Expo: „Geld und Wert“: Harald Szeemanns Lust am Schreddern. Arteplage Biel 2002

Wir kennen den Preis, doch nicht den Wert

www.annelisezwez.ch   Erschienen in Bieler Tagblatt, 18. Mai 2002

Die Nationalbank hatte Mut und gewann: Harald Szeemanns Expo-Projekt „Geld und Wert – Das letzte Tabu“ gehört zu den Rennern auf der Arteplage Biel. Und es gibt mehr sehen als einen Roboter, der Geld schreddert.

„It’s a rich man’s world“ beschallen die „Abbas“ die in den Goldbarren auf dem Bieler Forum Eintretenden. Vor ihnen ein Panoptikum der Weltpolitik von Monika Lewinsky bis Jacques Chirac – eine ab Zeitungsbildern geschaffene Figurenparade des chinesischen Künstlers Wang Du von 1999. Gipsbüsten grosser Denker von Seneca über Sigmund Freud bis Friedrich Nietzsche betrachten sie, nachdenklich. Ihre Weisheiten sind als Handschriften auf den Wänden zu lesen: „Wir kennen von allem den Preis, doch von nichts den Wert“ wird Oscar Wilde zitiert. Richtig; der Preis ist bekannt. 15 Millionen stellte die Nationalbank Harald Szeemann für „Geld und Wert – Das letzte Tabu“ zur Verfügung. 2/3 davon frass die Expo-Leitung für Entourage und Architektur, 1/3 stand dem „geistigen Gastarbeiter“ aus dem Tessin für seine Vision zur Verfügung. Doch der Wert? Am Ende der Ausstellung fragt die Nationalbank die Besuchenden: „Was hätte man mit den 15 Millionen Besseres tun können als die Präsenz an der Expo.02 mit diesem Pavillon und dieser Ausstellung?“ Eine Gretchenfrage.

Die Ausstellung, die auf kleinstem Raum ein ganzes Museum verstaut, ist eine Schatzkammer. Zum einen weil sie vor Banknoten strotzt – echten, falschen, geshredderten, geschnitzten, gestickten, von Ameisen zerfressenen und sogar von der Bieler Künstlergruppe „relax“ gestalteten. Und weil sie Gold anhäuft – Goldmünzen, goldene Schildkröten, ein goldenes Herz und – auf hohem Sockel – ein goldenes Kalb. Zum andern aber vor allem weil es Harald Szeemann mit seinem riesigen Rucksack an Wissen und ungebrochener Denklust gelungen ist, ein komplexes Thema anhand von Gegenständen, Kunstwerken und Dokumenten so sichtbar zu machen, dass es verständlich wird und Bewusstsein schafft; kritisch, ironisch, satirisch, aber niemals destruktiv. Mag sein, dass ihm gewisse Kreise politische Korrektheit vorwerfen werden. Doch Harald Szeemann hat es schon immer vorgezogen Gegenläufiges aufeinanderprallen zu lassen als radikale Positionen zu potenzieren. Seine eigene Haltung ist trotzdem immer spürbar; nicht zufällig ist das umfangreichste Kapitel den „Dreams money cannot buy“ gewidmet, den Menschen, die Träume verwirklicht haben und dabei reich geworden sind ohne Geld zu besitzen.

Doch im Spannungsbogen ist alles enthalten – von Costa Veces „Apocalypse“ – einem Abfallhaufen aus Kartonverpackungen mit eingebauten Videos zu Überfluss, Dürre und Hunger bis zu René Marquards filmischem Bekenntnis zur Lust, seinen Reichtum zu geniessen und sein Geld fliessen zu lassen. Das eine im Kapitel „Solidarität“, das andere im „Schnellen Geld“. Auf dem Begriff des „Fliessens“ ist eigentlich die ganze Ausstellung aufgebaut, symbolisch sichtbar gemacht durch Serge Spitzers Rohrpost, welche nonstop leere Geldkapseln durch den Pavillon schickt. Harald Szeemann vergleicht den Geldfluss mit Blutkreislauf und Verdauungsprozess. Geld ist Energieaustausch. Allerdings sind ihm gerade hiezu nicht die besten Visualisierungen eingefallen. Mona Hatoums (schon oft gezeigte) Film-Reise durch den Körper kann keinen direkten Bezug zu Geld und Wert herstellen. Köstlich hingegen ist die ironische Installation der Schwedin Ola Pehrson. Sie zeigt eine Yucca-Pflanze mit Elektroden, die sich ihren Besitz an Licht und Wasser mit An- und Verkäufen an der Börse, die sie mit Bio-Impulsen auslöst, verdient. Bei unserem Besuch ging es ihr – soweit feststellbar – mittelprächtig.

