Bieler Fototage: On the road again _ 2005

Stets unterwegs

An den Bieler Fototagen thematisieren 25 Fotoschaffende an 11 Orten „On the road … again“.

Das Erstaunliche an den Bieler Fototagen 2005 ist die Vielfalt der Sichtweisen, welche Direktorin Barbara Zürcher in ihr Thema einzubringen vermag. Im Vorfeld war da eine gewisse Skepsis, ob denn „On the road … again“ wirklich ein so brisantes Thema sei, Motive wie Mobilität, Reisen, Tourismus nicht längst ausgereizt seien. Doch gefehlt – Barbara Zürcher bringt uns mit dem ihr eigenen Hunger nach Geschichten überhaupt erst bei, was „unterwegs“ alles beinhaltet: Humorvolle Bilder von der (Produkte)-Präsenz Amerikas in der Schweiz über Aufnahmen aus einem durch das bürgerkriegsversehrte Ruanda fahrenden Taxi bis zum Labor, das unsere physiologischen Sehvorgänge beim Gang durch Biel untersucht. Oder: Vom Tagebuch einer jungen Schweizerin auf der Suche nach ihren sri-lankischen Wurzeln über die notgedrungene Liebe der Rumänen zu ihren Dacias bis zur hintersinnigen Parodie der aktuellen Diskussion um Biels See-Nähe.

Themen-Viefalt ist eines – die Umsetzung respektive Qualität der Beiträge ein anderes. Fototage, die sich als Festival bezeichnen, sind eine Gratwanderung. Sie sollen fesseln, emotionale Erinnerungen schaffen, sich sowohl an ein lokales wie ein herbeigereistes Publikum wenden, müssen Laien und Profis zugleich überzeugen, Inhalte und mediale Qualität verbinden, spannend inszeniert sein.

Nicht alle Beiträge schaffen alles gleichzeitig, aber auf alle Forderungen gibt es überzeugende Antworten. Gab es letztes Jahr zum Beispiel latente Kritik, das Medium der Fotografie werde zu wenig innovativ gezeigt, zeigt Katharina Scheidegger heuer im Espace libre wie (filmische) Bewegung, Fotografie mit der Camera obscura und integrierte Musik zu neuer künstlerischer Bildkonzeption werden kann; die verlassenen Fabriken entschwinden im Nebel der Zeit, die Menschen sind weggezogen.

Warf das BT den Fototagen früher mangelnde Informationen zu den einzelnen Ausstellungen vor Ort vor, so bieten heuer kurze, Inhalt und Autoren vorstellende Tafeln Hintergrund zu jedem Essay, was man als Besuchende ausgesprochen schätzt.

Gelungen ist Barbara Zürcher auch die seit Beginn ihrer Tätigkeit in Biel vor drei Jahren anvisierte Öffnung zur Stadt hin. Zwar mag man bedauern, dass die Fototage nicht mehr in unbekannte Altstadt-Gewölbe führen, etwas, das früher Teil ihres Charmes war, sondern aus praktischen Gründen institutionelle Orte wie die drei Museen, die Eglise Pasquart, die Alte Krone, die Boîte à images, die Gewölbe-Galerie vorziehen. Doch die den Festival-Charakter dokumentierende „Promenade visuelle“, die mit Daniel Zimmermanns Schiff auf dem Bahnhofplatz beginnt, an der Rotonde vorbei zur Schüss führt, wo doppelseitige Fotos aus allen Projekten über dem Wasser aufgereiht sind, macht das längstens wett. Einem Quiz gleich kann man da nach dem Rundgang lustvoll prüfen, was sich in die Erinnerung eingeschrieben hat.

Eingeschrieben? Klar, dass sich zunächst primär jene Projekte festkrallen, die Erlebnis vermitteln. Das ist erstaunlicherweise aber nicht nur Manuel Bauers Dia-Show „Flucht aus Tibet“, die der Zürcher Dalai Lama-Fotograf vor 10 Jahren realisierte, als er mit einem Vater und seiner sechsjährigen Tochter unter existentiellsten Bedingungen von Lhasa nach Dharamsala reiste. Die bekannte Arbeit wurde noch nie in der Romandie gezeigt, was ihre Präsenz (mit französischem Kommentar) über die Thematik hinaus rechtfertigt. Erlebnis vermittelt unter anderem auch ein scheinbar so abgedroschenes Thema wie der Basler Rheinhafen, von wo einst – und heute noch – Güter in alle Welt spediert werden respektive eintreffen. Der Grund liegt in der ausserordentlichen Qualität der Fotos von Christian Flierl. Wie er Farbe, Form und Raum zum einen, die kleinen Menschen und die grossen Container etc. einfängt, ist Bild-Erlebnis!

Bauer und Flierl – an ihnen lässt sich aufzeigen, wie die Kuratorin primär thematisch denkt und sich erstaunlich unabhängig von der Bekanntheit der Fotografen zeigt. Bauer ist ein Name, Flierl steht mit Jahrgang 1974 erst am Anfang. Es gibt keine Ausstellung, die durchfällt, aber Unterschiede gibt es schon.

Es war den Fototagen erneut ein Anliegen, die lokale Bevölkerung einzubeziehen. Waren es letztes Jahr die Hochzeits-Fotos in der Alten Krone, die zu endlosen Erzählungen der Besuchenden führten, gelingt den Fototagen dieses Jahr dank der Zusammenarbeit mit dem „Regionalen Gedächtnis“ der W. Gassmann AG, eine eigentliche stadthistorische Aufarbeitung: Die Geschichte der einst zahlreichen Photogeschäfte, wo in den letzten 100 Jahren Hunderttausende von Reisefotografien entwickelt und kopiert wurden. Die Fotos von den einstigen Standorten sind für die ältere Generation ein Füllhorn und Anlass zu Diskussionen; nicht nur im Museum Neuhaus, sondern auch in der Stadt, wo die Standorte markiert sind. Dazu gibt es im Museum einen Einblick ins „Archiv Bandi“, das rund 50 000 Negative von Bielerinnen und Bielern enthält, die sich während Jahrzehnten im gleichnamigen Photogeschäft am Zentralplatz porträtieren liessen.

Die als Verein konstituierten Bieler Fototage werden von der Stadt Biel, dem Kanton Bern, der Pro Helvetia sowie, als privatem Hauptsponsor, der Bieler Banque Bonhôte, finanziert. Zahlreiche Zusammenarbeitsformen, zum Beispiel mit den NZZ „Zeitbildern“ (Die nordamerikanschen Wanderimker von Theodor Bart) und den etc. Publications, Berlin, die erneut ein Begleitheft herausgeben, ergänzen die Fototage.

Link: www.bieler-fototage.ch