Ist die Schweizer Museumitis tödlich?
Zur Eröffnung des Franz Gertsch Museums in Burgdorf im Oktober 2002
Mit viel Prominenz und „grosser Freude“ wurde am Samstag das Museum Franz Gertsch in Burgdorf eröffnet .Das Fest war berechtigt, der Bau und die Präsentation der Werke sind eindrücklich. Doch verträgt die Schweizer und insbesondere die Berner Museumslandschaft ein weiteres Kunstinstitut? Es gibt kein Land auf der Welt mit einer höheren Museumsdichte als die Schweiz. Wenn das Paul Klee-Museum öffnet, wird es im Kanton Bern nicht weniger als acht bedeutende Kunsthäuser geben. Praktisch alle mit grossen, um nicht zu sagen existentiellen, Finanzsorgen. Das Kunstmuseum Bern gab erst dieser Tage eine massive Sparrunde mit Stellenabbau bekannt. Die Gefahr, dass das Museum ins Mittelmass abrutscht, ist virulent. Die Sorgen des Centre PasquArt in Biel sind bekannt. Die Reihe liesse sich fortsetzen, bernisch und schweizerisch.
Das Museum Franz Gertsch wurde ausschliesslich mit privaten Mitteln erbaut. Der Unternehmer Willy Michel (Disetronic Holding AG) hat sich und Burgdorf einen Kulturtempel samt Inhalt geschenkt. Eine Investition von mehreren 10-Millionen Franken. Eigentlich toll. Doch die Geschichte zeigt, dass es immer wieder möglich war und ist, Geld zu finden, um Museen zu bauen. Die nachhaltige Ausstrahlung eines Hauses ist jedoch, nicht nur aber gleichwohl unabdingbar, verknüpft mit dem zur Verfügung stehenden Betriebskapital. Das Paul Klee-Museum in Bern ist ein klassisches Beispiel wie dieser Aspekt in Zeiten der Aussicht auf Neues, Grossartiges ausgeblendet wird.
Mit dem Maurice Müllerschen 50-Mio-Geschenk entsteht zur Zeit im „Schöngrün“ Renzo Pianos Bau für Paul Klee. Das Berner Stimmvolk hat mit überwältigendem Mehr dafür votiert. 2005 wird es ein grosses Fest geben. Doch bereits ab 2004 wird das Kantonsbudget mit 3.5 Mio Franken Betriebskapital zur Kasse gebeten. Von der Stadt Bern gar nicht zu reden. Hat man darüber genügend reflektiert, die Konsequenzen für die bereits bestehenden Museen richtig eingeschätzt? Hat man zum Beispiel bedacht, dass die Zahl der Ausstellungsbesuchenden nicht endlos aufgestockt werden kann, dass ihre Budgets für Eintritte, Kataloge, Kunstbücher etc. nicht grenzenlos ist? Dass das Buhlen um Publikum einem populären Mainstream-Programm Vorschub leistet, das die in der Kunst so wichtigen Ränder buchstäblich an den Rand drängt?
Das Franz Gertsch Museum will seine Betriebskosten mit der angegliederten, kommerziellen „Galerie im Park“ finanzieren. Die Galerie und das Museum Beyeler stehen diesem Konzept zweifellos Pate. Es ist jedoch bekannt, dass nur ganz wenige, grosse, internationale Galerien mit einem Nonstop-Messe-Programm namhafte Gewinne erwirtschaften. Mit der Schweizer Exklusiv-Vertretung der 6-stellig gehandelten Werke von Franz Gertsch hat die Galerie im Park einen Trumpf in der Hand. Doch was, wenn der heute 72-jährige einmal keine neuen Werke mehr liefert? Was, wenn die Lancierung junger, vielversprechender Künstler/-innen nicht hält, was man sich davon verspricht? Die Zeiten sind keineswegs rosig und die erste Galerieausstellung setzt Fragezeichen: Die mit Fotografie, Video und Performance arbeitende Thunerin Chantal Michel hat die oberflächlichsten Arbeiten ihrer bisherigen Produktion geliefert. Obwohl Kniefälle zugunsten von Verkäuflichkeit selten nachhalti sind. Bereits klang im Aufruf der Museumsleitung, doch bitte mit einem Gönnerbeitrag dem Verein der „Freunde des Museums“ beizutreten, Nervosität an. Wie wird die Öffentlichkeit reagieren, wenn das erste Gesuch um Unterstützung eintrifft?
Das Museum Franz Gertsch ist künstlerisch gesehen ein Juwel, doch wieviel nachhaltiger und sozialer wäre es gewesen, wenn Willy Michel dem Kunstmuseum Bern die Installation einer repräsentativen Auswahl von Werken Franz Gertschs finanziert hätte. Nicht nur weil Bern damit auch nach dem Auszug der Klee-Werke Bedeutung behalten hätte, sondern weil monographische Museen grundsätzlich problematisch sind. Wer garantiert, dass heutiges Interesse auch morgiges ist? Das Museum Gertsch wird sich dafür einsetzen, doch nichtsdestotrotz Ghettoisierung hat immer auch mit Konfrontation scheuender Selbstbeweihräucherung zu tun.