„Nu – Nackt“ im Photoforum PasquArt in Biel 2003

Die Intimität des nackten Körpers

www.annelisezwez.ch         Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 26. Juni 2003

 

Das Fluidum des Körpers einzufangen, ist seit der Erfindung der Fotografie eine ihre Faszinationen. Heini Stucki und Eric Gentil haben sich mit der Ausstellung „Nu“ ans heikle Thema gewagt. Mit Bravour.

Die Aktfotografie hat viele Facetten. Zumeist denkt man zuerst an die Vielzahl von Aufnahmen, die für „Playboy“ & Co. schon geknipst wurden, schlüpfrig meist. „Nu“ im Photoforum PasquArt hat damit (fast) nichts zu tun. Die beiden Fotografen Heini Stucki (Biel) und Eric Gentil (Neuenburg) haben eine Ausstellung kuratiert, die auf spannende Art und Weise den Reichtum des Themas ausloten. Von Fotografien, die frühe Afrika-Reisende mit nach Hause brachten über „Modelle“ in den Ateliers berühmter Künstler bis zu Frauenkörper „bei sich“ und in Pose. Nan Goldin – insbesondere – rettet den Männerkörper im Bild, der ansonsten nur wenig aufscheint.

Kein Thema ist so geschlechtsgebunden wie die Aktfotografie. Ein Mann schaut anders auf einen Frauenkörper als eine Frau. Einmal ist er „Du“ und einmal ist er „Ich“. Sehr schön lässt sich dies im Vergleich von Aufnahmen von Christian Vogt, der aufgrund seines Oeuvres sehr prominent vertreten ist, und von Claudia Leuenberger (Solothurn) aufzeigen. Beide zeigen unter anderem Frauenkörper „bei sich“. Vogt stellt sie mehr oder weniger nackt in die Küche, Leuenberger lässt sie in neutralem Umfeld tanzen und lachen. Vogt gelingt es mit seiner Demarche nicht, die Spannung zwischen sich und der Frau abzubauen. Sie sind trotz des Titels der Reihe nicht „bei sich“, sie bleiben „Du“-Körper. Claudia Leuenberger hingegen vermag Frauen jenseits von Männermagazin-Schönheit abzulichten, die wirklich „bei sich“ sind und damit einen viel höheren Grad an Auto-Erotik, an „Ich“-Körper, ausstrahlen als jene von Christian Vogt.

Es ist ein erforschtes Phänomen, dass sich Erotik ganz primär am Frauenkörper entzündet, und zwar sowohl männer- wie frauenseits. Der Mann projiziert seine Gefühle und spiegelt sie im weiblichen Körper, während die Frauen ihre Sinnlichkeit meist über den eigenen Körper ausdrücken. Das ist der Grund, warum der Frauenkörper so dominant ist in der Fotografie (und in der Malerei). Wie die Ausstellung zeigt, ist das eine aber nicht das andere.

Frauen haben sich aus der genannten Struktur heraus auch immer wieder selbst als Modell gewählt. In den 70er Jahren als bewusste Provokation – Beispiele aus Manons Reihe „La dame au crane rasé“ dokumentiert es. Aber auch heute ist die Frau sich selbst Ort des Erforschens – das eingefügte Kabinett mit Fotografien und Bildern von Pat Noser zeigt es eindrücklich. „Es gibt gewisse Dinge, die kann man nur mit sich selbst machen“, sagt sie und meint damit wohl die Unmittelbarkeit des Ausdrucks eigenen Fühlens, das malerische Umsetzen dessen, was die Hand spürt, wenn sie sich berührt.

Aktfotografie hat immer mit Erotik zu tun. Auch wenn wir sie möglicherweise aufgrund unserer Kultur hineinlesen, wenn sie die Selbstverständlichkeit der Nacktheit in den afrikanischen Ländern in unserem Empfinden provoziert, gerade weil sie nicht so gemeint ist. Die frühen Afrika-Reisenden sind diesem Charme immer wieder erlegen und so wundert es nicht, dass im Musée de l’Ethnologie in Neuenburg Tausende von Aufnahmen dieser Art der wissenschaftlichen Aufarbeitung harren. Einige sind jetzt in Biel – nicht ganz glücklich kombiniert mit zeitgenössischen Aufnahmen.

Heini Stucki und Eric Gentil haben ihre Ausstellung vor allem aus Sammlungen zusammengestellt. Jener des genannten Museums, privaten, aber auch der Schweizerischen Stiftung für Fotografie und – als Kostbarkeit – jene des früheren Leiters des Musée de l’Elysee in Lausanne. Sie umfasst unter anderem Aufnahmen aus Künstler-Ateliers – zum Beispiel aus jenem von Ernst Ludwig Kirchner, der seine Modelle nicht nur skizzierte, sondern auch fotografierte. Was heute selbstverständlich klingt, wurde früher nur hinter verhaltener Hand erzählt.

Die Ausstellung lotet aus – nur verhalten im Bereich der Trans- und Homosexualität (darum fehlen die sinnlichen Männerkörper!) – aber zum Beispiel ins schwierige Thema des Alterns und der Körperlichkeit von Behinderten (Hugo Jaeggi). Es gibt auch harte Bilder – nahe an der Grenze zur Pornographie (Andrea Cometta) und aussergewöhn-liche – etwa wenn Henriette Grindat das Kunststück gelingt männliche Halsspeckfalten mit Zuneigung aufzuladen. Ein weiteres Kapitel gilt der Verbindung von experimenteller Fotografie und Körperlichkeit – in den „Solarisationen“ von Gertrud Fehr aus den 20er Jahren zum Beispiel. Die Ausstellung ist reich – das ist ihre Qualität, sie ist thematisch konzipiert, sie weidet nicht einfach ein faszinierendes Motiv aus.

 

Bildlegende: Die Tänzerin Nina Hard: Ein unbekannter Fotograf hat das Modell für zahlreiche Skulpturen und Bilder von Ernst Ludwig Kirchner 1921 im Atelier «in den Lärchen» in Davos aufgenommen.
Das Bild befindet sich in der Sammlung von Charles Henri Favrod. Bild: zvg