Zürich „Kabinett“ (Michael Krethlow), Limmatstrasse
Véronique Zussau – Text erschienen in Kunstbulletin 11/2003
Es war die Ausstellung im Kunstmuseum von Moutier (2000), die das künstlerische Ansinnen von Véronique Zussau deutlicher denn je zuvor visualisierte: Die schmerzhafte Unvereinbarkeit von Realität und Vorstellung. Nach Auftritten in der Kunsthalle Bern und dem Kunsthaus Langenthal (2003), zeigt nun Michael Krethlows „Kabinett“ im Zürcher Löwenbräu-Quartier eine Objektinstallation und Fotografien aus zwei Zyklen.
Vorstellungen sind vielfach Wunschträume, konstruiert aus sorgsam vermarkteten Clichés: Wohnungseinrichtungen werden so zu Glücksversprechen, verschneite Berge zu Orten des Heeren und des Lichten, Feuerwerke zu Illuminationen des Himmels. Die Beispiele sind Motive aus Véronique Zussaus Schaffen. Doch die 1962 in Paris geborene Schweizerin ist keine Gesellschaftskritikerin im Sinne der 70er Jahre. Ihr Thema ist vielmehr der Schmerz, dass das eine das andere nicht ist und die Suche danach eine Shisyphus-Arbeit. In Moutier seinerzeit zeigte sie die vergebliche Liebesmüh mit plastischen Intérieur-Bühnen, in denen sie handfeste Materialien und ihre fotografischen Abbilder Schicht um Schicht vor sich her trieb. Ohne an ein Ziel zu gelangen.
In Zürich zeigt sie jetzt zwei Weiterentwicklungen dieses Ansatzes. In einem schaufenster-ähnlichen Holz-Container treffen ein tellerförmiges Objekt mit Matterhornmodellen aus poliertem Gips, ein Leuchtkasten mit digital reproduzierten Tannen in schlechter Auflösung und ein animiertes Wolkenbild-Video aufeinander. Amateurhafte Schweizer Bergwelt-Clichés scheinen den Geist ihrer Verheissung nicht verlieren zu wollen. Ironie und Wunschtraum, Wissen und Nicht-wissen-wollen wirken untrennbar verknüpft. Wie, so suggeriert die „Am Horizont“ betitelte Installation, wie ist das Bild des Schönen zu bewahren? Und als Betrachterin überlegt man sich, wann es wohl aus versteckten Düsen zu schneien beginnt.
Treibt Véronique Zussau in der bereits in Langenthal gezeigten Objektinstallation den bühnenbild-verwandten Aspekt voran, zeigen die grossformatigen Fotografien hinter Glas (120 x 120 cm) die Überschneidung von Vorstellung und Realität als Verschmelzung im technischen Abbild. Die Bergmuster sind nun wie Eierkartons auf Tischböcken ausgelegt und von einer naturhaften, Licht und Schatten einbringenden Lichtquelle in gelbliches Hell-Dunkel getaucht. Es sind Diapositiv-Projektionen von Berg-Bildern auf die Modell-Situation im Atelier. Doppelte Schnee-Landschaften. Künstlich, künstlich auf den ersten Blick und zugleich darauf angelegt, die emotionale Faszination der vorgestelltenRealität zu bewahren. Quasi: Nehmt mir meine Berge nicht! Auch in diesem Werk-Kapitel zerrinnt die Ironie in der (geheimen) Lust an der Sehnsucht, die als keineswegs oberflächliches Bedürfnis vielleicht sogar (Über)-Lebenselixier ist. Die Körperlichkeit der Bergformen in Licht und Schatten, die Sinnlichkeit des hochglänzig polierten Gips tragen das Ihre zur vibrierenden Gratwanderung bei.
Die aktuelle Entwicklung fusst auf einer fotografischen Sequenz von kleinformatigen Fotografien, die bereits 1999 in ihrer Berner Wohnung entstand und nun in Zürich ausgestellt ist: „Installations privées. Es handelt sich um“ freigestellte“ Kombinationen von Möbelstücken und geometrisch-räumlich-landschaftlicher Malerei auf Papier respektive einfachen monochromen plastischen Formstücken. Gestaltetes von funktionellem und vorstellungsmässigem Charakter traf sich hier erstmals im fotografischen Abbild auf derselben Ebene, verquickte Raum und Realität mit Bild- respektive Form-Vorstellung zum virtuellen Gesamtbild. Zeigte somit die essentielle Spannung, auf welcher sich das Schaffen der in Bern lebenden Künstlerin seither entwickelt. Anders und doch in Wechselwirkung mit den künstlerischen Ausdrucksformen anderer Kunstschaffender ihrer Generation. Annelise Zwez
- November bis 6. Dezember