Gott sehen in der Kartause Ittingen bei Frauenfeld. Bis 31.03.2006

Das Überirdische als Kunstthema

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 6. Okt. 2005

In den letzten Jahrzehnten hätten die Kunstmuseen das Wort „christlich“ gemieden wie der Teufel das Weihwasser, schreibt Dorothee Messmer, die junge Kuratorin der Ausstellung „Gott sehen“, im Katalog. Tatsächlich ist der Dialog zwischen den Kirchen und der zeitgenössischen Kunst vollgepackt mit Missverständnissen und Vorurteilen. Ausstellungszyklen wie „Die zehn Gebote“ in der Stadtkirche Biel (2002) bilden eine Ausnahme.

Auch Dorothee Messmer ist äusserst vorsichtig in ihrem Konzept. Dem Genius loci des Thurgauer Museums in der einstigen Klosteranlage der Kartause Ittingen folgend, wählte sie zwar einen traditionellen Titel, „Gott sehen“, weitet diesen in den gewählten künstlerischen Positionen aber sehr stark aus. Vorab gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass es in der christlichen Kirche zwar viele Jesus-Bilder gibt, die oft verkürzt mit Gott gleichgesetzt werden, die Darstellbarkeit Gottes aber immer umstritten war. „Gott sehen“ als Reihung persönlicher Vorstellungen anzugehen, ist somit begründet.

Religiosität, ob christlich, jüdisch, muslimisch oder fernöstlich, spielt in der aktuellen Weltgeschichte eine verwirrend komplexe Rolle. Ablehnung und Zuwendung finden gleichermassen statt, vielfach fundamental. Und wo sie ausgeblendet ist, taucht sie in der Verehrung von Stars auf. All diese Ebenen spiegeln sich in der Ausstellung. Zuweilen kreuzt sie sich mit den „Helden heute“ im Centre PasquArt in Biel; ausweitend freilich, nicht konkurrierend. Was „Gott sehen“ entgegen möglicher Erwartungen nur bedingt einlöst (etwa bei Daniel Gallmann), ist die Visualisierung zeitgenössischer, spiritueller Haltungen. Tastende Analysen, poetische Verschränkungen, ironische Brechungen, wütende Collagen dominieren.

Richtig und wichtig ist zweifellos, dass Kunstschaffende aus verschiedenen Kulturen vertreten sind: Vom orthodoxen Russen Konstantin Khudyakov, der Foto-Porträts so lange malerisch überarbeitet bis er den Gekreuzigten darin erkennt, bis zum Chinesen Huang Yong Ping, der Spuren von Christus, Mohammed und Buddha in die drei Fusstritte des legendären „Yu“ (20. Jh. v. Chr.) eingräbt. Vom Kameruner Barthélémy Toguo, der unter den Augen des Löwen die Flucht aus Afrika ins europäische Paradies thematisiert, bis zum Basler Till Velten, der katholische Priester nach ihren Erlebnissen anlässlich der Weihe befrägt (Pointe: Die Texte der Audioinstallation werden von Frauen gelesen).

Die Ausstellung vereint bestehende Arbeiten, die Dorothee Messmer kannte, auf Messen entdeckte oder im Internet fand mit Installationen, die von Künstlerinnen und Künstlern eigens für Ittingen entstanden. Kriterium war das Stichwort „zeitgenössisch“, das heisst (fast) alle Arbeiten datieren aus dem 21. Jahrhundert. Auch jene der 94-jährigen Louise Bourgeois, die das von Messmer gewünschte Werk nicht geben wollte, aber eine wunderschöne Alternative vorschlug: Ein menschengrosses, bronzenes Kreuz mit Silbernitrat-Patina (2002), dessen Horizontale auf Schulterhöhe von zwei offenen, je nach aussen greifenden Händen respektive Unterarmen gebildet wird.

Diesem Symbol eines Gottes der Menschlichkeit steht als grösster Kontrast die Arbeit von „stöckerselig“ (Annette Stöcker/Christian Selig) gegenüber, die Spiritualität respektive das, was sie in ihren Extremen an Blutspuren, Gewalt und Machtmissbrauch rund um dem Globus im Namen Gottes „rechtfertigt(e)“, als vergrösserte Medien- und Internetbilder-Collage aufzeigt. Die wandfüllende Installation ist emotional kaum auszuhalten, aber als Position wichtig.

Zu den beeindruckenden Arbeiten gehört zweifellos die Arbeit des Polen Pawel Althamer, der für Ittingen – in Massivholz – eine Bühne baute mit einem Kreuz, einer Leiter und einem (Umkleide)-Paravent. Zu unregelmässigen Zeiten lässt sich ein Schauspieler jeweils für eine Stunde ans Kreuz binden. Althamer nimmt darin die Usanz von Prozessionen auf und fragt nach dem Verhältnis von Bild, Symbolik und Vorstellung.

Dieser Schwere setzt der St. Galler Hans Thomann (überraschenderweise) eine der leichtesten Arbeiten gegenüber: In Rom fotografierte er unzählige „Christus am Kreuz“, reduzierte sie am PC auf ihre Konturen und lässt nun die variierenden Silhouetten als Animationsvideo „tanzen“. Humor kennzeichnet auch die Arbeit von San Keller, der den „Schöpfergott“ beim Wort nimmt und die Besucher heisst, aus einem Block Plastillin eine Figur nach seinem (Kellers) Ebenbild zu „schöpfen“.

Der Parcours ist länger, die Vielfalt grösser als hier beschrieben, die 25 Positionen vor Ort aber so grosszügig präsentiert, dass sie fassbar sind.

Bildlegenden v.o.n.u.
„The Cross“ von Louise Bourgeois
„Im Angesichts des Todes von Christoph und Markus Getzner
Bilder: zvg