Romana del Negro Musée des Arts Jurassiens Moutier 2006

Raumzeichnung zwischen System und Organismus

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt Oktober 2006

Die Bieler Künstlerin Romana del Negro (38) hat im Kunstmuseum Moutier eine immense Wandzeichnung realisiert. Ein faszinierendes System mit organischen Formen und technoiden Zeichen.

Schon seit Jahren fallen an den Bieler Weihnachtsausstellungen im CentrePasquArt die grossen, seltsamen, sich in freier Form auf der Wand ausbreitenden Zeichnungen von Romana del Negro auf. Wenn sie dieses systemische Prinzip nun auf den 160 Quadratmeter grossen Neubau des Musée Jurassien des Arts in Moutier ausweitet, so ist das deutlich eine Dimension mehr.

„SOK“ nennt die in Biel lebende Künstlerin die sich über rund 60 Laufmeter entwickelnde Zeichnung aus rücksseitig bemalten und ausgeschnittenen PVC-Formen und semitransparenten Papierstreifen, die mit Tausenden von feinen Stahlnadeln an der Wand befestigt sind.

„SOK“ ist nichts anders als ein Klang; in seiner kurzen Prägnanz hat er jedoch die Kraft etwas loszutreten. Und genau das geschieht an der Stirnwand des Raumes, wo eine Art organisch-technischer Destillierapparat eine Vielzahl zellenartiger Gebilde gebiert, die sich in mäandrierenden Linien auszubreiten beginnen, sich wandeln, anhalten, um unbekannte Körper auf dem Weg aufzutanken, weiterzielen, in Systeme gefasst und wieder losgelassen werden, um schliesslich nach langem Weg wieder an den Anfang zu gelangen.

Schon seit einiger Zeit hatte Romana del Negro den lang gezogenen, lichterfüllten Neubau der Diener-Schüler Bakker & Blanc in Moutier im Auge. Die Begegnung Valentine Reymonds, der Direktorin des Museums in Moutier, mit dem Werk del Negros in Biel, ein Dossier zum Werk und ein langes Gespräch gaben dann vor rund einem Jahr den Startschuss zur äusserst aufwändigen Installation. In ihrem Atelier an der Badhausstrasse bereitete die Künstlerin Etappe um Etappe vor, um das Mammut-Projekt schliesslich in dreiwöchiger Arbeit vor Ort zu realisieren.

Weder die Formen noch die Anordnungen der Lineaturen kann man benennen – die Künstlerin entwickelt sie intuitiv. Dennoch ist man auf der Suche nach Worten immer einerseits bei Körperlichem, bei Organen und Teilen des Skeletts, andererseits bei Schaltsystemen. Diese vernetzen indes die verschiedenen „Körper“ nicht nur, sie scheinen die Dinge in Betrieb zu halten, so dass man zum Schluss kommt „SOK“ sei ein Schnitt durch eine gigantische Lebensmaschine und gebe Einblick in ein Perpetuum von Aktion und Reaktion von keineswegs nur harmonischen Wechselspielen, bei denen Physisches und Psychisches gleichermassen involviert seien. Das Gefühl, das einem schliesslich beschleicht, ist eine Mischung zwischen Faszination und Abwehr.

Was etwas irritiert, ist die Materialität der Arbeit – diese ausgeschnittenen PVC-Formen, die dünnen, langen Papierstreifen, die aufgeklebten oder aufgenähten Papier- respektive Folienstücke. Wieso diese Materialien, fragten wir darum die Künstlerin. Mit der Tusch-Zeichnung, wie sie sie für kleinere Arbeiten einsetze, hätte sie, so del Negro, nie die Gleichförmigkeit gewisser Linien und Formen erreicht, diese sei aber wichtig für den Zusammenhalt des Systems.

Die 1968 in der Nähe von Winterthur geborene Künstlerin lebt seit 2001 in Biel. Ursprünglich ist sie Goldschmiedin; in der aus einzelnen Formen zusammen-gesetzten Zeichen-Methode mag sich das heute noch spiegeln. Für die Bildsprache, so sagt die sich selbst als „dünnhäutig“ Bezeichnende, sei möglicherweise die Welt massgebend, die sie während mehrjährigem Jobben im Spital in Luzern erlebt
habe.

Der Mensch, die Haut, das Hineinsehen, das Mikro- und Makrokosmische prägt auch die zweite, schon etwas ältere Arbeit, die Romana del Negro in Moutier zeigt: Eine 24 Minuten dauernde, animierte Dia-Projektion, die Fotos zeigt, welche die Künstlerin während ihres Aufenthaltes in der Cité des Arts in Paris von ihrer Haut im Spiel mit farbigen Folien machte; mit einer Billig-Kamera und bewusst unscharf. „Injawa Schodau“, so der Titel, wirkt wie eine Fahrt durch eine Körperlandschaft. Im Gegensatz zur Wand-Zeichnung ist die Sprache hier verführerisch weich, erotisch und farbig, ist aber, um nicht auszuufern, unterlegt von einem Rhythmus und Struktur gebenden Sound-Track. Die Medialität der zwei Arbeiten ist grundverschieden, inhaltlich ergänzt die eine die andere aber gewinnbringend.

Die Ausstellung in Moutier ist die bisher bedeutendste der Künstlerin; sie könnte angesichts ihrer Ausserordentlichkeit einen wichtigen Schritt in ihrer Karriere bedeuten.