Rosina Kuhn „Nouveaux paysages“ Kunstmuseum Olten 2004_2005

Im Herbst, am Abend, gen Westen

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 24. November 2004

Mit einem Panorama-Projekt hat Rosina Kuhn 2003 den Fems-Preis gewonnen. Jetzt zeigt sie das Mendrisiotto im Tages- und im Jahresverlauf gen Osten, Süden, Westen und Norden im Kunstmuseum Olten.

Es war die Grossmutter Rosina Kuhns, welche die mittelalterliche Kirchen-Einsiedelei ob Obino im Mendrisiotto in den 1920er-Jahren als Erste mietete und als Atelier einrichtete. Spartanisch. Dann weilte das Künstlerpaar Lissy und Adolf Funk (Nidau/Zürich), die Eltern der Künstlerin, daselbst, vielfach mit ihrer Tochter. Und jetzt ist die „Einsiedelei“ Zweit-Wohnsitz der Malerin Rosina Kuhn (64). Kein Wunder kennt sie den Blick in Richtung Como, hinunter nach Chiasso, hinüber zu den Walliser Alpen, und hinauf zu den Tessiner Seen hinter den Bergen. Aber dass die Porträtistin Landschaften malt, ist neu.

„Nouveaux paysages“ hiess auch das Thema der letztjährigen Ausschreibung der Fondation Edouard und Maurice Sandoz (FEMS), die Rosina Kuhn mit dem nun ausgeführten und in Olten ausgestellten Tessiner Panorama-Projekt gewann. Der Preis ist mit 100 000 Franken einer der höchstdotierten Projekt-Beiträge in der Schweiz.

Mit dem Feuer, den ein solcher Preis auslösen kann, hat sich die Künstlerin daran gemacht, ihr Konzept umzusetzen. Das da hiess: Den Blick von „ihrer“ Kirche gleichzeitig nach Osten, Süden, Westen und Norden wie in den korrespondierenden Farben des Morgens, des Mittags, des Abends und der Nacht und dem Frühling, dem Sommer, dem Herbst und dem Winter entsprechend zu malen. Somit zum Beispiel den Abend im Herbst im Westen.

Mit schwarzer Tusche hat sie skizziert – 46 kleine Blätter von Mitternacht bis Mitternacht und 360° rund herum zeugen davon. Sie hat fotografiert, noch und noch, und dann quasi die Augen geschlossen und losgemalt – in ihrem Atelier in der Roten Fabrik in Zürich.

Entscheidend war im Hintergrund, was sie im Jahr zuvor malte – einen vielteiligen, je kleinformatigen „Film“ des Sunset Boulevard in Los Angeles. Ihr Sohn, der im Hollywood-Umfeld als Filmemacher tätig ist, fuhr die Mutter x-fach im offenen Wagen hinunter vom Zentrum ans Meer. Dieses Flüchtige und Fliessende, das eine gewisse Immaterialität beinhaltet, hat Rosina Kuhn insbesondere in die acht je 150 x 300 Zentimeter grossen Tessiner Panorama-Bilder mitgenommen (es gibt auch Mittelformate und näher herangezoomte Monotypien).

Bis auf wenige charakteristische Merkmale – den Horizont, das Talbecken, die Leuchtspur der Autobahn, den „Monte Rosa“, eine Zypresse im Vordergrund – löste sie sich in den Grossformaten vom Abbildhaften und liess die stark verdünnte Ölfarben fliessen, vielfach in Schichten, hauchdünn wie Filmstreifen. Dennoch sind die Bewegungen des Pinsels respektive der Körperbewegungen der Künstlerin sichtbar und erinnern so entfernt an die performativen Informel-Bilder der Künstlerin in den späten 70er-Jahren. Im Zentrum steht jedoch die Farbe – die dunklen Blautöne der Berge am Abend, die Spur Rot, die noch darüber liegt, die gelben Lichter der Dörfer und der weit weg vorbeifahrenden Autokolonnen. Oder das transparente Grau des Morgennebels, der die darunter liegenden Farben mit einem monochromen Schleier überlagert. Oder die sich flirrendend auflösenden Beige-Töne der Sommerhitze im Blick hinunter ins verstädterte Mendrisiotto. Oder die Mondlicht-Nacht-Blau im Blick zum bewaldeten Norden hin.

Zwei Dinge lösen Rosina Kuhn respektive die Ausstellung nicht ganz ein. In ihrem, vor dem Hintergrund des Sunset Boulevard verfassten, Konzept sprach sie von der Verstädterung der Landschaft, die sie einbringen wolle. Das gelang aufgrund der grossen Distanz, die sie wählte, nicht, was der Qualität der Bilder an sich keinen Abbruch tut. Eher wirken die kleinformatigeren und damit näher herangezoomten Monotypien, die das auszudrücken suchen, etwas wie Pflichtstoff. Während die Panoramabilder mit ihrer filmischen Qualität der Tradition der Landschaftsmalerei eine Spur heutigen medialen Bewusstsein hinzufügen: „Nouveaux paysages“.

Das Kunstmuseum Olten entspricht in seiner architektonischen Ausrichtung den Himmelsrichtungen. Das bewog Kuratorin Patricia Nussbaum die Bilder (soweit möglich) analog zu hängen, gen Morgen, gen Mittag, gen Abend und zur Nacht hin. Für die Besucher ist das allerdings nur im Kopf rekonstruierbar und kann den idealen Raum, etwa den Poma-Saal im PasquArt, der es erlaubt hätte das Panorama als 360°-Inszenierung zu zeigen, nicht ersetzen.

Etwas irritierend ist ferner, dass zur Ausstellung zwei ähnliche Kataloge erschienen sind, einer herausgegeben vom Kunstmuseum Olten, ein zweiter von der Fondation Edouard und Maurice Sandoz. Drucktechnisch ist der welsche besser, hat aber sprachliche Lapsusse, so werden zum Beispiel Kuhns Malströme auf französisch zu „maelströms“. Der Oltner hingegen hält sich richtigerweise stärker ans überzeugende Panorama-Konzept.