Public Affairs – das Öffentliche in der Kunst Kunsthaus Zürich. 2002

San Keller trägt sie zur Kunst hoch

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt 14. September 2002

Paradox: Ausgerechnet eine Ausstellung, die das Öffentliche in der Kunst thematisiert, scheitert am Dialog mit dem Publikum. „Public Affairs“ ist eine gute Idee mit einer geradezu arroganten Umsetzung. Immerhin: Highlights bieten Rettungsringe.

Ob Kunsthausjournal- Presse-, Katalog- oder Saaltext – einerlei; mehr als Worte für magere zwei bis drei Seiten hat Kuratorin Bice Curiger für ihre Themenschau zum Öffentlichen in der Kunst nicht gefunden. Oder sie hat das Fest mit den Künstler/-innen abgehalten und kümmert sich nun einen Deut um die Vermittlung. Entsprechend diffus wirkt die Inszenierung von „Public Affairs“ in den Sammlungsräumen des Zürcher Kunsthauses. „Low Budget“ ist keine Entschuldigung für eine billige Ausstellung.

Dabei ist das Thema an sich höchst spannend; Bice Curiger hat nach „Endstation Sehnsucht“, „Zeichen&Wunder“ und „Hypermental“ einmal mehr gespürt, wo sich Wahrnehmungs-Konventionen bündeln, wo sie ihre Wurzeln haben und wie sich Ähnliches in verschiedenen Zeiten unterschiedlich äussert. „Public Affairs“ stellt zwei gut 30 Jahre auseinanderliegende Impulse, Kunst in die Öffentlichkeit zu tragen respektive sich unmittelbar mit Gesellschaft auseinanderzusetzen, gegenüber: Die aus der Pop Art gewachsene Aktionskunst der 1960er/70er Jahre und die seit den 1990er-Jahren zu beobachtende Interaktion von Kunstschaffenden mit dem Publikum.

Somit einerseits, zum Beispiel, die einer (Wieder)-Entdeckung gleich kommenden Aktionen des später in die Musik wechselnden Dieter Meier (57), der 1969 vor dem Zürcher Kunsthaus Sand in kleine Säcke abfüllte und einer Minimal Art-Skulptur gleich präsentierte oder der 1971 Passanten in New York um ein „Yes“ oder „No“ bat und dafür Zertifikate ausstellte. Und andererseits San Keller (31), der heute respektive am 26. Oktober und am 30. November die Ausstellungsbesuchenden vom Foyer des Kunsthauses in den Hodlersaal buckelt: „San Keller trägt sie zur Kunst hoch“. Ähnlich und anders hat der Berner früher schon mit „walserscher Demut“ (B.C.) für andere geschlafen, Häuser gebaut, Möbel gezügelt.

Die beiden in der Ausstellung nicht direkt in Beziehung gestellten Beispiele zeigen, etwas vereinfacht, was damals und heute unterscheidet. Die Bewegung in den öffentlichen Raum war in 1960er/70er Jahren eine Absage an die Traditionen des Museums. Die individuelle Aktion des Ich-Künstlers stand dabei im Vordergrund. Auch die Bewegung in den 1990er Jahren ist eine Herausforderung der Rolle der Museen, gleichzeitig aber viel stärker eine Abkehr der Kunstschaffenden von allzu intellektuellen Kunstdiskursen hin zum unmittelbaren Dialog mit den Menschen in der Öffentlichkeit; mal poetisch, mal subversiv, mal politisch.

Die 60-teilige Fotoarbeit (1998/99) von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger (35/38), die in gleich bleibenden Frontansichten einen Menschen zeigen, der einen anderen in die Höhe hebt, illustriert wie sich in jüngerer Zeit nicht die Kunstschaffenden ins Zentrum stellen sondern eher als Regisseure wirken. Dies gilt auch in hohem Masse für eines der Highlights der Ausstellung: Des erstmals überhaupt gezeigten Filmes „Miami“ von Sarah Morris (35), der Leben und Arbeiten in der Stadt dokumentiert, dies aber mit so viel (inszeniertem) Sinn für Form und Farbe, dass das öffentliche Leben selbst zum Kunstwerk wird.

Der Film Miami – und dazu die grossformatige (gemalte) Architektur-Abstraktion „Capital“ derselben Künstlerin – sind Beispiele, wie die Ausstellung mit gezielter Werkwahl dicht und überzeugend hätte gestaltet werden können. Denn (fast) überall da, wo die Künstler/-innen selbst mitgedacht und – gearbeitet haben, springen die Funken und die vielfältige Thematik des Öffentlichen in der Kunst wird nachvollziehbar. Eindrücklich zum Beispiel im eisig-kalten Konzertkubus von Christoph Büchel (36), der einen öffentlichen Anlass – ein Konzert mitsamt Party – mit einer Eismaschine überfriert und quasi als „Stilleben“ ins Museum stellt.

Das Verdikt der Low Budget-Produktion zwang Bice Curiger indes in den Depots des Kunsthauses und in Zürcher Sammlungen nach weiteren Illustrationen zum Thema zu suchen. Und da wird die Zufälligkeit so gross, dass die konzeptuelle Stringenz zerfällt und über weite Strecken ein atmosphäreloses Sammelsurium entsteht.

Wenn Curiger bei Zellweger/Luwa auf die poetischen Fotos von Gabriel Orozco stösst, der, zum Beispiel, in einem Supermarkt eine kleine Katzenfutter-Dose zwischen Büchsen mit grünen Bohnen schmuggelt und die Aufnahme „Cat in the Dschungel“ nennt, so ist das beste Pop Art à la 1993. Aber wie, unter anderem, die Bilder von Peter Halley aus der Sammlung Bischofberger oder die Landschaftsfotografien von Stan Douglas in den Kontext gehören sollen, bleibt schleierhaft. Dabei wäre es so einfach: Von Sophie Calle sind eine Reihe von zunächst sprachlos wirkenden Städteansichten (1996) zu sehen, zu denen jeweils eine Seite aus einem kleinen Buch gehört. Die kleine Sentenz auf der Wand, die besagt, dass es sich um Spuren von entfernten DDR-Symbolen handelt und um die Erinnerungen von Menschen an die Zeit als die Zeichen/Denkmäler noch da waren, erhellt den Zusammenhang und plötzlich werden die Bilder spannend. In diese Richtung wäre, gerade bei einem so facettenreich fokussierbaren Thema, mehr nötig und möglich gewesen, Budget hin oder her, denn Öffentlichkeit ist auch das Publikum.

Auch der zeitschriftenähnliche Katalog ist nur mässig erhellend. Zwar ist das Gespräch, die Künstler-Äusserung, an sich die richtige Form, doch das Recycling bestehender Interviews zu anderen Werken und Kontexten ist, mit Ausnahme der historischen Texte, zu wenig auf die Thematik der Ausstellung ausgerichtet und damit zu wenig präzise. In diesem Sinn vermag „Public Affair“ nicht an die Qualität vorausgegangener Ausstellungen Bice Curigers im Kunsthaus Zürich anzuknüpfen.