Kunst im ruralen Raum – 14 situative Arbeiten in Rapperswil BE 2003

Wo der Crosstöff heult und die Kühe kalbern

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 23. Juni 2003  

11º zeigt die LCD-Anzeige am Gemeindehaus in Rapperswil (BE). Ein Defekt angesichts der Hitze? Nein – die Temperatur am 22. Juni 1903. Und eine Arbeit von Ewald Trachsel im Rahmen von Rapp – Kunst im ruralen Raum.

Rapp – Kunst im ruralen Raum ist keine Ausstellung mit nationalen Cracks wie die ebenfalls am Wochenende eröffnete „art en plein air“ in Môtiers. Die 17 Kunstschaffenden sind, mit wenigen Ausnahmen, regional bekannte Künstler und Künstlerinnen oder treten, wo es sich um Abschluss-Studentinnen der Hochschule für Kunst und Gestaltung in Bern handelt, gar zum ersten Mal öffentlich auf. Was Rapp dem unterhaltsamen, aber reichlich unverbindlichen Stelldichein im Val de Travers voraus hat, ist eine klare thematische Ausrichtung. Die 14 Projekte setzen sich intensiv – und spannend – mit dem ruralen Raum in der Region zwischen Biel, Solothurn und Bern auseinander.

Wer sich auf Rapp einlässt, spricht unter anderem über Landwirtschaft, über die Sintflut, über die Nutzung von Tongruben für Motocross-Rennen, über alte Kumet, über Trachten, über Spionage-Kameras, Stammtische und (vgl. BT vom 20. Juni) über ein virtuelles totes Pferd auf einem Feld mit einem Traktor. Wer einen Ausflug nach Rapperswil macht, besucht nicht einfach eine Kunstausstellung, er besucht einen Ort, wo Menschen leben und arbeiten, tratschen und trinken, Weizen aussäen und Felder umpflügen, Kühe kalbern und Schweine in den Schlachthof gefahren werden.

Und gerade weil die Kunst da mitten im Dorf stattfindet, wird sie auch von der Bevölkerung heiss diskutiert. Künstler sind nicht einfach Musiker, die für ein Konzert in der weitherum sichtbaren neogotischen Kirche nach Rapperswil kommen und dann wieder gehen. Künstler nisten sich ein – in Kuhställe und Dorfbeizen, in die Kirche, sie fotografieren und filmen, kleiden sich in die Ortstracht, stellen Periskope auf und montieren Sprungbretter, die ins Nichts führen. Da findet Kunst im Dorf statt, einem Dorf, das letztmals vor 10 Jahren, bei der ersten Auflage von Rapp – Kunst im ruralen Raum, mit zeitgenössischer Kunst konfrontiert wurde. Dementsprechend treffen Sprachen aufeinander, die sich nicht auf Anhieb verstehen und darum Projekte wie „Fallada“, wo Fiktion Realität sein soll, ins Pfefferland wünschen und die „Ochsen“ und „Bären“ zum Chat verbindenden Web-Cams (Viviane Lehmann/Nadja Fust) am liebsten zum Fenster hinausschmeissen würden.

Gerade diese Unmittelbarkeit, die verschiedenste Facetten hat, macht Rapp aber zu einer Veranstaltung, die nicht aufgesetzt daher kommt, sondern mittendrin stattfindet und Besuchenden die Möglichkeit gibt, sich wirklich auf ein Dorf, eine Region, seine Probleme, seinen Charakter, seine Schönheit einzulassen. Die Künstler/-innen arbeiten hierbei aus verschiedenen Gesichtswinkeln. Der im Dorf selbst wohnhafte Urs Gehbauer stellt in „Heimatland“ – eine Glasvitrine in einem Weizenfeld – den Naturbegriff angesichts heutiger Landwirtschaftsproduktion zur Diskussion. Die im ruralen Raum aufgewachsene Städterin Rosette Wieland jedoch stösst über Fundstücke aus dem bäuerlichen Alltag auf ihre Jugend. Pat Noser stellt sich mit ihrem (gemalten) Schweinefleisch zwischen Stall, Schlachthof und Metzgerauslage zwischen bäuerliche Fleischprodu-zenten und städtische –konsumenten. Und susanne muller lässt Trachtentradi-tionen im Iran und im Bernbiet als fotografische Filmbänder auf Baufolie links und rechts der Hauptstrasse ablaufen, welche die eine von der andere Seite fast unüberwindlich trennt.

Doch es sind nicht nur Trennlinien, die visualisiert werden. Ulrich Studer bringt Zeitlosigkeit in die Auseinandersetzung ein. In seiner audio-visuellen Installation in der Kirche begegnen Makro- und Mikrobilder aus der Tongrube der Rezitation jener Teile aus dem Gilgamesch-Epos, welche später in der Bibel als Beschreibung der Sintflut auftauchen und auch die Zeit fassen, als die Alpenformation weiche Tonschichten ins Mittelland voranschob. Auch Muriel Pfenninger und Annette Rhiner wählten die Ziegelei als Ausgangspunkt für ihre Projekte; die eine visualisiert das Gelände mit dem Heulen eines Motocross-Fahrers, die andere den geologischen Abbruch als Ort für einen „Absprung“. Weitere Arbeiten befassen sich mit bäuerlicher Fassaden-Malerei (Mercurius Weisenstein), mit der „Mitte“ des Dorfes (Estelle Currat/Andrea Stuker), mit dem Kuh-Alltag zwischen Kauen und Kalbern (Rita Baumgartner) und der West-Ost-Achse von Rapperswil (SG) und Rapperswil im Seeland (Ueli und Susi Berger).

Bildlegende:

Keine heile Welt. susanne muller nutzt die Rapperswil zerschneidende Strasse als Sinnbild der Trennung. Fotografische Sequenzen links und rechts zeigen Trachtentraditionen im Iran und im Bernbiet. Foto: Patrick Weyeneth