Von der Entdeckung zur Erfindung des Himmels. Aargauer Kunsthaus 2005

«Malerei ist Dienst an der Wolke»

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 26. Feb. 2005

Was der Fondation Beyeler die Blumen, sind dem Aargauer Kunsthaus die Wolken. Riehen und Aarau setzen auf visuell Verführerisches auf hohem Niveau und öffnen per Zufall beide am selben Tag.

Blumen und Wolken in zwei parallelen Themenausstellungen in Schweizer Museen. Was für ein Angebot! Doch schon auf den zweiten Blick zeigt sich, Blumen sind nicht Wolken. Ist im Blühen der Tod gegenwärtig öffnen die Wolken vor allem auf formaler Ebene ganz verschiedene Wege in den Himmel.


Ist die Blume emotional befrachtet und voller Symbolik, ist die Wolke «Dienst an der Malerei» wie es der Engländer John Ruskin um 1840 formulierte. Dieses malerische Moment ist denn auch der rote Faden durch die «Wolkenbilder» vom 18. bis ins 21. Jahrhundert, die eigentlich zwei Ausstellungen sind.

Das kam so: Ein Leihgesuch aus Hamburg für eines der Wolkenbilder von Hodler aus der Aargauer Sammlung kreuzte sich mit den Plänen von Beat Wismer und Stephan Kunz, Wolken in der Kunst des 20. Jahrhunderts zu vereinen. Dank Kooperation kann Aarau jetzt das auf das 18./19. Jahrhundert ausgerichtete Hamburger Konzept, kombiniert mit dem eigenen, auf das 20. Jahrhundert ausgerichteten, zeigen. Eine spannende, grosse, vielfältige und keineswegs auf Wolken am Himmel reduzierte Schau. Der deutsche Ansatz ist dabei mehr auf Recherche ausgerichtet, während die Aarauer, wie sie selbst sagen, zum «Flanieren» einladen. Allerdings ebenso hochkarätig und international wie Erstere.

Wolken tauchen schon im Barock üppig auf; die Ausstellung tönt es nur an – etwa in Louis de Silvestres «Christus aus Wolken gebildet» (1734). Das eigentliche Interesse beginnt zu dem Zeitpunkt, da sich die Maler für die Wolken am Himmel zu interessieren beginnen.
Schnittstelle sind die Werke von Caspar Wolf, der um 1775 im Auftrag von Albrecht von Haller ins Berner Oberland fuhr, um die Alpen und damit auch die sie umgebenden Wolken zu malen. Kein Museum besitzt mehr Werke von Caspar Wolf als Aarau. So ist die Ausstellung am richtigen Ort. Umso mehr als seit 1991 mehrere Themenausstellungen Wolf und die Gegenwart befragten (u.a. die «Schwerkraft der Berge»).

«Mode» wurde der Himmel erstmals bei den Romfahrern des 19. Jahrhunderts. Wer als Maler etwas auf sich hielt, reiste damals in die ewige Stadt. Noch waren die Wolken nur «abstrakte» Skizzen, die später in Landschaften integriert wurden. Doch stehen die Himmelseindrücke in spannender Parallelität zur aufkommenden Meteorologie.

Es gehört zu den Highlights der Ausstellung, dass sie ein ganzes Kapitel «Meteorologie» zeigt und so die Wechselwirkung zwischen Kunst und Wissenschaft thematisiert. Auf einmal schaut man die Malerei auf Cumulus-, Cirrus- und Nimbus-Wolken hin an. Nicht dass sich die Maler nicht Freiheiten herausgenommen hätten, doch die Wolke als atmosphärisches Moment erhält dadurch Eigenart.

Um 1900 beginnt sich die Wolke zu verselbstständigen, wird symbolistisch zum einen, Wegbereiter der Abstraktion zum andern. Der erste Saal markiert diesen Kreuzpunkt eindrücklich mit Werken von Hodler, Mondrian, Nolde und Amiet.

Dann aber fingert die Ausstellung aus, ohne Rücksicht auf Chronologie. Da findet man Arp und Calder in Kombination, René Magritte natürlich, Adrian Schiess‘ Bodenplatten, Gotthard Graubners Farbraumkörper und Sam Francis‘ Abstraktionen. Oder Gerhard Richter vis-à-vis von Marc Rothko. Die Liste zeigt, dass man sich bewusst nicht an das Bild der Wolke hielt, sondern ebenso von der Inspiration Wolke ausging, um dadurch eine Fülle an formal ganz verschiedenen Positionen einzufangen.

Keine Chance für die Flaneure, nicht bei jedem Künstler wieder neu zu schauen und Aspekte zu vergleichen. Zum Beispiel die beiden Fotografen John Riddy und Balthasar Burkhard. Hier der von bizarren Wolkenformationen Faszinierte, da der die Wolken als Tor zum Universums Zeigende, dem wiederum die Weltall-Malerei von Michael Biberstein antwortet – irritiert von den gelb-leuchtend aufbereiteten 2.-Weltkrieg-Flugaufnahmen von Ingeborg Lüscher.
Wie schillernd das Thema ist, verkörpert zum einen die Installation von Hugo Suter, der aus Abfallmaterialien hinter Milchglas scheinbar weisse Cumuli auf die Vorderseite zaubert, zum andern die fragile Himmels-Auslegeordnung aus Bildchen und Gedankenfetzen von Nanne Meyer.