Spielen das Lied vom Tod
Nicolas Savary und Patrick Weidmann im Photoforum PasquArt. Bieler Tagblatt. Bis 13.06.2004
Zwei ausgesprochen spannende Positionen zeigt seit Samstag das Photoforum PasquArt. Nicolas Savary (Lausanne) und Patrick Weidman (Genf) spüren bei aller Unterschiedlichkeit beide den Endpunkten von Illusionen nach.
Kaum eine Messe spielt so ausgeklügelt mit der Psychologie der Konsumverführung wie der Autosalon in Genf. Sowohl Nicolas Savary (33) wie Patrick Weidmann (46) gehen von dieser Art von Werbewelt aus und führen sie ad absurdum. Allerdings so unterschiedlich wie nur denkbar. Savarys Fotografien sind sammetig schwarz mit nur wenig Lichtspuren. Die ein unsichtbares Publikum bezirzenden Automobile sind daran sich aufzulösen. Weidmanns Grossformate hinter Plexiglas hingegen sind Farb- und Formorgien. Der Overkill aus der Welt der Sehnsüchte zwingt die Betrachtenden die Augen zu öffnen … oder zu schliessen.
Nicolas Savary (geboren 1971 in Bulle) ist Fotograf. Er setzt das Medium ganz bewusst ein, um eine ganz bestimmte Bildwirkung zu erreichen. Im konkreten Fall ist es die Loch-Kamera. Mit dem primitivsten aller Fotoapparate nahm er letztes Jahr am Autosalon alle sich in Scheinwerferlicht für das Publikum drehenden Wagen auf. Zu sehen sind sie nicht, nur die Form, die sie über Lichtreflexe in den Raum zeichneten. Die Faszination, so sagt Savary, gelte dabei sowohl dem Motiv wie der sich in der Fotografie neu konstituierenden „Skulptur“. Eigenartig, dass die Kleinformate sehr viel eindrücklicher sind als die Vergrösserungen.
Patrick Weidmann ( geboren 1958 in Genf) ist kein Fotograf. Er ist ein bildender Künstler, der sich des Mediums Fotografie bedient, weil nur dieses seine Intentionen zu spiegeln vermag. Bekannt geworden ist Weidmann als Maler und Objektkünstler in der in den 80er-Jahren von John Armleder international in Szene gesetzten Gruppe Ecart. Mit der philosophischen und thematischen Vertiefung (Weidmann arbeitet auch literarisch) wechselte er jedoch das Medium. Denn die Konsumwelt lässt sich nur mit ihren eigenen (Werbe)-Methoden übersteigern respektive entlarven. Die Gruppe grossformatiger Arbeiten, die Weidmann in Biel zeigt, besteht durchwegs aus Einzelbildern. Der rote Faden ist ihre Ästhetik zum einen, vor allem aber die thematische Verknüpfung unterschiedlichster Sehnsuchtswelten kurz vor und kurz nach ihrem Zusammenbruch.
Daniel Muller, seit 2003 Leiter des Photoforums PasquArt, spielt mit der Ausstellung zum einen ganz bewusst die Scharnierstelle Biels zwischen Deutsch- und Welschschweiz aus. Sowohl Savary wie Weidmann (vor allem) blicken auf wichtige Museumsausstellungen in Lausanne respektive Genf zurück, sind aber in der deutschsprachigen Schweiz wenig (respektive nicht mehr) präsent. Zum anderen löst Muller das Photoforum damit, wie angekündigt, von der oftmals etwas einseitigen Fokussierung auf die Reportagefotografie ab und positioniert es als Ort des Ausdrucks mittels Fotografie schlechthin.
Die ausserordentliche Qualität der Ausstellung Savary/Weidmann liegt nicht zuletzt im Bogen, den sie spannt. Zwar zeigt Savary, um das Bild zu runden, richtigerweise nicht nur seine Loch-Kamera-Aufnahmen, sondern auch Farbfotografien, welche seine Thematik als Forschungsfeld zwischen Realität und Fiktion aufzeigen; Dekorationen im Casino von Las Vegas kontra in einem Park im Freien Schlafende zum Beispiel. Doch die primäre Spannung liegt im extremen Kontrast zwischen der sich in schummrige Lichtzeichnungen auflösenden Präsentation von Traum-Automobilen und zum Beispiel einem glänzend und raumgreifend ins Bild ragenden schwarzen Schalthebel in einem total demolierten Wagen (was jedoch erst auf den zweiten Blick erkennbar wird).
Während die Betrachtenden bei Savary herausgefordert sind die Gegenständlichkeit, die Realität, in der Vorstellung, also quasi rückwärts, wieder herzustellen, trifft sie die Betrachtenden bei Weidmann schockartig und oft zynisch. So sind der entlarvten Sehnsuchtswelten viele in seinem Werk. Da sind die Träume vom Fliegen (in den engen Sitzen eines Flugzeuges mit Blick auf den Fernseher), die Träume vom Wohlsein (in einer grässlich-grünen Kunststoffbadewanne mit weichem Design und schwarzen Gummi-Düsen), die Träume der Entspannung (mit Zigaretten aus Schachteln, die einen frühen Tod prophezeihen). Angesichts von roten und blauen, wie alle Motive auch hier vergrössert gezeigten, Puppen, sagt Weidmann: „Manchmal halte ich diesen Erdöl-Geschmack selbst nicht mehr aus“. Und schafft damit Bezüge zu unserer (Kunststoff-Waren)-Welt, die seinem Werk durch die Hintertür noch eins drauf gibt. Es sind intensive und reiche Bilder, die Weidmann zeigt; Vertiefungen, nicht Schnappschüsse.