Harald Szeemann sagt „Geld und Wert“ sei keine Kunstausstellung. Das ist insofern richtig als nicht Kunstschaffende die Interpretation bestimmen, manches nicht direkt aus dem Kunstkontext stammt, und nur wenige Arbeiten direkt für die Ausstellung entstanden sind. Szeemann-Fans haben vieles in früheren, von ihm kuratierten Ausstellungen gesehen, an der Biennale Venedig, an der Biennale Lyon, in der Visionären Schweiz (1991) oder gar, und nicht zuletzt, im „Gesamtkunstwerk“ (1983/Kunsthaus Zürich). Und dennoch ist es trotzdem eine Kunstausstellung – eine Regisseur-Arbeit von Harald Szeemann selbst. Ein Spiel mit dem was er liebt und immer wieder liebt (vom Weltbild Joseph Beuys‘ über die Utopien von Henry Dunant bis zum fantastischen Palast der 1001 Nächte von Facteur Cheval) und dem, was ihn im Moment beeindruckt – zur Zeit eine Vielzahl von Kunstschaffenden asiatischer und afrikanischer Herkunft.

Szeemann tritt nicht nur als (generöser) Leihgeber auf, sondern auch als Künstler. Seit 1962 sammelt er die Kofferetiketten seiner Flugreisen und schafft daraus eine wachsende „Reiseskulptur“, die inzwischen ausladend figürliche Züge angenommen hat. Sein Kommentar: „Das ist mein Kapital“. Mehrdeutig erweitert Szeemann die Arbeit zu einer Art Selbstbildnis indem er sein (geistiges) Kapital in Beziehung zur „Vierten Dimension des Weiblichen“ (HS) in Form einer vielbrüstigen, vielköpfigen Terracottafigur des Senegalesen Camara stellt und mit einer geschnitzten Schweizer Banknote des Kenianers Sarenco die Währungseinheit markiert, mit welcher die Flugreisen bezahlt wurden.

Dieses präzise Kombinieren von Werken und Gegenständen zeichnet die Ausstellung aus. So zeigt das Herzstück der Austellung – die Vitrine mit dem einer Performance gleich 100er Noten shreddernden Roboter direkt unter dem (einzigen) Oberlicht – nicht einfach eine Geldvernichtungs-Maschine, sondern auch mehrere Flachbildschirme mit einem Video, das von einer englischen Stiftung berichtet, die 1994 auf der schottischen Insel Jura (!) 1 Million Pfund verbrannte. Gleichzeitig zeigt sich da ein Schwachpunkt der als Ganzes gelungenen Schau. Denn was im schottischen Jura echt ablief, wird mit dem Roboter vorgegaukelt. De facto vernichtet der Roboter kein Geld, er schreddert nur Noten, welche die Nationalbank neugedruckt wieder herausgibt. Das in der Öffentlichkeit zu vollziehen statt im Keller der Bank als titelgebenden Tabubruch zu bezeichnen, scheint darum etwas hoch gegriffen. Dennoch kitzelt da natürlich die Fiktion, die mit Geld immer verbunden ist; vor allem mit dem Geld, das man nicht hat und gerne hätte. Es ist derselbe Kitzel, der viele kleine und grosse Expo-Besucher veranlasst, die Erlaubnis die Goldwände abzukratzen und etwas Gold nach Hause zu tragen, auch tatsächlich zu nutzen. (Der Wert: nicht mehr als ein paar Franken – unter den Fingernägeln notabene.)

Die Inszenierung des Pavillons ist dicht und enthält eine unbeschreibbare Fülle an Denkanstössen. Schade, dass die Idee mit den Stichworten zu den einzelnen Kapiteln vielsprachig aufzählenden Tapeten daneben ging. Die rot-schwarzen Buchstabenbänder vom Boden bis zur Decke, die sich bei präzisem Hinschauen als „Kapitalismuskritik“, „Monetarisierung aller Lebensbereiche“ „Denken über Geld“ usw. entziffern lassen, sind so dominant, dass sie den Gegenständen und Werken zu wenig Raum zum Atmen geben – insbesondere die Vielzahl über Kleinmonitoren laufenden Künstler-Videos haben Mühe in den Raum hinaus zu wirken. Dabei gäbe es da Spannendes zu entdecken – von einem Königsgewand aus Pet-Flaschen der italienischen Video-Künstlerin Enrica Borghi über einen Bauchtanz der spanischen Videokünstlerin Pilar Albarracin, bei welchem sich der Goldmünzen-Gürtel fliessend in Vorhängeschlösschen verwandelt und wieder zurück bis zum Kurzfilm des Chinesen Zhou Xiaohu kurz vor dem Ausgang, der eine Schar geklonter Kleinkinder zeigt , die auf einer Kino-Leinwand bestürzt die Schrecknisse der Weltgeschichte wahrnehmen. Geld hat unendlich viele Facetten. Wie setzt man das eigene ein ist die Frage, welche Szeemann einem mit auf den Weg gibt.