Solidarität ist so wichtig wie Konkurrenz

2006: 30 Jahre visarte, Sektion Biel

Vor 30 Jahren gründeten aufmüpfige Bieler Künstler die Regionalsektion Biel der Schweizerischen Künstlergesellschaft GSMBA. Die alte Garde erinnert sich.

„Sechs Mal hat mich die Jury der Weihnachtsausstellung rausgeschmissen“, erinnert sich der Seeländer Maler Martin Ziegelmüller (71) und es blitzt in seinen Augen. Das war Ende der 1960er, anfangs der 1970er-Jahre. In Biel tobte mit reichlich Verspätung ein „Krieg“ zwischen „traditioneller“ und „moderner“ Malerei. Das wollten die überzeugt gegenständlich Malenden wie Martin Ziegelmüller, Rolf Spinnler, Rolf Greder nicht auf sich sitzen lassen. Dem Bieler Kunstverein, der für sogenannt „modern“ stand, musste Paroli geboten werden. Die kantonal-bernische Sektion der Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten (GSMBA), der zahlreiche Bieler angehörten, bot keine Unterstützung. „Für die hörte Bern in Zollikofen auf“, ärgert sich Rolf Greder noch heute. Eigeninitiative war darum gefordert, um der Künstlerschaft in Biel eine unabhängige Stimme zu geben.

Im Januar 1975 regt ein Rundschreiben aus der Feder Martin Ziegelmüllers die Gründung einer eigenen Bieler Sektion an. Gegen 25 Künstler und Künstlerinnen – seit 1973 nahm die GSMBA auch Frauen auf – formen in der Folge die VSMBA. Das V steht für Verein, da die GSMBA-Statuten nur eine Sektion pro Kanton erlaubten. Ende Juli 1975 wird im Dachstock der Alten Krone die erste Ausstellung des VSMBA eröffnet. Der lokale Kunstkritiker schreibt allerdings mehr über den nach zehn Dornröschen-Jahren endlich wieder zugänglichen Dachstock als über die ausgestellte Kunst, denn „das Anliegen (des VSMBA) betreffe keinerlei Elite, sondern alle Menschen, deren innere Not oder Freude sie dazu dränge, künstlerisch zu wirken“.

So kommt es, dass bei der Gründung der eigentlichen GSMBA-Regionalsektion im September 1976 – zähe Verhandlungen und diverse Führungswechsel hatten den Weg geebnet – nicht alle die GSMBA-Jury passieren, stattdessen aber eine gute künstlerische Qualität erreicht wird. Von den Damaligen sind, neben den bereits Genannten, auch Danilo Wyss, Esther-Lisette Ganz, Annemarie Würgler, Hans Brogni und weitere bis heute aktiv. Andere blieben bewusst der Sektion Bern treu oder distanzierten sich grundsätzlich. Erster Präsident der GSMBA Biel wird der Maler Rolf Spinnler (1927-2000), „eine repräsentative Figur in Biels Szene, aber ein Organisations-Chaot“, wie sich die Pioniere kürzlich im Gespräch in der Alten Krone in Biel erinnerten. Zu den Gründervätern gehört auch Architekten-Mitglied Edi Benz, der seine Orchestergesellschafts-Erfahrung einbringt und 1977 sogleich Tonkünstlerfest und GSMBA vernetzt, sodass es im Kongresshaus zur ersten überregionalen Ausstellung kommt.

1980 übernimmt Vorstandsmitglied Rolf Greder das Präsidium; für ganze 13 Jahre. Ihm ist vor allem die soziale Vernetzung sowie die politische Akzeptanz ein Anliegen. Die Fehde mit dem Kunstverein wird beigelegt, die GSMBA delegiert Vertreter in wichtige Gremien. Als Stadtrat (1981-1990) wirkt Greder direkt am Puls. Zu den wichtigen Aktionen seiner Zeit gehören unter anderem die Sport & Kunst-Ausstellungen in Magglingen (das Zentrum war statuarisch zu Kultur verpflichtet, was Greder nutzte). Da malten die Seeländer dann plötzlich Schwingerkönige (Ziegelmüller), holten zum Speerwurf aus (susanne muller), verbanden die Fussball-11 und die Oper in „Cosi fan tschutti“ (Spinnler) oder liessen Radrennfahrer ihre Runden drehen (Heinz Peter Kohler).

Die Gründung des Centre PasquArt (1990) schmälert die Bedeutung der GSMBA als Ausstellungsmacherin. Nach einer temporären Baisse übernimmt Verena Lafargue 1994 das Ruder. Im Gegensatz zum schweizerischen Trend gelingt es ihr, Biels jüngere Kunstschaffende in die Gemeinschaft zu holen. Bis heute ist die sich seit einer nationalen Restrukturierung „visarte“ nennende Bieler Gesellschaftssektion eine der lebendigsten in der Schweiz. Es sei wohl der lokale Charakter und vielleicht auch das Abseits der (Kunstmarkt)-Zentren, das die Künstler-Plattform nach wie vor attraktiv mache, erklärt man sich die erfreuliche Situation. Solidarität, so Verena Lafargue, sei mindestens so wichtig wie Konkurrenzwettkampf und nur dank dieser Kraft sei es zum Beispiel gelungen, im Jahr 2000 den espace libre als Ort für Experimente, Austausch und Begegnung direkt im Verbund mit dem Centre PasquArt zu realisieren. Praktisch ohne Geld, notabene. Der als offenes und keineswegs lokales Gefäss für zeitgenössische künstlerische Installationen betriebene espace libre wird inzwischen national wahrgenommen.
Im Jahr 2000 übernimmt Hannah Külling die Geschicke der inzwischen in Visarte umgetauften Künstlergesellschaft. Als Highlight ihrer eben zu Ende gehender Präsidentschaft sieht sie neben der Führung des espace libre die Etablierung des „Joli mois de mai“ in der Alten Krone, der heuer zum 5. Mal Bieler Kunstschaffenden eine Präsentationsplattform jenseits von Marktzwängen bietet und eine Art Künstler-Begegnungsfest ist. „Hier geht es nicht um Auslese oder Karriere, sondern um das Gefühl, im selben Boot zu sitzen und etwas zur kulturellen Atmosphäre der (Alt)-Stadt beitragen zu wollen, das gefällt mir“, sagt Külling und freut sich am Erfolg der diesjährigen Ausgabe.

Anhang:
Robert Schüll neuer Präsident
Hannah Külling wurde kürzlich in den Zentralvorstand der GSMBA Schweiz gewählt. Dieser wird damit noch bielerischer als bis anhin, wohnt doch auch Zentralpräsident Jean-Pierre Gerber in der Seeland-Metropole. Er sieht die Funktion der GSMBA klar als Vertretung der Künstlerschaft in politischen und sozialen Belangen. Als neuer Präsident für die GSMBA Biel konnte der seit langem in Biel ein Gravieratelier betreibende, aber auch als Zeichner und Fotograf in Erscheinung tretende Robert Schüll (62) gewonnen werden. Er sei motiviert, sagt er, sehe sich aber vom Alter her als Übergangs-Präsident. Die GSMBA Biel umfasst zur Zeit rund 90 Mitglieder, wovon 10 französischer Sprache sind. Im Vorstand wirken aktiv mit: Jean-Denis Zäch, Pat Noser, Lorenzo le kou Meyr, Carla Etter, Philippe Hinderling und Thomas Schori.