Second Hand oder Die Wiedergeburt der Pop Art
Annemarie Reichens zweite Ausstellung im Centre dart Neuchâtel (CAN). Bis 17.03.2001
Seit vergangenem Herbst wird das Centre dart Neuchâtel (CAN) von „Transfert“-Assistentin Annemarie Reichen (1975) geleitet. Mit Freundin Diana Baldon (I) inszenierte sie nun „After Effect“ Kunst, die auf den Zweit-Blick zielt.
Vieles deutet darauf hin, dass das CAN auch nach dem Transfer von Marc Olivier Wahler nach New York ein künstlerisch und intellektuell spannendes Labor für aktuelle Kunst bleibt. Verantwortlich dafür zeichnet die erst 26-jährige Annemarie Reichen, die im vergangenen Jahr Assistentin Wahlers im Rahmen von „Transfert“, der 10. Schweizerischen Plastikausstellung in Biel war. Obwohl die Vorbilder von Netzwerk-Kuratoren verschiedenster Couleurs (Wahler, Obrist etc.) noch deutlich spürbar sind, zeigt die junge Kunsthistorikerin mit „After Effect“, dass sie sich nicht damit begnügt, nomadisierende Kunstschaffende für einen Zwischenhalt in Neuenburg zu gewinnen, sondern gleichzeitig übergeordnete thematische und strukturelle Inhalte und Formen aufzeigen will. Dem Teambedürfnis der jungen Generation entsprechend, erarbeitete sie die das Pop Art-System neu interpretierende Ausstellung mit ihrer italienischen Kollegin Diana Baldon, mit der sie einst gemeinsam Stagiaire am MAMCO in Genf war und mit der sie vor zwei Jahren eine Ausstellung in Berlin-Mitte realisierte. Da das CAN nach wie vor nach dem „Selbst-Sponsoring“-System funktioniert, müssen die beiden ihr Engagement allerdings als eine Art Weiterbildung betrachten. „Man versucht halt von nichts zu leben“, meint die in Neuenburg und Basel wohnhafte Romande mit Frutiger Heimatschein dazu.
Ihr Konzept gründen die beiden auf der Beobachtung, dass die aktuelle Kunst wie einst die Pop Art eine „Second Hand“-Kunst ist. So wie die Pop Artisten einst Alltag und Gegenstandswelt der 60er Jahre ausweideten, verfahren die heutigen Kunstschaffenden mit den Spuren verschiedenster Epochen, wie sie ihnen heute medial als Gleichzeitigkeiten zur Verfügung stehen. Anders als die Postmoderne suchen sie ihre Referenzen indes nicht einseitig in den Stilen der Kunstgeschichte, sondern in Schlagworten und Codes aus der Mythologie, der Literatur, der Philosophie, der Film- und Medienwelt. Eine Methodik, wie sie auch Bice Curiger kürzlich in „Hypermental“ im Kunsthaus Zürich im Kapitel „Der kollektiv neurotisierte Blick die jederzeit ungefragt abrufbaren Gemeinsamkeiten“ aufzeigte. Das heisst, es werden kollektive Wissensfragmente angezapft und umgenutzt.
„Ihre Brille“, so Annemarie Reichen, „ist dabei vielfach rosarot, doch dahinter steckt der &Mac226;Böse Wolf.“ Was der zweite Blick als „After Effect“ schnell bemerkt. Die Amerikanerin Claudia Hart (1956) zum Beispiel greift in der zynischen Reihe „Machiavelli à lusage des enfants“ auf Märchenbilder zurück, die sie in feinen Aquarellfarben nachzeichnet, aber neu kommentiert und mit machivellistischen Macht-Assoziationen anreichert. So steht zum Beispiel unter dem armen Struwwelpeter, dem der Daumen abgeschnitten wird: „Laisse à tes subalternes les tâches les plus ingrates“. Auch Stefan Banz (1961), der erstmals Skulptur ausstellt, spielt mit dem kollektiven Wissenschatz, hier der griechischen Mythologie. Allerdings zielt die Metaphorik der schwangeren Kentaur-Figur mit seinen eigenen Gesichtszügen sehr viel gewichtiger auf persönliche Befindlichkeit; offenbar ist beim Luzerner Manor-Preisträger 2000 eine Geburt angesagt.
Das Pop Art Moment, von dem Reichen und Baldon sprechen, spiegelt sich, deutlicher als bei Hart und Banz, in der Raum-Installation des in New York und Berlin lebenden Olav Westphalen (1966). Auch wenn die roten Kamine mit den rosaroten Wolken, die er im CAN zeigt, deutlich der Comic-Welt entlehnt sind und dem Alltag der rauchenden Schornsteine. Entsprechend lösen sie beim „Zweit-Blick“ assoziative Geschichten aus und nicht ökologische Manifeste. Analog seinen karikaturnahen Zeichnungen, in denen er Grössen wie „Baudrillard“ oder „Lacan“ auf „Western“-Wegweisern festhält.
Keine Ausstellung heutzutage, die sich nicht in den verschiedensten Techniken präsentiert; unter den Video-Arbeiten findet man zum Beispiel eine kontext-verschiebende Inszenierung des zur Zeit viel diskutierten Berliners Christian Jankowski (1968). Er lässt Kinder ein Video, aufgenommen anlässlich einer ausstellungs-vorbereitenden Künstler-Kuratoren-Konferenz, auf ihre Art nachspielen. Weitere Arbeiten stammen von Sam Duran, Christine Hill, Armin Linke, Ninon Liotet&Oliver Schulbaum sowie Scott Myles.
Da nur wenige der vertretenen Kunstschaffenden so bekannt sind, dass sich die Arbeiten im CAN in grössere Zusammenhänge stellen lassen, ist die Qualität nicht einfach zu beurteilen. Zufallstreffer bedeuten noch lange kein konsequentes Werk. Die Qualität von „After Effect“ liegt dementsprechend weniger in den Einzelarbeiten als vielmehr im fassettenreich inszenierten Konzept der beiden Kuratorinnen, das nicht eigentlich ein Thema, wohl aber eine aktuelle Struktur, Haltung und Methodik aufzeigt. Die Auswahl der Künstler entspricht der für die junge Kuratoren-Generation typischen Netzwerk-Konstellation, in der „Freunde“ und „Freundesfreunde“ mehr zählen als die abstrakte Repräsentanz in Kunst-Katalogen.