entspricht, eines illusionistisch auf ein Baugerüst-Netz gemalten zwar, doch (aus feuerpolizeilichen Gründen) bewässert als wäre er echt. (Die bereits nach einer Betriebswoche sichtbaren Wasserschäden sind ein anderes Thema.)
Der weiche Boden unter den Schuhsolen spricht den Körper an. Doch die Augen sind flugs in den sich drehenden, diagonal ein- und ausfahrenden Bildern an der Decke, an den Wänden und nehmen gleichzeitig die Spiegelungen auf optisch noch nicht definierbaren Wasserflächen wahr. Die synthetischen Klänge weiten den Raum über seine realen Dimensionen hinaus. Ein Sog ist da, man sucht sich zu halten, doch in Realität steht man noch immer unter dem Eingang, im Dunkel. Langsam gewöhnt sich das Auge an die Nacht. Die mit grünen Elektroluminiszenz-streifen versehenen Brücken ermöglichen es jetzt, den weich gepolsterten Geländern entlang ins Innere zu gelangen. Auf blattförmigen, roten Inseln liegen Menschen in weichen Mulden. „Greenies“ chlorophyllgrün gekleidete Betreuer/-innen weisen einem den Weg zum „Schlaf“-Platz, zum Ort des Träumens. Es gilt, den Öffentlichkeitspanzer abzustreifen, sich hinzulegen und die Poren zum „Ich“ zu öffnen.
Für einige, so erzählt einer der freundlichen „Greenies“ später, sei das zu viel verlangt, sie würden fliehen bevor sie gekostet haben. Schade, denn die kleine Schwelle zu überwinden lohnt sich. Über einem entfaltet sich jetzt der Bild-Klang-Kosmos, den Laurie Anderson entworfen hat und ein Team in New York, vor allem aber in der Schweiz in eine von Nikon Schweiz AG gesponserte High-Tech-Multi-Vision umgesetzt hat.
Sie entführt einem in eine entrückte Welt, in der Knochenfunde, Affenmenschen, ein kleines hölzernes Wipp-Pferdchen, Kleidungsstücke, Körperfragemente und vieles mehr in Wasser- und Himmelswelten kreisen und drehen, sternförmig ein- und unsichtbar ausfahren, getragen vom Atem der Musik. Immer und immer wieder schieben sich Porträts von Menschen ein, flache, ausgeschnitten wirkende „Fotografien“. Sie stammen offensichtlich aus verschiedenen Zeiten, doch plötzlich fährt ein Blitz durch den Körper, ist man das nicht selbst da oben diese Brille, diese Ohrringe, kein Zweifel … und schon ist der Spuk vorüber. Später dann realisiert man, dass sich darum von Zeit von Zeit eine Kamera das einzig Eckige im ganzen Spektakel dazwischenschiebt, Lichtimpulse auslöst und laut hörbar klickt. In digitaler Umsetzung auf High-Tech-Ebene werden die Shots binnen weniger Sekunden in die Bilderwelt integriert und wieder ausgesondert.
Es ist da vielleicht die stärkste Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ ein Teil, sichtbar, unverkennbar, eingebettet in ein Unendliches, das unendlich im Wandel steht. Kommen und Gehen. Viele würden das eigene Bild verpassen, sagt der „Greenie“ später, doch das Gefühl kommt auch ohne Abbild, das Gefühl als Individuum angesprochen zu sein und als Teil zu einem unermesslichen Kollektiv zu gehören.
Zu Klang und Bild gesellt sich wie häufig bei Laurie Anderson die Schrift. Sie erscheint wie auf eine unbegrenzte Wandtafel geschriebene Kalligraphie, wandert von den Wänden zur Decke, verdichtet sich vom Vagen zum Lesbaren oder bleibt Zeichen, Formel, um dann wieder zu verschwinden respektive von Anderem überlagert zu werden. Gleichzeitig klingen von nahe am Ohr positionierten Lautsprechern einzelne Stimmen; in der Erinnerung vermischt sich Gehörtes und Gelesenes. „Wann hast du zum ersten Mal?“, das war Schrift am Himmel, doch „Can I trust you?“, hab ich das gehört oder gelesen? „Qui t’a enseigné la beauté?“ das war nicht Ton, das war ein Bündel orangefarbenen Lichtes, von aussen zum Zentrum fahrend und sich auflösend. Hören, sehen, fühlen sind eins in „Wer bin ich“ und man taucht so ein, dass es (fast) einen Wecker braucht, um (endlich) wieder auszusteigen und nach einem geradezu Rührung auslösenden Blick über die 60 Personen fassende Insel, in der Jugendliche und Bejahrte gemeinsam bei sich selbst sind, in die Expo-Realität zurückzukehren.