Gegen den Strom schwimmen

Nach einem Gespräch mit Jerry Haenggli (geb. 1970), Künstler in Biel. Bis 10.2007

Er sei immer ein Rebell gewesen, sagt er. Keine Schule, die er nicht geschmissen hätte. Nicht einmal die offene F+F in Zürich vermochte ihm Sinn zu vermitteln. Das vage Gefühl von Freiheit, das er suchte, habe er erstmals als 13-jähriger im Heizungsraum des elterlichen Wohnhauses in Bern gefunden, erzählt er; am Schlagzeug und auch mit Farben und Stiften auf Papier. Mit 14, somit 1984, war er erstmals in der Weihnachtsausstellung in der Kunsthalle vertreten Ein Wunderkind, hiess es. Und: Kein Wunder bei diesen Vorfahren (Haenggli ist die fünfte Generation der Maler-Dynastie Robert). Ihm selbst war anders zumute. Er hasste Überväter und Machtstrukturen und wollte nur eines: anders sein. Von Kunst hatte er keine Ahnung, aber als ihn seine Mutter mit Paul Klee bekannt machte, dämmerte ihm etwas. Das reichte, vorerst.

Hinter die Kulissen wollte er. Mit Punk und Rock’n Roll-Rhythmen die Welt aufbrechen. Mit wilden Zügen – wir sind in den späten 1980ern! – die Köpfe all jener einfangen und entlarven, welche die Welt zugrunde reiten, politisch, gesellschaftlich, sozial. Es ist klar: There is No Future!

Auf die Frage, was er male, sagt Haenggli: Energie. Die Striche in den Zeichnungen gleichen elektrischen Impulsen. Scheinbar zufällig werden sie zu Köpfen – oder auch nur zu Augen –, zu Figuren – oder auch nur Fragmenten davon. Alle schauen sie sehr direkt aus dem Bild – auf den Künstler, der sich nachts bei einschlägiger Musik im Atelier seine Ängste, seine Wut auf die Enge und die Falschheit der Gesellschaft vom Leibe zeichnet. Serie um Serie. Es sind nicht die Opfer, die Gestalt annehmen, es sind die Täter, denen er die Haut vom Leibe zieht, deren nackte Schädel er aufs Papier bannt. Falsche Könige, die sich in materieller und körperlicher Begierde verbünden und doch nichts sind als Elend. Zum kotzen! Filip Leu sticht ihm einen Totenkopf auf dem Oberarm.

Noch immer ist er im Kern Rebell. Zurückhaltend, ängstlich gar im Alltag, aber nachts wandelt sich der Tag. Seine Sammlung an Memorabilien aus aller Welt wird lebendig. Schlagzeug gibt es keines mehr, aber jede Menge Platten: Punk, Blues, Soul, Reggae, Rock’n’Roll bis zurück in ihre Entstehungsjahre. Zuweilen mixt er sie als DJ und übernimmt die Symbolik ihrer Covers. Er malt jetzt auf Leinwand, anfangs zeichnerisch, dann immer malerischer, bleibt aber beim Schwarz-Weiss, bei Gut und Böse, bei Himmel und Hölle. Wo die Geschichten anfangen und wo sie enden, weiss er nicht. Es sei wie Schlamm sagt er, aus dem sich Einzelnes herauskristallisiere, ganz oder zerstückelt, halb eines, halb anderes. Die Energie ist Macht, gebündelt wäre sie Kraft, im Gegeneinander wird sie Krieg, der eine frisst den andern. Wörter möge er nicht, sagt er, sie würden nie sagen, was sie meinten. In Bildern gebe es keine Masken.

Ähnlich wie dem Künstler geht es den Betrachtenden. Anfänglich differenzieren sich die Bilder nur schwerlich. Doch mit der Zeit öffnet sich der dichte Vorhang und man ist mitten im schauerlichen Theater, in dem gerade Hieronymus Bosch in zeitgenössischer Form gegeben wird.

Eines Tages entdeckte Haenggli das Rot der 80er wieder. Es zwingt ihn zu mehr Form, zu mehr Dreidimensionalität. Gut so. Parallel gibt er auch dem Collageartigen der Schwarz-Weiss-Malerei einen Realitätsschub, indem er Zeitungsbilder in die Malschicht integriert und damit die innere Vision und ihren medialen Gegenpart als interaktives System zu formulieren beginnt.